Andorra: Anleihen an die Jetzt-Zeit

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Im Vorfeld des Sanktgeorgstags hat Barblin (rechts, Elly Kinscher) das Haus ihres Vaters geweißelt.
Im Vorfeld des Sanktgeorgstags hat Barblin (rechts, Elly Kinscher) das Haus ihres Vaters geweißelt.
Andri (rechts, Lisa Stock) und ihre Schwester Barblin (links, Elly Kinscher) lieben sich.
Andri (rechts, Lisa Stock) und ihre Schwester Barblin (links, Elly Kinscher) lieben sich.
 
Der Doktor (Paul Henzler) schwärmt übertrieben patriotisch von den Andorranern hält aber nichts von Juden.
Der Doktor (Paul Henzler) schwärmt übertrieben patriotisch von den Andorranern hält aber nichts von Juden.
 
(v. li) Andri (Lisa Stock) und Barblin (Elly Kinscher) gestehen den Eltern (Mutter, Rose Freiburg und Vater Tamara Schnapp) ihre Liebe.
(v. li) Andri (Lisa Stock) und Barblin (Elly Kinscher) gestehen den Eltern (Mutter, Rose Freiburg und Vater Tamara Schnapp) ihre Liebe.
 
Auch der Soldat (Fabian Arneth) weist alle Schuld von sich. Fotos: Gerda Völk
Auch der Soldat (Fabian Arneth) weist alle Schuld von sich.  Fotos: Gerda Völk
 
Das Mittel- und Oberstufentheater des Meranier Gymnasiums zeigte Andorra.
Das Mittel- und Oberstufentheater des Meranier Gymnasiums zeigte Andorra.
 
Bedrückend: Bei der sogenannten Judenschau müssen alle schwarze Tücher über den Kopf tragen.
Bedrückend: Bei der sogenannten Judenschau müssen alle schwarze Tücher über den Kopf tragen.
 
Der Judenschauer (3. v. li., Alexander Thiel) schaut sich die Füße von Andri (Lisa Stock) an.
Der Judenschauer (3. v. li., Alexander Thiel) schaut sich die Füße von Andri (Lisa Stock) an.
 

Das Schultheater des Meranier-Gymnasiums Lichtenfels zeigte eines der wichtigsten Stücke deutschsprachiger Literatur.

Andorra ist ein Dorf, das Sicherheit und Heimat verspricht. Weiß getünchte Häuser, eine Schule, eine Kneipe, eine Kirche und eine Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden kennt. Vor diesem Hintergrund hat der Schweizer Schriftsteller Max Frisch sein gleichnamiges Theaterstück angesiedelt, dessen Uraufführung 1961 im Schauspielhaus in Zürich war. Andorra gilt als eines der wichtigsten Theaterstücke der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit. Es geht um die Gefahr, die von Vorurteilen ausgeht - sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft. Am Meranier-Gymnasium wurde Andorra vom Mittel- und Oberstufentheater in zwei Aufführungen am Wochenende in Szene gesetzt.

Gesellschaft voller Vorurteile

Max Frischs Parabel zeigt, wie eine Gesellschaft ihren Halt verliert, die Vorurteilen aufsitzt und nicht dem eigenen Gewissen vertraut. In der Inszenierung des Gymnasiums gibt es immer wieder Anleihen an die Jetzt-Zeit, ohne die Tonart des Klassikers zu verlassen. So hat man sich bewusst für eine weibliche Andri (Doppelbesetzung: Lisa Stock, Antonia Lind) entschieden, um den Identitätskonflikt zu aktualisieren und gleichzeitig die Kritik am Antisemitismus in jeglicher Form beizubehalten. Andri wächst im Bewusstsein auf, nicht nur Pflegekind des Lehrers (Tamara Schnapp, Lewis Vincent), sondern als Jude auch anders zu sein. Erst als sie ihre Schwester Barblin (Elly Kinscher, Lieselotte Hahn) heiraten will, eskaliert die Situation. In Wahrheit ist Andri die uneheliche Tochter des Lehrers mit einer Señora (Alexandra Thiel), die ebenfalls Opfer der Fremdenfeindlichkeit der Andorraner wird.

Obwohl aus den 60er Jahren stammend hat "Andorra" nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil: Die bewusste Betonung der Einzigartigkeit des eigenen Umfeldes und der negativen Andersartigkeit des Nachbarn lassen unwillkürlich Parallelen zu aktuellen Ereignissen ziehen. Am Ende wird jeder die Schuld von sich weisen. "Ich bin nicht schuld, dass es mit ihr so gekommen ist", sagt der Tischler (Martyna Surmacz), obwohl er vom Vater eine horrende Summe als Lehrgeld für Andri gefordert hat, die unbedingt Tischlerin werden wollte. Auch der Geselle (Johanna Schwender) weist jede Schuld von sich. Der Doktor (Paul Henzler) schwärmt patriotisch übertrieben von Andorra und den Andorranern ("Andorra ist ein Hort des Friedens und der Menschenrechte") und reklamiert für sich, nur die Wahrheit zu sagen. Auch der Soldat Peider (Fabian Arneth) reiht in den Reigen der Unschuldigen ein. Er gefällt sich in seiner Rolle des tapferen Landesverteidigers und beruft sich auf seine Gehorsamkeit, Befehl ist Befehl.

Die Wahrheit will keiner wissen

Als die Wahrheit ans Tageslicht kommt, will sie keiner wissen. Am Ende wird nicht nur Andri getötet. Ihr Vater erhängt sich in der Schule, und seine Schwester verliert völlig den Verstand. Die Verzweiflung Andris, ihrer Schwester und die innerliche Zerrissenheit des Vaters werden authentisch gespielt. Gut besetzt war die Rolle des anmaßenden Soldaten und des schnöseligen, von Vorurteilen geprägten Doktors. Durch eine gute Leistung zeichneten sich auch die anderen Mitwirkenden aus. Für Heiterkeit sorgte Rose Freiburg in der Rolle des Idioten, die mit schlenkernden Bewegungen mehrmals durchs Bühnenbild lief. Erwähnenswert ist auch die Musikauswahl, die ausschließlich aus Queen-Songs bestand, die zumindest im ersten Teil der Handlung etwas von der bedrückenden Stimmung der Geschichte nahmen.

Die Leitung des Mittel- und Oberstufentheaters lag in den Händen von Christina Weisenseel-Wiesen.