Umstrittener Piks

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Eine Impfung von Kindern unter 12, wie in den USA freigegeben, sehen Ärzte hierzulande eher kritisch.
Eine Impfung von Kindern unter 12, wie in den USA freigegeben,  sehen Ärzte hierzulande eher kritisch.
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Sollen Kinder unter 12 gegen Covid-19 geimpft werden? Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin will dem US-Vorbild folgen und sagt "yes". Kinderarzt Patrick Muzzolini hingegen hegt Zweifel an einer pauschalen Freigabe von Vakzinen.

In den USA wird nicht mehr lange gefackelt: Der Impfausschuss der Arzneimittelbehörde FDA hat dem Vakzin von Biontech/Pfizer jüngst die Zulassung für Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren erteilt. Die Gesundheitsexperten begründeten den Vorstoß damit, sie hielten den Nutzen einer Impfung bei dieser Altersgruppe für deutlich höher als eventuelle Risiken. In Deutschland zeigt sich die Ständige Impfkommission (Stiko) hingegen noch zurückhaltend, was die Freigabe der Impfstoffe für (Klein)-Kinder angeht.

Das sieht der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin offenbar anders: Angesichts gestiegener Corona-Inzidenzen bei jüngeren Altersgruppen setzt Jörg Dötsch auf zügige Covid-19-Impfungen auch bei Kindern. Er hoffe darauf, dass in den nächsten Wochen eine europäische Zulassung des Biontech-Impfstoffs für die Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen kommt, die dann auch in Deutschland übernommen werde, sagte er der Funke-Mediengruppe. Laut Dötsch seien solche Impfungen auch ohne ausdrückliche Stiko-Empfehlung "rechtlich abgesichert". Die Empfehlung könnte dann - nach genauer Prüfung der Daten zu Nebenwirkungen - in den Wochen darauf folgen.

"Vom Vorstoß überrascht"

Von dieser Einlassung einigermaßen überrascht zeigt sich Patrick Muzzolini. Der Kulmbacher Kinder- und Jugendarzt bekundet gegenüber der BR, der Verband sei damit "vorgeprescht". Muzzolini und seine bayerischen Obleute hatten sich beim jüngsten Austausch des Berufsverbands noch dahingehend verständigt, dass man prinzipiell die Stiko-Entscheidung abwarten wolle. "Für Risiko-Kinder mit Vorerkrankungen ist es eine gute Option, wenn diese besondere Gruppe den Impfschutz bekommen könnte", sagt der Mediziner.

Aber: Eine generalisierte Impfempfehlung könne er aus seiner Praxis daraus nicht ableiten. "Die Stiko wird sich hart tun damit, sollte sich bewahrheiten, dass die Biontech-Daten an nicht so vielen Kindern wie erhofft erhoben wurden. Da muss man genaue Zulassungszahlen abwarten. Wenn es sich um 3000 Kinder handelt, wie kommuniziert, wird es schwer sein, sich über seltene Nebenwirkungen zu äußern, weil dann die Datenlage - für mich jedenfalls - etwas zu dünn wäre."

Vorrang auf Erwachsenen-Impfung

Der Arzt gibt generell zu bedenken: Neben dem medizinischen müsse der psychosoziale Aspekt eine Rolle spielen. Heißt: Je nach weiterer Entwicklung der Coronalage werden Indikationen aus sozialen Gründen vielleicht stärker in den Mittelpunkt rücken. "Dann wäre das Ziel, nicht nur die Kinder per se vor der Erkrankung zu schützen, sondern auch gefährdete erwachsene Personen im Familienverbund, die sich - aus welchen Gründen auch immer - bislang nicht impfen lassen konnten oder wollten." Der Fokus müsse jedoch weiter auf der allgemeinen Impfbereitschaft der Erwachsenen liegen und weniger auf dem Impfstatus von Kindern unter 12. "Das hielte ich für den vorrangigen Ansatz, bevor man stattdessen vorschnell über flächendeckende Kinderimpfungen debattiert."

