Der Landkreis Kulmbach war in der letzten Woche der einzige Kreis in Bayern, bei dem die Corona-Ampel auf Gelb stand. Ob es ein Erfolgsrezept gibt?
Viola Topf und Nina Ruckdäschel haben in diesem Jahr viele stressige Arbeitstage erlebt. Tage, an denen sie zig Überstunden geschoben haben, an denen nicht um 17 Uhr, sondern erst nach 22 Uhr Feierabend war. Topf und Ruckdäschel gehören zum Contact-Tracing-Team des Gesundheitsamtes, das dem Corona-Virus auf der Spur ist. Ihre Aufgaben: positiv auf Covid19 getestete Personen und deren Kontaktpersonen kontaktieren, sich um die Nachverfolgung kümmern, bei der Überwachung der Quarantäne mitarbeiten.
2000 waren in Quarantäne
Als es im Landkreis Kulmbach Ende Oktober 140 positive Fälle und 2000 Personen gab, die als Kontaktpersonen unter Isolation standen, hatten sie Großkampftage zu bewältigen. "Ich habe mich am früheren Nachmittag am Telefon schon mal mit ,Guten Morgen' gemeldet, weil man teilweise nicht mehr wusste, wo einem der Kopf steht", sagt Viola Topf. Zeit zum Durchschnaufen habe es kaum gegeben, als der Inzidenzwert pro 100 000 Einwohner im Kreis beim bisherigen Höchstwert von 198 lag.
Im Dauereinsatz
Wie viele Telefongespräche sie da am Tag getätigt hat, das kann auch ihre Kollegin nicht beantworten. Zu viele waren es. Weil man ständig an der Strippe war, sei es abends teils schwergefallen, "noch einen vollständigen Satz zu bilden", berichtet Nina Ruckdäschel, die am Arbeitsplatz selbstverständlich einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Es ist kein Wunder, dass die Stimme fast versagt, denn pro positiv Getestetem müssen im Durchschnitt 15 bis 20 Kontaktpersonen schnellstmöglich informiert werden
Bayernweit in den Medien
Mitte November sind die Arbeitstage für Topf, Ruckdäschel und ihre Kollegen ruhiger geworden. Es bleibt sogar Zeit, Akten aufzuarbeiten. Wer die Übersichtskarte des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit betrachtet, erkennt den Grund. Kulmbach hat in dieser Woche Gelb geleuchtet (der Inzidenzwert lag pro 100 000 Einwohner unter 50), während die Corona-Ampel in den allermeisten anderen 70 Kreisen und 25 kreisfreien Städten auf Rot (Inzidenzwert 100 bis 200) oder gar Dunkelrot (über 200) stand. Der Landkreis hat Schlagzeilen gemacht, wurde in den Medien als Gallisches Dorf bezeichnet, das sich gegen den Feind des Jahres 2020, das Coronavirus, nach besten Kräften wehrt. Erst gestern hat die Stadt Bayreuth nachgezogen, auch die 50er-Grenze unterschritten.
Das Rezept?
Gibt es ein Kulmbacher Erfolgsrezept? Eine Frage, die Landrat Klaus Peter Söllner (FW) und dem Leiter des Krisenstabs am Landratsamt, Oliver Hempfling, immer wieder gestellt wurde. Und auf die beide keine dezidierte Antwort geben konnten. "Wir freuen uns, haben aber keinen Grund zum Jubeln. Wir müssen weiter wachsam sein", sagte Söllner auch im Gespräch mit unserer Zeitung. Denn der Landkreischef weiß, dass die Zahlen nur Momentaufnahmen sind, sich die Lage innerhalb weniger Tage wieder zum Negativen verändern kann. Eine Erfahrung, die Kulmbach schon mal gemacht hat. Während der ersten Welle im Frühjahr war der Landkreis für kurze Zeit der einzige in Bayern, in dem es keinen positiv Getesteten gab, gehörte wenig später dann aber zu den drei bayerischen Kreisen, die den Inzidenzwert 50 gerissen hatten.
"Es gehört immer etwas Glück dazu", sagt Söllner, der betont, dass das Team des Landrats- und Gesundheitsamtes einen immensen Beitrag leistet, um dem Glücksgefühl den Weg zu bereiten: mit akribischer Arbeit. Schon zu Beginn der Pandemie habe man eine klare Führungsstruktur aufgebaut, "was sich jetzt noch auszahlt".
