Prozesse und Berufsfelder im Einzelhandel vom Stuhl aus kennenlernen? Derzeit Zukunftsmusik. Das könnte sich aber bald ändern. Wie? Mit nur einem Gerät.
Ein Mann startet seinen Traktor. Mit hoher Geschwindigkeit rast er über die Äcker. Staub wirbelt auf, während der Landwirt Kreise zieht. Von der rasanten Fahrt wird dem Zuschauer schwindelig.
Es ist ein alter Edeka-Werbespot - und trotzdem zog er Ende Januar massenweise Schüler bei der Berufs- und Studienbörse in Lichtenfels an. Warum? Mit der Virtual-Reality-Brille, kurz VR-Brille, wird der Spot hautnah miterlebt. Über diese aufgesetzte Brille erlebt der Zuschauer die Situation aus einem persönlichen Blickwinkel mit - er steht erst auf dem Acker, sitzt dann auf dem Traktor. Durch das dreidimensionale Bild ist er zumindest visuell vor Ort. So viel zur Technik.
VR-Brille in Ausbildung einsetzen
Doch was hat das mit dem Einzelhandel zu tun? Noch nichts, künftig jedoch viel, hofft Christian Werner, Geschäftsführer der Edeka-Filialen in Lichtenfels, Bad Staffelstein, Burgkunstadt und Michelau.
"Die VR-Brille ist ein heißes Thema bei den Jugendlichen. Wir versuchen uns von anderen Unternehmen abzusetzen", erklärt der 37-Jährige. Ein Weg, das zu erreichen, ist auf die Interessen der Jugendlichen einzugehen, weiß der Geschäftsführer. "Wir haben es bei der Berufsbörse im Gymnasium gemerkt: Einer hatte die Brille auf, die restlichen Wartenden konnten wir in der Zwischenzeit über unsere Berufe aufklären." Mitarbeiter im Einzelhandel leisten mehr, als nur Regale einzuräumen und an der Kasse zu sitzen, sagt Werner.
In Kooperation mit der Zentrale in Hamburg entwickelte sich vor zwei Jahren die Idee, mit der VR-Brille die Vielfalt des Unternehmens darzustellen. Davon sollen in Zukunft vor allem die 25 Auszubildenden - alleine vier davon sind in Bad Staffelstein - profitieren. Von momentan etwa 227 Mitarbeitern machen diese derzeit immerhin zehn Prozent aus. "Es ist interessant, weil wir so Prozesse außerhalb des Marktes besser erklären können, zum Beispiel die Logistik oder die Herstellungsprozesse - auch in Übersee. Die Azubis sehen so nicht nur den Lkw im Markt ankommen, sondern lernen auch, wie es kommt, dass er voll ist", erklärt der 37- Jährige.
Gleichzeitig soll die Technik Wissen vermitteln - Lebensmittelkunde ist da nur ein möglicher Bereich. Auch Kundengespräche sollen künftig mit der VR-Brille simuliert werden. Aber dafür müsse die Technik noch weiterentwickelt werden. Frage-Antwort-Szenen seien derzeit noch nicht möglich, die Situation, dass ein verärgerter Kunde den Laden betritt, hingegen schon.
Technik ist noch nicht ausgereift
Ein weiteres Problem: Die Laufzeit der VR-Brille. Nach etwa 15 Minuten läuft das Gerät heiß und muss ausgeschaltet werden. Auch die Kosten seien nicht unerheblich. Das Gerät koste mit Kopfhörern und Handy zwar nur um die 800 Euro - teuer hingegen seien die programmierten Kurzfilme.
Von denen verfügt der Geschäftsführer derzeit über zwei. Ein weiterer soll Ende des Jahres folgen, hofft er. "Dann kann der Auszubildende virtuell durch den Markt laufen und sich die Abteilungen ansehen." Eingesetzt werde die Brille wohl erst in den kommenden Jahren. Doch: Die Ausbildung bei Edeka-Werner soll auch künftig real bleiben. Die VR-Brille soll nur in fünf bis zehn Prozent dieser Zeit eingesetzt werden. Bislang verfügen nur fünf Edeka-Händler in Nordbayern über ein solches Gerät. Dass der Erfolg "Zukunftsmusik" ist, darüber ist sich Werner im Klaren: "Es ist ein Hype, der in einem halben Jahr vorbei sein kann. Wir sind der Vision nicht verfallen. Wir setzen auch weiterhin auf eine gute Ausbildung."
Und so haben sich manche Zukunftsvisionen in der Vergangenheit rentiert, anderen hingegen nicht. Ein digitaler Marktplan am Eingang der Lichtenfelser Filiale stößt auf wenig Interesse, eine interne Quiz-App hingegen auf viel. "Über ein Handy oder Tablett können die Mitarbeiter in Wettbewerben gegeneinander spielen." Die Fragen beschränken sich natürlich auf die unterschiedlichen Bereiche des Einzelhandels.
Auch das E-Learning mit über 200 Kursen werde gut angenommen. Auch diese Technik war noch vor vier Jahren Zukunftsmusik - so wie die digitale Ausbildung mit der VR-Brille.