Was liegt da in der Luft? Umweltinstitut will Pestizide offenlegen

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Gewohntes Bild: Ein Landwirt ist mit seiner Pflanzspritze in einem Rapsfeld unterwegs.
Gewohntes Bild: Ein Landwirt ist mit seiner Pflanzspritze in einem Rapsfeld unterwegs.
Jens Büttner/dpa
Alexander Eber bewirtschaftet im Biegersgut einen Hof mit 140 Milchkühen samt Nachzucht. Er spritzt seine Felder mit Pflanzenschutzmitteln.
Alexander Eber bewirtschaftet im Biegersgut einen Hof mit 140 Milchkühen samt Nachzucht. Er spritzt seine Felder mit Pflanzenschutzmitteln.
Jochen Nützel

Der Einsatz von Pestiziden auf Äckern bleibt heiß diskutiertes Thema. Nun hat das Münchner Umweltinstitut eine Petition gestartet, wonach Bauern künftig angeben müssen, was sie spritzen - zum Schutz von Natur und Bürgern, heißt es.

Für die einen ist es schlicht Gift und ein Artenkiller - für die anderen die unabdingbare Hilfe bei der Feldarbeit. Bei kaum einem anderen Thema in der Landwirtschaft verhaken sich die Meinungen derart stark wie bei der (un?)nötigen Anwendung von Pestiziden. Allein die Namensgebung zeigt den Graben auf: Während Bauern von "Pflanzenschutz" sprechen und sich auf offizielle Zulassungen berufen, kolportieren die Gegner, Stoffe wie Glyphosat und Co. seien nichts anderes als "Vernichtungsmittel" und schädigten nicht nur Umwelt und Artenvielfalt nachhaltig, sondern auch die Bürger, die am Rand der gespritzten Felder leben und nicht einmal genau wüssten, welche potenzielle Gefahr ihnen drohe.

"Recht auf Information"

Nun hat das Umweltinstitut München einen neuen Versuch gestartet, mit einer offenen Petition an die Bundesregierung das Arsenal der freigegeben Mittel in der Landwirtschaft zu hinterfragen, aber vor allem die Nutzung öffentlich bekannt zu machen. Zur Begründung heißt es: "Menschen, die in der Nähe landwirtschaftlicher Flächen wohnen, haben das Recht zu wissen, welchen Pestizidwirkstoffen sie ausgesetzt sind", sagt Vera Baumert, Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut. "Und auch der Politik sollte daran liegen, dass Pestizideinsätze zentral erfasst und ausgewertet werden. Denn ohne den Status Quo zu kennen, bleibt das Ziel der EU, Pestizide bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren, zwangsläufig ein leeres Versprechen."

Worum es den Antragstellern der Petition geht? Die bisherige Vorgehensweise sieht folgendes vor: Wenn Landwirte Pestizide einsetzen, müssen sie laut Gesetz exakt Protokoll darüber führen, welche Mittel sie wann und in welcher Menge auf welchem Acker ausbringen. Das Problem für die Initiatoren dabei: "Diese Aufzeichnungen werden bisher höchstens stichprobenartig kontrolliert, aber nicht zentral erfasst, ausgewertet und öffentlich gemacht. Nach drei Jahren dürfen die Unterlagen vernichtet werden. Lediglich Informationen über die jährlichen Verkaufszahlen von Pestizidwirkstoffen werden in der EU veröffentlicht. Was tatsächlich auf dem Acker landet, erfährt in der Regel niemand."

Bei den Aufzeichnungen der Landwirte über ihre Pestizideinsätze handelt es sich um so genannte Umweltinformationen, zu denen laut geltendem Recht ohnehin jedem Bürger auf Anfrage Zugang gewährt werden muss. Bislang endeten solche Anfragen auf Zugang zu den Spritzdaten jedoch meist "in zermürbenden Auseinandersetzungen mit den Behörden und nicht selten vor Gericht", so die Initiatoren. Die zuständigen Behörden rechtfertigten eine Ablehnung meist damit, sie würden gar nicht über die Daten verfügen oder der Verwaltungsaufwand, diese zu beschaffen, sei zu groß.

"Darüber hinaus wurde stets der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen als Ablehnungsgrund angeführt." Das dürfe nicht länger als Grund zur Infoverweigerung gelten.

Als Reaktion darauf kommt nun offenbar Bewegung in das Thema: Die Agrarminister der Länder forderten die Bundesregierung um Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, bis zur nächsten Agrarministerkonferenz Ende März Vorschläge zur Änderung der entsprechenden Gesetze vorzulegen und die Schaffung eines einheitlichen Systems zur Erfassung der Daten zu prüfen.

BBV: spürbarer Rückgang

Der Bayerische Bauernverband (BBV) zeigt sich verwundert über diesen Vorstoß aus München. Harald Köppel, BBV-Kreisgeschäftsführer, vertritt eine klare Haltung: "Die Mengen an Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft, die durch ausgebildete und fachkundige Personen eingesetzt werden, sind bekannt." Schwieriger zu bestimmen sei das beim Mitteleinsatz von nicht fachkundigen Personen, die solche Produkte etwa über Baumärkte beziehen. Dabei sei seit Jahren ein spürbarer Rückgang der Menge an Pestiziden in der Landwirtschaft zu konstatieren, sagt Köppel. "Jene erlaubten Mittel am Markt sind erprobt, getestet und bei sachkundiger Anwendung ungefährlich." Zum Umweltinstitut München bekundet er: "Hier handelt es sich um eine private Organisation, die sich durch Spenden finanziert, auch wenn der Name vielleicht etwas anderes suggeriert."