Täglich finden Sitzungen statt, bei denen die aktuelle Lage besprochen wird. Söllner macht deutlich, dass es allen voran Oliver Hempfling und die Leiterin des Gesundheitsamtes, Camelia Fiedler, sind, die Großartiges leisten. Beide haben organisiert, die Mitarbeiter motiviert. Dass Fiedler und Hempfling gefordert sind, wird allein an der gewaltigen Zahl der Überstunden deutlich. Hempfling kommt seit März auf 700, Fiedler auf 400.
Auf die Schnelligkeit kommt es an
Die Medizinerin und der Jurist wollen sich aber nicht in den Vordergrund drängen, denn sie wissen, dass auch die Mitarbeiter den Stift nach acht Stunden nicht fallen lassen. "Wir arbeiten bei uns sieben Tage in der Woche. Auch am Sonntag kann es 23 Uhr werden", sagt Fiedler, die uns ein Kulmbacher Erfolgsrezepte nennt: "Die schnelle Ermittlung der Kontaktpersonen. Auf die kommt es nämlich an."
Auch Gruppen-Chats helfen
Um diese sicherzustellen, haben Viola Topf und Nina Ruckdäschel Nachtschichten eingelegt, auch schon zwischen 200 und 300 Überstunden angehäuft. Dass diese geleistet werden, sei deren Pflichtbewusstsein zu verdanken, sagt Oliver Hempfling. Wird am Abend noch ein positiver Fall bekannt, gilt es, die Kontaktpersonen rasch zu informieren, um nicht wertvolle Zeit verstreichen zu lassen. "Manchmal geht man da ungewöhnlichen Wege. Hat sich ein Fußballer infiziert, kann es vorkommen, dass man ihn darum bittet, die Teamkameraden über Chat-Gruppen zu verständigen, damit sie sich gleich isolieren." Es gelte, zu jeder Tag- und Nachtzeit schnell zu agieren, um dafür zu sorgen, dass sich die Kontaktpersonen zügig in Quarantäne begeben. Rechtliche Hinweise und Belehrungen könnten dann am Tag darauf erfolgen.
Die anderen sind nicht schlechter
Dass auch die Nachbarkreise Kronach und Lichtenfels, die derzeit von der Gelben Ampel nur träumen können, keine schlechtere Arbeit machen, davon ist Landrat Klaus Peter Söllner überzeugt. Dass viele Großstädte dunkelrot sind, verwundert ihn nicht. Dort sei eine Nachverfolgung ungleich schwerer, vor allem aufgrund der Bevölkerungsstruktur. In Kulmbach zahle sich auch aus, dass die Strategie "Testen, testen, testen" eisern verfolge werde. Im Testzentrum in der Flessastraße wurden seit dem dortigen Startschuss Mitte September fast 8000 Abstriche genommen, am Klinikum seit Beginn der Pandemie 10 000. "Auch die niedergelassenen Ärzte leisten einen wichtigen Beitrag", stellt Oliver Hempfling fest, der wie Camelia Fiedler froh ist, dass das Personal am Gesundheitsamt aufgestockt worden ist. Gab es Anfang des Jahres elf Mitarbeiter, so sind es jetzt 23. Viele sind in der Nachverfolgung tätig. "Für Dezember wurden weitere fünf Kräfte zugesagt", teilt Fiedler mit.
Es gibt auch Drohungen
Die Mitarbeiter müssen einiges ertragen. Da sind schon mal Drohungen dabei, berichtet Oliver Hempfling. Viola Topf und Nina Ruckdäschel sprechen von teils bissigen und frechen Kommentaren der Gesprächspartner am Telefon. "Es gibt immer wieder Leute, die nicht einsehen, dass die Quarantäne bindend ist, dass man nach einem positiven Test nicht gleich aus der Isolation entlassen wird."
Derzeit müssen sich die beiden Mitglieder des Contact-Tracing-Teams weniger ärgern, denn die Zahl derer, die in Quarantäne sind, ist gesunken. Die Ampel steht auf Gelb, doch sind Topf und Ruckdäschel darauf vorbereitet, dass sie bald wieder Sonderschichten einlegen müssen. "Ich hoffe, dass das momentan nicht die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist", sagt Nina Ruckdäschel, die wie Landrat Söllner weiß: "Die Zahlen sind nur eine Momentaufnahme."