Der Terroranschlag in Kabul vereint Landsleute zu einer gemeinsamen Aktion und lässt Bilder aufsteigen. Düstere.
Samstagabend, Datteln stehen auf dem Tisch. Ein Klassiker in Afghanistan. Vor allem dann, wenn es etwas zu betrauern gibt. Zu betrauern gibt es seit 38 Jahren besonders viel, erklärt Kamali Sajad (48) und blickt hinüber an die Fensterreihe im 4. Stock der Asylunterkunft in der Nordgauerstraße.
Der Mann, der in seinem früheren Leben ein Schneider war, sitzt gemeinsam mit mehr als 35 Landsleuten zu Tisch und hoch über
Lichtenfels. "Alle hier möchten die Taliban weghaben", erklärt er in schon passablem Deutsch. Was seinen Blick am Fenster fesselt, ist die dortige afghanische Trikolore. Grün-Rot-Schwarz ist sie und Sajad legt ihre Farben aus: "Grün ist die Farbe des Islam, das Rot steht dafür, dass es dort schon immer Kriege gab und Schwarz ist die Trauer."
Echte Hoffnung auf eine Besserung der Lage gibt es kaum
So frei von Verblümtheit sind wohl nur wenige Fahnen
und echte Hoffnung auf eine Besserung der Lage daheim wird hier kaum formuliert. Das liegt auch an den beinahe 70 Toten und 300 Verletzten, die über die Nachrichten ins Bewusstsein kamen. Ihnen wollen die Versammelten in Gedanken nahe sein, für sie haben sie Plakate entworfen und ein Mahl gestaltet. Man will erst essen, bevor man Kerzen anzünden geht.
Sayed Omed hebt zum Klagegesang an, empfiehlt Gott die Seelen der Verstorbenen und die Nöte seiner Heimat, die Hände bittend geformt. Aber auch an diesem Tisch hat schon die Unsitte Einzug gehalten, wonach bei einem "Amen" tatsächlich jemandes Handy klingelt. "Das ist unser Alltag - jeden Tag in unterschiedlichen Städten", erklärt der Vorbeter die Situation der in Afghanistan gebliebenen Menschen.
Geht es unseren Angehörigen gut?
Als das Unglück von vor ein paar Tagen bekannt wurde, haben Menschen dieses Stockwerkes sofort Kontakt nach Kabul aufgenommen, um zu erfahren, ob Verwandte und Freunde wohlauf sind. Bei fast allen trifft das zu, bis auf Yakin Alischa Taba-Tabae. Der 35-Jährige erfuhr davon, dass sein Cousin verletzt worden ist. Wie schwer, das weiß er nicht, er weiß nur, dass sein Cousin noch lebt. Er weiß nicht einmal, was er von der medizinischen Versorgung in Kabul halten soll. 35 Provinzen gibt es, viele ohne Krankenhäuser. So dränge alles in die Hauptstadt und das verringere die Chancen auf Aufnahme in dortigen Kliniken.
"Wir haben Probleme mit Medikamenten, auch abgelaufene sind im Umlauf", lässt er sich von Sajad übersetzen.
Und der wiederum findet, dass die Öffentlichkeit auch hier viel mehr über Attentate in Afghanistan wissen sollte, weil sein Präsident (Ashraf Ghani) lüge, wenn er von Sicherheit spricht.
Als sich die jungen Männer, Frauen und Kinder auf den Weg zum Parkplatz nach unten machen, nehmen sie selbst beschriftete Plakate, Kerzen und Rosen mit. Es ist ein Gewusel, Menschen gehen kreuz und quer, Kinder tauschen ihre Plakate, es werden Fotos gemacht und Kerzen angezündet. Aus den Buchstaben ihres Alphabets wird mit Kerzen das Wort Kabul geformt, dazu ein Herz aus Teelichten.
Die Resonanz könnte größer sein
Aber so hat man sich das hier nicht vorgestellt, denn eigentlich hätte man die Schilder gerne auf dem Marktplatz gezeigt, heißt es.
Auch nähmen nicht ganz so viele Menschen teil, wie erhofft. Gabi Berg aus Michelau, die hier Sprachunterricht für Flüchtlinge gibt, erinnert sich, dass Vertreter karitativer Einrichtungen ausgeblieben seien, auf deren Besuch man gehofft habe. Auch hätten viele Afghanen aus dem Landkreis nicht anreisen können.
Doch sie präsentieren über dem aus Kerzenlicht geformten paschtunischen Wort Kabul ihre Schilder, fotografieren ihre Botschaften und Slogans von Menschlichkeit gegenseitig, so, als wollten sie sich einen Ich-war-dabei-Moment einfangen. Dann werden die Kerzen eingesammelt, bei "Kabul" gehen die Lichter aus.
Unter den Betrachtern der Szene ist auch ein Zwölfjähriger namens Milat Nuri. Eigentlich weiß er mit am besten, wie man sich als Sprengstoffopfer fühlt. Vor knapp einem Jahr explodierte 50 Meter von ihm entfernt ein Sprengsatz, ein Splitter hinterließ ihm eine circa zwölf Zentimeter lange Narbe.
Der Junge streift die Hose ab und erzählt davon, dass er noch heute manchmal Schmerzen habe. Dann, wenn das Wetter umschlägt, so wie jetzt gerade.
Doch, zu Anlässen wie dem heutigen, komme das alles wieder hoch und dann träume er auch davon. Aber der Junge ist fröhlich, spielt Fußball und ist Außenstürmer. Optimismus.
Den gibt es auch bei Gabi Berg. "Das nächsten Mal ist alles besser organisiert", sagt sie im Hinblick auf den Verlauf des Abends. Dann stutzt sie und hält inne, denn für ein nächstes Mal bedürfte es eines nächsten Anlasses. Das will natürlich keiner hier.