Die babylonische Sprachverwirrung - nie war sie sinnverstellender eingesetzt als im Vokabular unserer Konsumgesellschaft. Achten Sie mal drauf, wenn in den Annoncen und Werbeblöcken das "Unabdingbare" propagiert wird.
Das, was man unbedingt braucht (Stichwort "Black Friday"), sonst stirbt man! Nein, nicht an Corona, sondern an den Phantomschmerzen, wenn man sich etwas nicht leisten kann, was angeblich jeder hat. Und so kommen dann Bild-Schlagzeilen zustande wie: "So gefährdet der Kampf gegen den Klimawandel unseren Wohlstand". Eben: Erstmal geht es ums Haben - ob wir dazu einen lebenswerten Planeten brauchen, ist wissenschaftlich doch noch gar nicht erwiesen.
Das erinnert mich an Edward Bernays. Nie von ihm gehört? Der Neffe Siegmund Freuds hatte es nicht so mit der psychoanalytischen Betrachtung Einzelner, das war ihm zu plump. Er wollte ganze Massen beeinflussen, griff dazu die Erkenntnisse seines Onkels auf und verdichtete sie gleichwohl wie ein Alchemist zur Essenz der öffentlichen Manipulation. Daraus destillierte der junge Wiener 1928 das Buch "Propaganda", das später bei einem gewissen Josef Goebbels zur täglichen Bettlektüre gehört haben soll.
Der erste Satz führt bereits auf die Fährte: "Die bewusste und intelligente Manipulation der organisierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element der demokratischen Gesellschaft. Diejenigen, die diesen unsichtbaren Mechanismus der Gesellschaft manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die die wahre herrschende Macht unseres Landes ist." Klingt so, als hätte die Springer-Presse heimlich ihren Bernays studiert. Allerdings heißt es da nicht mehr Propaganda, sondern verschwurbelt "Public Relations", treffender "Kampagne" oder - noch schlimmer - Journalismus.
Ja, das alles fällt unter Meinungsfreiheit (manchem wäre die Freiheit von Meinung sicher lieber). Aber dann folgt unweigerlich jener Satz: Wo kämen wir denn bitteschön sonst hin? Mein Lieblingsspruch. Ich kann es ihnen nicht beantworten, aber Kurt Marti, ein Schweizer Pfarrer und Poet, hat das mal wunderbar hinterfragt: "Wo kämen wir hin, wenn alle sagten: Wo kämen wir hin? Und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge?"