Jacob Schramm aus Eppenreuth fährt Skirennen und nimmt es als Flachländer mit den Alpenkindern auf. Heuer stehen für ihn noch 20 Rennen auf dem Programm. Und er beschreibt, was man im Wettkampf denkt, besser: nicht denkt.
Knapp 15 Jahre alt, hat Jacob Schramm schon sechs, sieben Jahre als Skirennläufer auf dem Buckel. Der Eppenreuther gilt als großes Skitalent. Er hat sich noch nicht auf eine Spezialdisziplin festgelegt, darf aber als U 16-Fahrer sowieso nur bei Slalom und Riesenslalom starten. Für den Nachwuchs sind Super G und Abfahrt tabu.
Bei den Rennen im deutschen Schüler-Cup muss er es mit Alpenkindern oder Schülern des Skigymnasiums Berchtesgaden aufnehmen, die zweimal oder dreimal so viel Schneetraining absolvieren können. In der deutschen Spitze seines Jahrgangs - derzeit liegt er auf Platz 12, war aber auch schon mal Zweiter - ist Jacob der einzige Flachländer und froh, dass er trotz der derzeit schlechten Schneelage im Fichtelgebirge trainieren kann. Am Hempelsberg in Oberwarmensteinach hat der Liftbetreiber für das Skitalent mit Kunstschnee eine Grund lage geschaffen, dass zumindest Techniktraining möglich ist.
Für den Schüler aus dem Grafengehaiger Ortsteil stehen heuer noch 20 Rennen auf dem Programm. Und er hat sich Gedanken gemacht, was beim Wettkampf im Kopf eines Skirennläufers abläuft.
Adrenalin hilft Jacob Schramm: "Man steht am Start und gleich geht's los. Die Aufregung ist gut, denn das Adrenalin hilft dem Körper, Höchstleistungen zu erbringen. Tief durchgeschnauft und zwei-, dreimal oder sechs-, siebenmal auf die Brust geschlagen, um sich zu pushen, um sich voll motiviert und mit aller vorhande nen Energie rauszukatapultieren.
Dann wird es ernst. Der Starter schließt die Schranke. Es kommt die Frage: "Bereit?" Du antwortest nicht, hebst die Stöcke über die Schranke und steckst sie in den Schnee. Während des Kommandos ,3, 2, 1 - los!' wirst du wild, aber bloß nicht übermotiviert. Du startest in den zuvor lange besichtigten Lauf.
Kollegen, Trainer und Eltern schreien dich hinaus aus dem Starthäuschen, und du greifst ab der ersten Sekunde an.
Alles, was du kurz vorm Rennen noch mal wiederholt hast, musst du jetzt abrufen: Hüftknick und immer den Außenski belasten; Knie vor, Hände vor; in der steilen Passage von hinten kommen; und: voller Angriff.
Stell dir vor, es geht um alles. Olympia 2014 in Sotschi, zweiter Durchgang, du bist Erster, hast aber nur vier Hundertstel Vorsprung. Eine ganze Nation fiebert mit und würde dich den Hang hinunterbrüllen. Würdest du alles geben oder lieber als Vierter ins Ziel kommen? Klar ist das Risiko hoch, durch einen kleinen Fehler auszufallen. Aber wenn man etwas riskiert, kann man auch viel gewinnen.
Volle Rille im Weltcup-Zirkus Wer nicht auf voller Rille fährt, hat im Weltcup-Zirkus nichts zu suchen.
Man kann alles verlieren durch einen Sturz, einen Einfädler - aber das ist eben reine Nervensache. Man lebt für den Skisport, man trainiert auf solche Momente jahrelang hin, und wenn er da ist, denkt keiner: Na ja, 2. oder 3. Platz ist auch gut. Es geht nur ums Gewinnen und das, was danach kommt: Ruhm, Ehre und noch mal verdammt viel Training ... Man darf nicht nachlassen in diesem Sport, und wer das nicht versteht, kann nicht dauerhaft oben stehen.
Nun kommt die vierte, fünfte, sechste Stange, und das Rennen läuft gut. Was ist zu tun? Natürlich, man riskiert, um zu gewinnen! Alles aus sich rausholen, nicht schön fahren, sondern schnell, was auch Fehler mit sich bringt wie Rückenlage oder Innenski.
Ted Ligety ist hirnlos, aber der Beste Jetzt kommt d i e Stelle. Die Stelle aller Stellen in diesem Lauf.
Du bist hier ein paar Minuten gestanden, um dir genau einzuprägen, was man richtig machen muss, um nichts falsch zu machen. Aber eigentlich kann man hier nur falsch fahren, denkst du. Du denkst! Wenn du zu denken anfängst, wird's nichts. Du musst fast schon hirnlos, ohne nachzudenken, so schnell es geht den Berg hinunter- und um die roten und blauen Stangen herumkommen. Siehe Ted Ligety. Der Typ ist einfach nur hirnlos, aber der Beste im Riesenslalom. Im Bruchteil einer Sekunde, in dem du nachdenkst, schleichen sich mehr Fehler ein als in einem ganzen Lauf, in dem du nicht nachdenkst. Wenn man also an die Stelle der Stellen kommt, dann zieht man ganz einfach durch, bringt den Ski auf Zug und drückt sein ganzes Gewicht auf die Außenkante.
"Bestzeit!" Kurz vor dem Ziel, das Flachstück. Jetzt bloß nicht nachlassen! Du wiegst weniger als die meisten Konkurrenten.
Na und! Du fährst verdammt noch mal viel besser als die andere Grattler! Also geh so tief du kannst und drück in den Kurven weniger als zuvor im Steilstück, damit du dich nicht in den Schnee eingräbst und Zeit verlierst.
Es kommt das letzte Tor, ein rotes, auf dich zu. Noch ein paar Meter, und du bist im Ziel. "Bestzeit", tönt es aus dem Lautsprecher - und nun beginnt der richtige Nervenkitzel. Du kannst es kaum glauben, du hattest ein schlechtes Gefühl. Doch dein schlechtes Gefühl war besser als das der anderen.
Jetzt folgt der Countdown. Die besten Läufer sind noch oben. Du siehst dich schon geschlagen, jeden Gegner vorne liegen. Doch irgendwie fehlen immer ein paar Zehntel oder Hundertstel. Der stärkste Konkurrent kommt zum Schluss. Seine Zeit scheint stehenzubleiben - aber er auch.
Er hat einen größeren Fehler gemacht.
Du kannst es kaum glauben, dass du mit etwas Glück und purem Adrenalin gewonnen hast. Die ersten Glückwünsche erreichen dich, und die Berg- und Talfahrt deiner Gefühle endet auf dem Gipfel des Mount Everest. Du bist der Sieger. Du, der eigentlich schon abgeschrieben war und es allen zeigen konnte. Ein wahrer Nervenkitzel, diese Sportart."