Thomas Bohrer erinnert sich an einen jungen Mann mit einem unheilbaren Tumor, der plante, in zwei Jahren seine Freundin zu heiraten. "Machen Sie es jetzt", riet er ihm damals. "Auch das hat mit Wahrhaftigkeit zu tun: Würde ich für mich selbst auch so entscheiden?"
"Ein gutes Gespräch braucht Zeit. Und daran hapert es in unserem Gesundheitssystem", sagt der Professor. "Das Arztgespräch ist in unserer Vergütungsverordnung leider nichts wert. Wir sind stark auf Technik fokussiert. Aber die Anamnese ist mindestens genauso wichtig. Wir operieren zu viel und sprechen zu wenig."
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Kanada. Dort ist ein ausführliches Arzt-Patienten-Gespräch Pflicht. Thomas Bohrer findet das sinnvoll: "Es ist zwar erst einmal ein hoher Zeitaufwand, doch letztlich erspart das oft unnötige Diagnostik und Therapien."
Im Gespräch spürt ein erfahrener Arzt, wie viel der Kranke wissen will, was ihm wichtig ist. Am Ende gilt es, die Wünsche des Kranken zu respektieren: "Es gibt auch ein Recht auf Nichtwissen!" Freilich bedeutet, das, dass der Arzt dann keine Therapie empfehlen kann.
Doch in der Regel will der Patient wissen, wie es um ihn steht, meist verbunden mit der Frage, wie lange er noch zu leben hat. Solche Prognosen sieht Thomas Bohrer allerdings sehr kritisch: "Da gibt es keine Sicherheit. Dessen müssen wir uns immer bewusst sein."
Obwohl es im Alltag oft nicht einfach ist, versucht der Professor umzusetzen, was er lehrt: "Ich nehme mir viel Zeit für meine Patienten." Zu seinem Leitspruch hat er ein Zitat von Max Frisch gemacht: "Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, dass er hineinschlüpfen kann, und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen."
Ethik-Komitee für Kulmbach
Seine Erfahrungen im Bereich Medizinethik möchte der 53-Jährige künftig auch in Kulmbach verstärkt einbringen. "Wir werden deshalb bald auch bei uns am Klinikum ein Ethik-Komitee ins Leben rufen." Was wird dessen Aufgabe sein? "Es geht um Fortbildung, Fallbesprechungen unter ethischen Aspekten und Beratung für Patienten und Angehörige."
Beistand in seelischer Not: Trauern, trösten, beten
Krank ist nie nur ein Organ, Krankheit betrifft den ganzen Menschen, sagt der katholische Seelsorger Marc May, der sich mit seinen Kollegen, den evangelischen Pfarrern Christian Schmidt und Michael Müller, um die Patienten des Klinikums Kulmbach und der Fachklinik Stadtsteinach kümmert. Dabei stehen die Geistlichen insbesondere denen in ihrer seelischen Not bei, die sich mit schwerwiegenden Diagnosen konfrontiert sehen.
Wie erlebt der Pastoralreferent diese Situationen? Wie kann er Patienten und Angehörigen helfen? "Zuhören können und da sein, ist wichtig", sagt er. "Wir trauern mit. Aber wir reden auch über den Glauben, über Hoffnung, über Gott." Die Kranken suchen Trost und inneren Frieden. Manche sind verzweifelt, kämpfen mit Gedanken an Versäumtes, verpasste Chancen, Schuldfragen. "Es ist nötig, den Fragen, Zweifeln und Nöten Raum zu geben, indem man sie zulässt."
Für viele Menschen spiele der Glaube eine wichtige Rolle auf der Suche nach Halt. Ein schnelles Bibelzitat als Allheilmittel - das sei der Situation nicht angemessen. "Doch als Geistliche versuchen wir natürlich zu vermitteln, dass Gott für die Menschen da ist, dass dieses Leben nicht alles, nicht das Ende ist."
May macht immer wieder die Erfahrung, dass Menschen, denen es schlecht geht, beten wollen. Wir beten mit ihnen, segnen sie, sind für sie da."
Dieses tägliche Erleben hinterlässt auch beim Klinikseelsorger Spuren. "Mein Blick auf das Leben hat sich in den zwei Jahren, in denen ich am Klinikum arbeite, schon verändert", sagt er. "Ich gewichte mehr als früher, was wirklich wichtig ist im Leben."
Hilfe gibt es nicht nur von den drei Geistlichen. Rund 20 ausgebildete Ehrenamtliche engagieren sich im ökumenischen Besuchsdienst.