Sterben die fränkischen Wirtshäuser aus?

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Sie halten ihrem Lösauer Wirt Helmuth Heller (stehend) die Treue - von links: Jörg Seifferth, Eva-Maria Schneider, Nadine Burger, Frank Warlich, Sven Ammon, Frank Witzgall und Max Grampp. Foto: Stephan Tiroch
Sie halten ihrem Lösauer Wirt Helmuth Heller (stehend) die Treue - von links: Jörg Seifferth, Eva-Maria Schneider, Nadine Burger, Frank Warlich, Sven Ammon, Frank Witzgall und Max Grampp. Foto: Stephan Tiroch
Seit 1829 in Familienbesitz: der Gasthof Heller in Lösau. Foto: Stephan Tiroch
Seit 1829 in Familienbesitz: der Gasthof Heller in Lösau. Foto: Stephan Tiroch
 
Sein Wirtshaus ist sein Leben: Helmuth Heller aus Lösau. Foto: Stephan Tiroch
Sein Wirtshaus ist sein Leben: Helmuth Heller aus Lösau. Foto: Stephan Tiroch
 
Kartenspielen, Fußballschauen und gemütliches Beisammensein - "meina Junga" kommen gern ins Wirtshaus, sagt Gastwirt Helmuth Heller. Foto: Stephan Tiroch
Kartenspielen, Fußballschauen und gemütliches Beisammensein - "meina Junga" kommen gern ins Wirtshaus, sagt Gastwirt Helmuth Heller. Foto: Stephan Tiroch
 
Nachdem die Brauerei Kern, Kirchleus, geschlossen worden war, gab's bei Heller in Lösau - 25 Jahre lang bis 1948 - Kulmbacher Rizzibräu; danach Reichelbräu und jetzt Kulmbacher. Foto: Stephan Tiroch
Nachdem die Brauerei Kern, Kirchleus, geschlossen worden war, gab's bei Heller in Lösau - 25 Jahre lang bis 1948 - Kulmbacher Rizzibräu; danach Reichelbräu und jetzt Kulmbacher. Foto: Stephan Tiroch
 
Stephan Ertl, Kreisvorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands: "Wir haben ein Wirtshaussterben." Foto: Archiv
Stephan Ertl, Kreisvorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands: "Wir haben ein Wirtshaussterben." Foto: Archiv
 
Veit Pöhlmann, Gastwirt aus Limmersdorf, setzt sich leidenschaftlich für den Fortbestand der Dorfwirtshäuser ein. Foto: Archiv
Veit Pöhlmann, Gastwirt aus Limmersdorf, setzt sich leidenschaftlich für den Fortbestand der Dorfwirtshäuser ein. Foto: Archiv
 
Oliver Lange, Stammtisch Rote Kastanie (Mönchshofgarten): "Ein Wirtshaus steht und fällt mit dem Wirt."
Oliver Lange, Stammtisch Rote Kastanie (Mönchshofgarten): "Ein Wirtshaus steht und fällt mit dem Wirt."
 
Bier-Experte Martin Ständner: "Man sollte es honorieren, wenn fränkische Gemütlichkeit gepflegt wird."
Bier-Experte Martin Ständner: "Man sollte es honorieren, wenn fränkische Gemütlichkeit gepflegt wird."
 

Der Lösauer Gastwirt Helmuth Heller glaubt, dass das Ende der Geselligkeit gekommen ist. Mit seiner Meinung steht er nicht allein. Doch es gibt Bestrebungen, etwas gegen den Verfall der fränkischen Wirtshauskultur zu tun.

Sein Wirtshaus ist sein Leben: Mehr Wirt als Helmuth Heller kann man nicht sein. In Lösau betreibt er in der fünften Generation das Gasthaus, das seine Familie seit 1829 bewirtschaftet. Von seiner Oma Frieda und seiner Mutter Rosa hat er gelernt, was ein Gastwirt zu tun hat. "Dass ich am Tresen steh' und ein Bier ausschenk', ist das Wenigste", sagt er und harrt aus, bis der letzte Gast ausgetrunken hat. Die Geselligkeit, das Gespräch in der Wirtsstube, so Heller, sind unverzichtbar: "Das macht die fränkische Wirtshauskultur aus."

Seine Gäste wissen, was sie an ihrem Wirt haben. "Am schönsten ist's, wenn der Helmuth seine Geschichten erzählt", meint Max Grampp. Und davon kennt der 62-Jährige genug, vor allem von der Gaudi, "die wir im Wirtshaus schon gehabt haben".

"Besser als Disco"
Deshalb treffen sich Max und seine Freunde auch regelmäßig im Dorfwirtshaus. "Wir kommen mehrmals in der Woche", sagt Jörg Seifferth, "das ist besser als Disco, lustiger auf jeden Fall." Die Lösauer Jugend hält ihrem Wirtshaus die Treue. Auch, "weil's immer schon so war", wie Frank Witzgall betont. Und Heller tut was für seine jungen Leute. Sogar eine Großleinwand gibt es, "wenn sie Bundesliga schauen wollen".