"Gute Gründe": Warum Landwirte wie Alexander Eber Pflanzenschutzmittel einsetzen

Jeden Tag fährt er auf seine Felder, mäht Gras, sät, erntet - und spritzt. Alexander Eber ist konventioneller Bauer, betreibt im Biegersgut einen Milchviehhof mit 140 Tieren. Das Futter für sie baut er auf 95 Hektar zu 98 Prozent selber an. Doch damit auf dem Acker genug wächst, muss er chemisch nachhelfen. "Wir Bauern verwenden Pflanzenschutzmittel, um die Erträge zu sichern und gesunde Nahrungsmittel zu erzeugen. Was wenige wissen: Eines der gefährlichsten Gifte in der Natur sind die Mykotoxine von Pilzen: Auch solchen Pilzgiften können wir mit Pflanzenschutz entgegenwirken."

Hohe Hürden vor der Freigabe

Alle eingesetzten Mittel werden vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) begutachtet, sagt Eber. Das BfR erarbeitet auf der Grundlage international anerkannter Kriterien Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der Lebensmittelsicherheit und des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Da gebe es hohe Hürden in Bezug auf Umweltverträglichkeit oder auch möglicher Gesundheitsgefährdungen. "Stellt sich nach der Zulassung heraus, dass dennoch eine Gefährdung vorliegt und das Mittel letztlich vom Markt genommen wird, setzten wir Landwirte in Deutschland dieses Mittel ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr ein."

Was die Petition angeht, so hat der 42-Jährige kein Problem damit, seine Arbeit zu erklären. Es handle sich nicht um Geheimwissen. "Wenn ein Nachbar wissen möchte, was auf dem Feldstück gespritzt wird, kann er gerne auf mich zugehen: Da erfährt er dann nicht nur den Namen des Pflanzenschutzmittels, mit dem ein Laie an sich eh wenig anfangen kann, sondern auch den Grund der Behandlung, den Wirkmechanismus und einiges mehr. Es wäre ein normales Gespräch ohne ideologische Vorbedenken."

Aber genau da hakt es für den Kulmbacher: Warum müssten wieder die Landwirte Aufzeichnungen vorzeigen - Wirtschaftsunternehmen wie die Bahn, aber auch Privatleute oder Kommunen nicht, obwohl sie ebenfalls solche Mittel einsetzen? "Da wird wieder die Landwirtschaft an den Pranger gestellt. Was ist mit den Chemikalien, die von der Industrie in die Umwelt gelangen: Haben wir dann da auch das Recht, alles darüber zu erfahren? Was ist mit den Lebensmitteln, die aus dem Ausland zu uns kommen und mit Wirkstoffen produziert wurden, die bei uns schon lange verboten sind?" Fragen über Fragen.

Warum zweifeln an der Kompetenz?

Alexander Eber wundert sich, "dass bei uns Landwirten, obwohl wir eine hervorragende Ausbildung genossen haben und der überwiegende Teil von uns Bauern Landwirtschaftsmeister, Techniker, Agrarbetriebswirte oder sogar Agraringenieure sind, die Fachlichkeit immer wieder infrage gestellt wird." Seine Zunft müsse bereits jetzt die Pflanzenschutzbehandlung genau dokumentieren, das sei im Pflanzenmittelschutzgesetz festgelegt. Notiert werden müssten: die behandelte Frucht, Flurstück, Name des Mittels und der Grund der Maßnahme.

Ein Beispiel: die Bekämpfung des sogenannten Ähren-Fusariums im Weizen. "Das ist eine Pilzerkrankung, die bei Nichtbehandlung auf dem Korn verbleibt und dadurch in die Nahrungsmittelkette gelangen kann. Es handelt sich um ein potenzielles Gift für den Verbraucher, der ein Produkt aus solchem Weizen isst."

Landwirte eigneten sich solche Kenntnisse nicht einmal so eben an und hätten sie dann lebenslang. "Ich nehme alle drei Jahre an einer Pflanzenbauschulung teil, um mich auf den neuesten Stand zu bringen." Insofern dreht Alexander Eber im Namen seiner Kolleginnen und Kollegen den Spieß um. "Ich kann auch eine Forderung aufstellen: Falls solche Auskünfte über den Einsatz von Pflanzenschutz von der Allgemeinheit gewünscht sind, dann bitteschön als gültige Voraussetzung für alle Landwirte in Europa und nicht nur bei uns in Deutschland. Wir wollen nichts weiter als Chancengleichheit und stellen uns nicht gegen Aufklärung."

Er sei immer noch gerne Landwirt, bekundet der 42-Jährige. Aber bisweilen habe der Spaß ein Loch. " Wir drohen zerrieben zu werden zwischen Preisdruck, Verfügbarkeit von Produktionsmitteln und sinkender Beihilfen. Dazu die ständig neuen Forderungen und Anforderungen, aber auch die Unterstellungen, die fachlich nicht zu begründen sind: Das alles zerrt am Nervenkostüm und ist mit einer der Gründe, dass mittlerweile die Hälfte aller Landwirte ernsthaft mit dem Gedanken spielt, das Betätigungsfeld komplett zu wechseln."jn