Kultusminister Ludwig Spaenle möchte nicht das System erneut reformieren, sondern die Lernbedingungen für den einzelnen Schüler am Gymnasium verbessern. Fotos: Barbara Herbst
Kritische Gesichter in den Reihen der Eltern: Karin Michalski, Elternbeiratsvorsitzende am CVG, ist vom neuen Konzept nicht überzeugt.
CVG-Schulleiter Klaus Gagel lenkt den Blick auf die Ganztagsschule.
Kultusminister Ludwig Spaenle möchte nicht das System erneut reformieren, sondern die Lernbedingungen für den einzelnen Schüler am Gymnasium verbessern. Fotos: Barbara Herbst
Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle hofft, mit der der Einführung der individuellen Lernzeit die Probleme des Gymnasiums zu lösen. In Kulmbach diskutiert er mit Elternvertretern. Diese loben zwar die Bemühungen um Verbesserungen, aber es bleibt auch viel Frust.
Individuelle Lernzeit - dieses Schlagwort soll die Probleme des achtstufigen Gymnasiums lösen. So wünscht es sich Kultusminister Ludwig Spaenle, der das Konzept am Freitagabend beim Treffen der Landeselternvereiniung für Gymnasien in Kulmbach vorstellte. Die erhoffte Begeisterung der Eltern blieb allerdings aus: Die Veränderungen gehen vielen noch nicht weit genug, die Zusagen, mehr Lehrer für individuelle Förderung einzustellen, sind ihnen zu vage.
Überstürzt eingeführt, zu wenig durchdacht - die Kritik am G 8 ist auch Jahre nach der Einführung an den bayerischen Gymnasien noch nicht verstummt. Vollgestopfte Lehrpläne, Überforderung der Schüler, Ausfall von Unterrichtsstunden, zu wenige Lehrer: Die Mängelliste ist lang. Das neue Unterrichtskonzept soll nun die Defizite ausgleichen.
Drei Stunden im Dialog
Höchste Zeit, meinen die Eltern, die schon seit Jahren Druck machen und aus ganz Bayern zur Diskussionsrunde in die Turnhalle des Caspar-Vischer-Gymnasiums gekommen sind, um mit dem Minister persönlich diese Probleme zu besprechen.
Der Dialog mit den Eltern war auch Spaenle wichtig: Mehr als drei Stunden nahm er sich Zeit für die Diskussion, stellte sich der Kritik, doch die Antworten befriedigten die Fragesteller vielfach nicht: "Das Ergebnis der Diskussion ist ein Wischiwaschi", bemängelt Christine Kammerer, Mitglied des Elternbeirats am Kulmbacher Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasium. Ihr Vorschlag an Spaenle: "Warum probieren Sie es nicht mal mit ausreichend Lehrkräften an den Schulen?"
Das Gymnasium wird flexibel
Dass Unterrichtsausfälle und ein Mangel an Lehrern nicht nur nach Ansicht der Eltern, sondern tatsächlich ein Problem sind, gab Spaenle unumwunden zu. "Bei der Umstellung auf das G 8 ist bei Gott nicht alles richtig gemacht worden. Deshalb besteht der Bedarf nachzujustieren, und genau das werden wir tun", versprach der Minister. Für die Gäste der Diskussion hatte er eine druckfrische Broschüre mitgebracht, in der erstmals das Konzept der individuellen Lernzeit am Gymnasium detailliert vorgestellt wird.
Neu ist die Idee nicht, denn sie wird ja bereits in der flexiblen Grundschule praktiziert, bei der die Jüngsten bis zu drei Jahre Zeit für den Stoff der ersten beiden Jahrgangsstufen haben. Auch an der Mittelschule ist das Konzept im Modell 9 + 2 etabliert. Hier kann die Mittlere Reife in elf statt zehn Jahren erworben werden.
Kann die individuelle Lernzeit auch die Lösung für die Probleme des achtstufigen Gymnasiums sein? Viele Eltern und Lehrer sind skeptisch. Ludwig Spaenle möchte nicht die Struktur des Gymnasiums an sich, sondern das pädagogische Konzept verändern - mit einer auf die Bedürfnisse des einzelnen Schülens zugeschnittenen Förderung. Mehrfach spricht er im Verlauf des Abends von der "Heterogenität der Schülerschaft", der man auf diese Weise Rechnung tragen wolle. "Die Belastungen der jungen Leute durch den anspruchsvollen Lernstoff müsse im richtigen Verhältnis zur Förderung der Sozialkompetenzen und kreativer Tätigkeiten stehen", sagt er.
