Ein Gang durch Nutzungsverordnungen zu grünen Daumen und Feierabendfreiheit.
Am Mühlbach 23, am ESV-Sportplatz 43 und ansonsten noch einmal 84. Aber die 53 Filetstückchen liegen am Wasserturm. Die Rede ist von Lichtenfelser Schrebergärten, ihrer Geschichte und ihren Geschichten.
Konstantin Kabykanov und seine Frau Tatjana haben vor wenigen Jahren Nachwuchs bekommen. Ihr Söhnchen hat hier in Nachbarschaft zum ESV-Sportplatz einen Garten mit Schaukel und Trampolin. 100 Quadratmeter hat er, an dessen Beginn gepflanzt und an dessen Ende gegrillt wird.
"Total friedlich" ist es hier, wird versichert. Es ist Samstagnachmittag und in den Hütten ringsum ist Leben. Grillduft liegt in der Luft, es ist heiß und von irgendwoher hört man Wasser von einem künstlich angelegten Brunnen plätschern. Kaum zu glauben, dass es für solch Idyll ein Bundeskleingartengesetz mit Paragrafen gibt. Tut es aber und Ingrid Schmidt schmunzelt, so sie darauf angesprochen wird. Sie ist Kassier einer Vereinigung, die ausdrücklich kein Verein ist, aber einem angegliedert: der Bahn-Landwirtschaft - Bezirk Nürnberg e.V. Dieser hat einen Unterbezirk Lichtenfels mit 254 Mitgliedern, davon 153 Gartenpächtern. Zudem gibt es noch weitere Bewerber und überhaupt mangelt es an solchen nicht. Zwar hätten sich vor 20 Jahren noch 30 oder 40 Personen mehr pro Jahr als rund 20 um einen Garten beworben, aber die Verpachtung der Parzellen gelinge nahtlos. Heute kommt man "leichter an die Grundstücke, weil man nicht mehr bei der Bahn sein muss", wie Schriftführer Reiner Wicklein erklärt. Die Bahn und die Gärten - eine gemeinsame Geschichte.
Grund der Reichsbahn
Vor gut 150 Jahren kaufte die Deutsche Reichsbahn Grund zum Bau der Schienenstrecken. Nicht alle Flächen wurden benötigt, so kam die Idee des kleingärtnerischen Verpachtens auf, vorzugsweise an Mitarbeiter. Das ist im Groben die Geschichte der Schrebergärten in Lichtenfels, also jener am Gleisdreieck (6), an der Sachsenstraße (5), der Gabelsbergerstraße (20) und besagten 119 anderen. 2010 feierte diese Landwirtschaft hundertsten Geburtstag. Das Gründungsjahr des Unterbezirks hat sich hingegen verloren. Geblieben sind Richtlinien, von denen Erster Vorsitzender Hans Kaiser weiß. "Da müssen wir uns dran halten, sonst verlieren wir die Nützigkeit", erklärt er in Bezug auf das, was erlaubt ist und was nicht. 24 Quadratmeter Dachflächen sind zugelassen und auf mindestens ein Drittel ist die gärtnerische Nutzfläche bestimmt. Gegärtnert werden muss also. "Manche Herrschaften wollen pachten und glauben, hier nur Party feiern zu können - die sind bei uns falsch", so der 79-Jährige resolut. Tatsächlich gibt es für falsch liegende Pächter Abmahnungen. Drei vom Unterbezirk, gekündigt würde dann aus Nürnberg. Nicht gestattet, im Einzelfall aber mal geduldet, sind Übernachtungen im Schrebergarten. Ingrid Schmidt legt eine Sicherheitsverordnung der Stadt Lichtenfels vor, wonach "die Durchführung ruhestörender Haus- und Gartenarbeiten, die Benutzung von Musikinstrumenten etc. und die Haustierhaltung geregelt" ist. Apropos Stadt Lichtenfels: "Wichtig ist die Zusammenarbeit mit der Stadt, denn so lange die Kleingartenanlagen im städtischen Nutzungsplan enthalten sind, ist ein Veto der Stadt möglich, falls die Bahn Grundstücke verkaufen will", weiß Wicklein.
Dass Schrebergärtnern etwas für Senioren ist, kann man so nicht sagen. Zwar schätzt der Vorstand des Lichtenfelser Unterbezirks das Durchschnittsalter der Mitglieder auf 50 bis 60 Jahre, aber Ingrid Schmidt weiß auch: "30 junge Familien sind auf den 153 Parzellen."
Tomaten und Zucchini
Besondere Wertschätzung genießen Schrebergärten bei sogenannten Russlanddeutschen. Aber sie genießen auch eine besondere Wertschätzung beim Vorstand. "Die Russlanddeutschen haben die gepflegtesten Gärten." Einer von ihnen ist Nikolai, gutgelaunter Familienvater mit Hang zu Tomaten, Dill oder Zucchini. "Ich esse nicht alles selber, was ich pflanze. Vieles verschenke ich auch", erklärt er. Und er fügt etwas an, dass von Fürsorge getragen ist: "Ich rede mit Pflanzen. Tomaten und Gurken sind wie Kinder für mich." Ihm geht es um so etwas wie das Erleben Auf- und Abblühender Natur. "Schon seit Kindertagen rede ich mit Pflanzen", erklärt der sofort nach Feierabend hier Erholung suchende Arbeiter lachend.
"Am Wasserturm", dort wo die Quadratmeterzahl der Gärten bis an die 200 heranreicht, so der Erste Vorsitzende, "gibt es eine Familie, die schon seit 54 Jahren einen Pachtvertrag hat". Schrebern über Generationen hinweg geht. Auch weil sich die Pachtverträge automatisch um ein Jahr verlängern, wenn keine Kündigung erfolgt.
Aber warum sollte man von selbst kündigen, wo der Quadratmeterpreis pro Jahr bei nur 20 Cent liegt? Einem Preis, der im regionalen Vergleich günstig liegen dürfte, wie sich der Vorsitzendeüberzeugt zeigt. Hinzu kommen für Mitglieder nun lediglich noch der jährliche Mitgliedsbeitrag von 25 Euro, der Sonderbeitrag von kaum zwei Euro für Verwaltung, sieben Euro für die Übernahme von eventuellen Reparaturleistungen und natürlich der Wasserverbrauch für das Gießen. Aber hier behelfen sich viele mit Wasserauffangbecken. Fazit: Viel Gemeinschaft, Natur und Erholung für wenig Geld.