Viele Medikamente sind knapp

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Viel Zeit verbringt der Kulmbacher Apotheker Hans-Peter Hubmann mit der Beratung von Patienten, wenn verordnete Medikamente nicht lieferbar sind. Das passiert zur Zeit häufig.Archiv/Stephan Tiroch
Viel Zeit verbringt der Kulmbacher Apotheker Hans-Peter Hubmann mit der Beratung von Patienten, wenn verordnete Medikamente nicht lieferbar sind. Das passiert zur Zeit häufig.Archiv/Stephan Tiroch

Liefer-Engpässe für zahlreiche Arzneimittel machen Apothekern und Patienten seit Monaten zu schaffen. Besserung ist nicht in Sicht - im Gegenteil.

Petra (Name geändert) ist eine engagierte junge Frau. Wer es nicht besser weiß, hält die Studentin aus dem Landkreis Kulmbach für kerngesund. Doch tatsächlich leidet die 25-Jährige unter mittelschweren Depressionen, die sie nur dank des Medikaments Venlaflaxin im Griff hat. Ohne diesen Arzneiwirkstoff sähe ihr Leben ganz anders aus: Schon nach zwei Tagen ohne Medizin drohen ein Rückfall in tiefe Depression, massive Angststörungen. Die Studentin würde sich nicht mehr unter Menschen trauen, statt zu lernen, käme sie gar nicht erst aus dem Bett. Es bestünde sogar akute Suizidgefahr, und sie müsste stationär in eine Klinik.

Genau dieses Szenario hängt wie ein Damoklesschwert über der jungen Frau. Venlaflaxin gehört zu den rund 230 Medikamenten, die derzeit auf dem deutschen Markt extrem knapp und von den Apotheken kurzfristig kaum zu beschaffen sind. Eine Katastrophe für Patienten wie Petra, denn der Wirkstoff ist einzigartig und durch nichts zu ersetzen. Nur dieses Präparat hilft der 25-Jährigen.

Hans-Peter Hubmann ist täglich mit der Mangelsituation konfrontiert. Der Sprecher der Kulmbacher Apotheker ist Vorsitzender des bayerischen Apothekerverbands und stellvertretender Bundesvorsitzender. "Engpässe gab es schon immer mal", sagt er, "aber in den vergangenen vier Jahren hat sich das Problem verschärft, und es wird immer schlimmer."

Hans-Peter Hubmann und seine Frau Angela betreiben vier Apotheken in Kulmbach. Täglich checken die Hubmanns per Computer die Verfügbarkeit gängiger Arzneimittel, bestellen knappe Produkte, sobald wieder ein paar Packungen am Markt sind. "Doch man bekommt selten die Menge, die man bestellt und braucht." Die Apotheker und ihre Mitarbeiterinnen müssen täglich einen hohen zusätzlichen Aufwand betreiben: Alternativen zu verordneten Medikamenten suchen, Rücksprache mit den Ärzten halten, Patienten beraten, die Lage erklären. 1.Welche Medikamente fehlen aktuell? Das geht quer durch alle Sparten: Schmerzmittel, Allergiemittel, Antidepressiva, Blutdrucksenker, Blutzuckermedikamente - Arzneien, auf die Millionen Kranke angewiesen sind. Ibuprofen fehlt häufig, lässt sich aber gut ersetzen, weil es viele Hersteller gibt. Bei Blutdrucksenkern wie Valsartan ist das dagegen nicht so einfach. Bei dem in China produzierten Arzneimittel wurden Verunreinigungen mit krebserregenden Nitrosaminen entdeckt. Durch die Rückrufaktion kam es zu einem akuten Mangel. Viele Patienten mussten auf einen Alternativwirkstoff umgestellt werden. Doch seit neuestem ist dieser ebenfalls nicht lieferbar.