Dafür gibt's durchwegs Zustimmung im Publikum: Genau das ist es ja, was sich die Eltern seit Jahren wünschen. Dass etwas getan werden muss, darin sind sich alle an diesem Abend einig. Wenn der Kultusminister dafür noch einen Beweis bräuchte, hätte ihm eine einfache Abstimmung zum Beginn der Diskussion die Notwendigkeit verdeutlicht. Auf die Frage von Moderator Roland Zimmermann vom Bayerischen Rundfunk wünscht sich etwa ein Viertel der Anwesenden das G 9 zurück, drei Viertel fordern Verbesserungen des G 8. Zufrieden mit dem Ist-Stand ist - niemand.
Spaenle sprach von 700 zusätzlichen Planstellen, 250 Lehrer seien zum Schuljahresbeginn bereits eingestellt worden, jede Schule soll eine halbe Stelle für die individuelle Förderung bekommen. Susanne Arndt, Vorsitzende der Landeselternvereinigung, ist zufrieden: "Wenn wir 700 Lehrerstellen bekommen, sind das 50 Stunden mehr für jedes Gymnasium. Das ist ein sehr guter Ansatz."
Christine Kammerer, Mutter einer Tochter in der achten Klasse des MGF-Gymnasiums, konnte der Minister dagegen nicht überzeugen: "Mir waren die Aussagen nicht konkret genug. Momentan ist ja nicht einmal der bisherige Bedarf an Lehrerstunden gedeckt, geschweige denn zusätzliche Betreuung." Kammerer vermisst konkrete Zahlen und Zeitpläne. Wenn sie könnte, würde sie die Uhr am liebsten zurückdrehen zum alten G 9: "Es wurde in kurzer Zeit so viel geändert, aber besser geworden ist die Schule dadurch nicht."
Das sieht auch Karin Michalski so, Elternbeiratsvorsitzende am CVG. Sie plädiert für kleinere Klassen und äußert sich unzufrieden, dass ihre Wortmeldung zwar eine lange Antwort des Ministers, gespickt mit statistischem Zahlenmaterial, zur Folge hat, ihre Frage aber nicht beantwortet wird. "Es ist immer die Rede von Zahlen, aber mein Kind ist keine Zahl, sondern braucht eine gute Schulausbildung", kritisiert auch Mutter Nicole Putschky vom CVG.
Obwohl in elf von 25 Unterrichtsfächern Lehrstoff reduziert wurde, ist es für die Lehrer immer noch extrem schwierig, ihre Schüler in acht Jahren aufs Abitur vorzubereiten. Das beklagt Ursula Seifferth, die am CVG Deutsch und Englisch unterrichtet. Beispiel Deutsch: "Es gibt so viele Aufsatzarten, die geprüft werden könnten, die kann man nicht alle einüben."
Spaenle kontert erneut mit Zahlen: "Im achtjähirgen Gymnasium sind so wenige Schüler durchgefallen und die Noten so gut wie nie zuvor."
"Das System ist chaotisch"
Also doch alles bestens? CVG-Oberstufen-Schüler Frank Förschler meldet sich zu Wort: "Der Abitur-Stoff ist ein Riesenpaket für uns Schüler, das System ist chaotisch. Also: Bitte nicht so runterspielen!"
Fazit des Abends: Organisator Arnd Sesselmann, Elternbeiratsvorsitzender am CVG, sieht in mehr Lehrpersonal und individueller Förderung einen Fortschritt, aber noch nicht die Lösung der Probleme: "Es geht ja weiter: Um das umzusetzen, haben wir nicht genug Räume." Damit unterstützt Sesselmann die eingangs von Schulleiter Klaus Gagel formulierten Wünsche, die Schulen für die Betreuung der Ganztagsklassen räumlich besser auszustatten.
Die neue Broschüre "Individuelle Lernzeit am Gymnasium" des bayerischen Kultusministeriums mit allen Informationen zum geplanten Konzept gibt es im Internet unter www.km.bayern.de/individuelle-lernzeit-gym