Im September 2016 reist Udo Nuffer nach Malta, um Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem sicheren Tod zu bewahren. 794 rettet er aus dem Mittelmeer.
794 Menschenleben in 16 Stunden: Ende September 2016 reist Udo Nuffer mit acht ehrenamtlichen Helfern nach Malta. Ihre Mission: Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem sicheren Tod bewahren. Dreizehn Tage geschieht nichts - die Freiwilligen treiben vor der libyschen Küste und halten Ausschau. Am vierzehnten Tag wird ihre Hilfe gleich hundertfach benötigt. Der Tag endet für alle Mitglieder erst nach 16 Stunden.
Udo Nuffer und seine Frau Petra lieben das Segeln. "Auf dem Meer hilft man sich, das ist selbstverständlich", sagt die 46-Jährige. Als das Ehepaar aus
Ebensfeld durch einen Freund vom gemeinnützigen Verein "Sea-Eye" erfährt, sind beide sofort überzeugt: "Wir leben im dritten Jahrtausend, es ist nicht nötig, dass diese Menschen sterben. Es ist ein Armutszeugnis", kritisiert Petra Nuffer.
Überzeugung in Taten umgesetzt
Schnell wird ihnen bewusst, dass sie die Möglichkeit haben, Menschenleben zu retten. Ihre Überzeugung wird zu Taten. Ende September reist Udo Nuffer nach Malta. Mit acht ihm völlig unbekannten Menschen startet er am 20. September 2016 Richtung libysche Küste, westlich von Tripolis. Etwa 30 Stunden benötigt der 60 Jahre alte Fischkutter für die Strecke.
Als Leiter der "Mission 12" ist der 53-Jährige verantwortlich für seine Crewmitglieder. Deshalb hält er immer einen sicheren Abstand zur Küste - in der Regel zwischen zwölf und 24 Seemeilen. "Je näher man der Küste kommt, desto problematischer wird es", sagt Nuffer. Durch die militärische Situation sei die Lage angespannt, erklärt der Ebensfelder.
Anfang September 2016 wurde ein Schnellboot von "Sea-Eye" durch die libysche Küstenwache konfisziert und zwei Helfer festgenommen. Der Grund: Sie seien aus tunesischen Gewässern kommend in libysches Hoheitsgebiet eingedrungen. Nach drei Tagen wurden die Crew-Mitglieder freigelassen. Ähnliches soll der Crew von Udo Nuffer, die sich unter anderem aus einem Mediziner, Funker, Maschinisten und Skipper zusammensetzte, nicht widerfahren.
Fast muss Udo Nuffer die Mission abbrechen. Der Grund: das schlechte Wetter. "Wir hatten Windstärken von vier bis sechs", erinnert sich der 53-Jährige. Doch das Ausharren der Crew wird für viele Flüchtlinge am vierzehnten Tag zum Lebensretter. Am 3. Oktober um 2.15 Uhr hört die Besatzung Hilferufe. "Nach zwölf Stunden haben die Menschen kein Sprit mehr und treiben wie Holz auf dem Meer. Die Boote sind nicht stabil, haben kein Navigationsgerät und sind in keiner Weise seetüchtig."
Boote bedroht und Motor geklaut
Schlimmer noch: Einige Boote werden von sogenannten "Engine Fischern" bedroht und die Motoren abmontiert. "Das ist das Todesurteil für die Menschen", ärgert sich Petra Nuffer.
Bei der ersten Rettungsaktion des Tages treiben 16 Menschen, darunter eine Schwangere - in einem Holzboot. Sofort versorgen die Helfer die Flüchtlinge mit Rettungswesten und Wasser. Denn: Die "Sea-Eye" ist ein Erstversorgungsschiff. Menschen aufnehmen, kann die Crew nicht. Dafür reicht der Platz nicht. Doch Udo Nuffer kontaktiert die "Seenotleitstelle Mittelmeer" in Rom. Dort werden größere und schnellere Schiffe zur Hilfe gerufen. Die langsame Rückfahrt mit der "Sea-Eye" würden viele Menschen nicht überleben, sagt Nuffer. "Die Flüchtlinge müssen schnellstmöglich in Aufnahmelager."
Ruhe und klaren Kopf bewahren
In dieser Extremsituation müsse jeder Helfer ruhig bleiben, erklärt der Ebensfelder. "Panik hilft da nicht viel." Denn die Hilfe wird schnell benötigt. Thrombose, Dehydrierungen und Unterkühlungen sind ein gängiges Bild auf dem Mittelmeer. "Alle die noch nicht ohnmächtig sind, sind kurz davor." Besonders tragisch: Viele Flüchtlinge bekommen vor der Abfahrt Benzin zu trinken, was sie beruhigen soll.
Allein am 3. Oktober rettete die Crew 794 Menschen aus dem Meer - in manchen Schlauchbooten sitzen zwischen 100 und 150 Menschen. "Diese Menschen haben keinen Gesichtsausdruck mehr - einfach Angst." Für eine Frau beim letzten Einsatz an diesem Tag kommt jede Hilfe zu spät. "Sie wurde noch bei uns reanimiert. Sie war etwa 17 Jahre alt", erinnert sich Nuffer. Nächstes Jahr möchten Petra und Udo Nuffer nochmal als freiwillige Helfer auf die "Sea-Eye" - aber getrennt. "Wir haben zwei Kinder und würden nie zusammen auf ein Schiff gehen." Beide wissen, dass ihre Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.