Besonders dramatisch ist aktuell das Kurzzeit-Narkotikum Propofol, das vor allem im Klinikbereich bei lokalen Eingriffen wie Magen- und Darmspiegelungen verwendet wird. "Das ist derzeit extrem schwierig zu beschaffen." 2. Was ist die Ursache? Hans-Peter Hubmann formuliert es drastisch: "Der Hauptgrund ist das Überdrehen der Kostenschraube." Zwar spielten viele Faktoren eine Rolle, doch exklusive Rabattverträge seitens der Krankenkassen führten oft zur Abhängigkeit von einem Hersteller. Die Verlagerung der Wirkstoffproduktion in außereuropäische Länder, vor allem nach China und Indien, Qualitätsprobleme in Produktionsstätten und der weltweit wachsende Bedarf sind weitere Ursachen. "Wenn die Produktion an einer Stelle stockt oder die Qualität nicht stimmt, ist die ganze Versorgung in Frage gestellt." 3. Darf der Apotheker ein anderes Arzneimittel herausgeben, wenn das preisgünstigste nicht verfügbar ist? Die Apotheke muss zwingend den Rabattvertrag befolgen. "Geben wir ohne Begründung etwas anderes heraus, müssen wir das aus eigener Tasche bezahlen", erläutert Hubmann. "In begründeten Ausnahmefällen gibt es aber Spielräume: Die notwendige Versorgung des Patienten hat Vorrang." 4. Wie kann künftig eine bedarfsgerechte Versorgung gewährleistet werden? Die Apotheker plädieren für Wirkstoffproduktion in Europa, verbindliche Meldevorschriften bei Lieferengpässen, Verträge mit mehreren Anbietern. 5. Was rät der Apotheker Patienten und Ärzten? "Wer auf bestimmte Medikamente angewiesen ist, sollte mit Nachbestellungen nicht bis zum letzten Moment warten. Mindestens drei Wochen, bevor der Vorrat verbraucht ist, sollten sich die Patienten beim Arzt ein neues Rezept besorgen und sofort damit in die Apotheke kommen", sagt Hans-Peter Hubmann. "Mit ein bisschen Zeit finden wir fast immer eine Lösung. Hilfreich wäre für uns außerdem, wenn Ärzte vor der Verordnung von Medikamenten, die oft knapp sind, Rücksprache mit uns halten. So könnten wir vorab Alternativen besprechen."

Politik ist gefordert

Krise macht Veränderungen nötig

Der Markt kann das Problem der Arzneimittel-Engpässe nicht lösen. Die Politik ist gefordert, durch gesetzliche Vorgaben dafür zu sorgen, dass diejenigen, die auf Medikamente angewiesen sind, diese auch bekommen. Das verlangen nicht nur Apotheker, Ärzte und Patienten. Auch Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner sieht dringenden Handlungsbedarf. Als Mitglied der Arbeitsgruppe für Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sie gemeinsam mit ihren Kollegen ein Positionspapier erarbeitet.

Zeulner wünscht sich mehr Transparenz bei den Lieferketten, Einschränkungen für den Export von Arzneimitteln, verbindliche Meldepflichten bei drohenden Liefer-Engpässen, eine Rückverlagerung der Wirkstoffproduktion von Asien nach Europa. "Rabattverträge sollten nur ausgeschrieben werden, wenn mindestens drei Anbieter und zwei Wirkstoffhersteller vorhanden sind, die Vergabe auf mindestens zwei unterschiedliche Anbieter verteilt werden." Und was sagen die Krankenkassen zur Versorgungskrise? Vedrana Romanovic, Pressereferentin der AOK Bayern: "Mit unseren Rabattverträgen können Hersteller ihre Arzneimittelproduktion besser kalkulieren. Unsere Vertragspartner müssen bereits im Vergabeverfahren ihre Lieferfähigkeit nachweisen. Zudem schließen wir für gängige Wirkstoffe Rabattverträge mit mehreren Anbietern." Bei Engpässen empfehle die AOK die Umstellung auf alternative Wirkstoffe.

Kommentar

Mit Rotstift zum Notstand

Rabattverträge mit Preisnachlässen von mehr als 90 Prozent im Tausch gegen die Position des Platzhirschen auf dem Markt - dieser Deal zwischen Krankenkassen und Pharmakonzernen ist gefährlich und geht zu Lasten der Menschen, die auf Arzneimittel angewiesen sind.

Dass in unserer fortschrittlichen und wohlhabenden Gesellschaft wichtige Medikamente immer wieder über längere Zeiträume nicht verfügbar sind, ist eigentlich ein Skandal. Das Problem haben sich Deutschland und die EU-Länder allerdings weitgehend selbst eingebrockt. Ein knallharter Preisdruck zwingt Hersteller dazu, billigstmöglich zu produzieren, und das geht nur dort, wo Arbeitskraft billig ist und Auflagen hinsichtlich der Produktionsbedingungen gering sind. Dass diese Strategie langfristig nicht funktionieren kann, liegt eigentlich auf der Hand: Sie führt geradewegs in die Abhängigkeit.

Das Problem ist erkannt, aber eine schnelle Lösung wird es nicht geben: Es hat Jahre gedauert, den Karren in den Dreck zu fahren, man wird ihn nicht in ein paar Wochen herausziehen können. Doch wenn es gelingt, zumindest einen Teil der Wirkstoffproduktion nach Europa zurückzuholen (und entsprechend zu vergüten) und die Produktion insgesamt breiter aufzustellen, dann wird man künftig hoffentlich seltener in der Apotheke zu hören bekommen: "Tut uns leid, das Medikament ist gerade ausverkauft."