Doch auch der Lösauer Wirt bekommt die neue Zeit zu spüren, die für viele Wirtshäuser das Aus gebracht hat. Drei von vier Dörfern in Bayern haben schon kein Wirtshaus mehr. Das fuchst den 62-Jährigen. Denn: "Unsere Wirtshauskultur geht kaputt." Er erwartet, dass mit der Geselligkeit auch der Zusammenhalt im Dorf den Bach runtergeht. "Wenn die Wirtshäuser zumachen, dann stirbt das Dorfleben."

Besonders betroffen ist nach seiner Ansicht der Kulmbacher Raum. "Schau dich doch mal in den Dörfern um, wo überall das Wirthaus zugemacht hat." Auch in Lösau wird es nicht mehr ewig weitergehen, denn der Gastwirt - früher zugleich Landwirt und Betriebselektriker bei KKW - hat selbst keinen Nachfolger. Sein Sohn ist in den USA verheiratet.

Gäste schauen auf jeden Cent
Heller sieht eine Ursache für das Wirtshaussterben darin, dass die junge Generation vielfach keine Lust hat, den Familienbetrieb zu übernehmen. Was den Wirten jedoch vor allem zu schaffen macht, ist die Mentalität der Gäste. "Die trinken ihr Bier zu Hause, feiern lieber privat, im Vereinsheim oder in der Dorfhalle", so der Lösauer. Bei der Urlaubsreise oder bei der Sonderausstattung fürs neue Auto werde nicht gespart, im Gegenteil. "Doch beim Essen und Trinken wird auf jeden Cent geschaut."

Heller weiter: " Da ist es kein Wunder, dass ein Wirt nach dem anderen das Handtuch schmeißt. Und gerade diejenigen, die ihrem Wirt das ganze Jahr den Rücken kehren, beklagen dann den Verlust der Dorfwirtschaft. Was für ein Hohn!"

Rentabilität fehlt
Stephan Ertl gibt seinen Berufskollegen recht. "Wir haben ein Wirtshaussterben", sagt der Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands. "Das liegt daran, dass die erforderlichen Preise bei uns in der Region nicht genommen werden können, weil's die Gäste nicht akzeptieren. Und wegen der fehlenden Rentabilität findet man keinen Nachfolger, der sich für das wenige Geld hinstellt." Außerdem habe sich das Ausgehverhalten geändert. Italienisch, Griechisch oder Chinesisch stehe höher im Kurs als Fränkisch. Laut Ertl soll das Wirtshaussterben im Mittelpunkt eines Arbeitskreises stehen, den die IHK Bayreuth gründen will.

Dort wird auch Veit Pöhlmann mit am Tisch sitzen, der in Limmersdorf selbst ein Dorfwirtshaus betreibt. Er spricht von einer dramatischen Situation. "Es ist fünf vor zwölf, und der Verfall beschleunigt sich. Wenn man's nicht in den nächsten fünf Jahren angeht, ist nichts mehr zu retten, weil keine Basis mehr da ist."

Er setze sich so leidenschaftlich für die Dorfwirtschaften ein, weil sonst in der Dorfkultur ein entscheidender Faktor fehlt: "Vergleichbar mit der Kirche."

"Yes, we can!"
Nach seiner Ansicht muss man professionell an die Sache rangehen, "sonst bringt es nichts". Der genannte Arbeitskreis könne ein erster Schritt sein. Er schlägt eine professionelle und groß angelegte Studie mit einer Analyse der vielschichtigen Problematik vor: Ob die Dorfbevölkerung ein Dorfwirtshaus überhaupt will? Ob die Brauereien, die Kommunen und die Politik an deren Erhaltung interessiert sind? "Für so eine Studie muss man Geld in die Hand und sich zwei oder drei Jahre Zeit nehmen. Aber am Schluss haben wir etwas Handfestes mit konkreten Lösungsansätzen, dass wir sagen können: Yes, we can!"

Helmut Heller schwärmt derweil davon, wie es früher war, als im Wirtshaus jedes Familienfest ("von der Taufe bis zur Bahre") gefeiert worden ist, als sich die Leute zum Dämmerschoppen oder zum Kartenspielen getroffen haben. So lange er kann, wird er weitermachen - als einer der Letzten, die die Kultur der fränkischen Dorfwirtshäuser pflegen. Er beobachtet draußen das Schneetreiben und meint: "Eine alte Wirtstube, warm und gemütlich - im Winter gibt's doch nichts Schöneres."



Zwei Kulmbacher Stammtischler haben das Wort
Martin Ständner: Leider werden es immer weniger alte Wirtshäuser, wo fränkische Gemütlichkeit gepflegt wird. Aber man sollte die echte fränkische Gastlichkeit zu schätzen wissen und es honorieren, wo es gemütlich ist und wenn gut gekocht wird. Man kann nur hoffen, dass solche Wirtshäuser auch weiterhin Bestand haben.

Oliver Lange: Grundsätzlich ist es schade, wenn so eine Tradition zu Ende geht. Aber das ist der Lauf der Zeit. Doch es wird nicht alle Gastwirtschaften am treffen: Ein Wirtshaus steht und fällt mit dem Wirt. Gerade wenn sich ein Stammtisch im Wirtshaus seines Vertrauens wohlfühlt, dann gehen die Leute da auch hin.