Einen Vergleich mit den USA sieht Muzzolini überhaupt zwiespältig. "Die Kinder dort und Kinder in Deutschland lassen sich objektiv nicht miteinander vergleichen. Die Kindergesundheit in Amerika ist eine ganz andere, es gibt in dieser Altersgruppe viel mehr chronische Krankheiten als bei uns, die Versorgung ist schlechter als bei uns. In den USA ist das Risiko für einen schweren Corona-Verlauf auch bei Kindern um ein Vielfaches höher."

Vergleichbarer seien Daten aus Israel. Dort werde das Impfen "großzügig" gehandhabt, sagt der Arzt. "Die Israelis hatten auch die ersten Daten bei den Zwölfjährigen, wo alles gut gegangen ist. Diesen Wert würde ich vorrangig als Referenz und damit Basis für unser weiteres Vorgehen ansehen."

Was aber, wenn Eltern ihr Kind unbedingt impfen lassen, aber nicht auf eine Zulassung von oberster Stelle warten wollen? Ohne Stiko-Empfehlung spricht man von einer Off-Label-Zulassung. Muzzolini: "Das muss man als Arzt unbedingt in einer individuellen Beratung klären und das Für und Wider abwägen. Ich selber würde bei absoluten Risikokindern mit der Gefahr eines schweren Verlaufs im Fall der Ansteckung mit Covid-19 wohl zuraten, aber generell sicher nicht, jedenfalls nicht heute. Das kann sich in einem Monat schon ganz anders darstellen, wenn sich die Datenlage verändert." Er glaubt , dass eine Empfehlung der Stiko für die Altersgruppe der unter Zwölfjährigen auf sich warten lässt.

Geteiltes Echo in der Politik

Bei der Politik stößt der Verbandsvorstoß auf geteiltes Echo. Landtagsabgeordneter Rainer Ludwig (Freie Wähler) verweist auf die Stiko als "kompetenter und verlässlicher Partner". Er lehnt eine vorzeitige Zulassung/Notfallzulassung ab, "da eventuell Folgen von Impfstoffen für Kinder unter 12 noch nicht ausreichend erforscht sind". Gerade bei Kindern und Jugendlichen habe der Curevac-Impfstoff gezeigt, dass dies die richtige Einschätzung ist. "Ich vertraue jedoch darauf, dass zeitnah ein sicherer Corona-Impfstoff auch für Kinder unter zwölf Jahren in Deutschland zugelassen und von der Stiko als Regelimpfung oder für besonders definierte Gruppen freigegeben wird. Falls bei Pfizer/Biontech diese Voraussetzung erfüllt werden, sehe ich einen Einsatz gerechtfertigt."

Für Ludwigs Landtagskollegin Inge Aures (SPD) hat der Schutz von Schülerinnen und Schülern Top-Priorität. "Lange genug mussten sie Einschränkungen in Kauf nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass unbedingt Schulschließungen vermieden werden müssen." Ihre Fraktion habe bereits im August die Empfehlung der Stiko zu Covid-19- Impfungen für Kinder ab 12 begrüßt, die Gefahr von Infektionen und auch Langzeitfolgen dürften nicht unterschätzt werden. "Deshalb sind wir als Politiker gut beraten, wenn wir auf die Fachleute der Wissenschaft hören."

Jüngster Klinik-Patient war 18

Die Corona-Lage am Klinikum stellt sich, was Kinder und Jugendliche angeht, entspannt dar, wie Geschäftsführerin Brigitte Angermann mitteilt. Demnach sei der jüngste Covid-19-Patient bis dato 18 Jahre alt gewesen. "Kinder unter zwölf Jahren sind im Klinikum generell eher selten. Insbesondere in den Abteilungen HNO, Allgemein- und Unfallchirurgie werden aber natürlich auch Kinder betreut."