Zum 175jährigen Jubiläum der Zinnfigurenfabrik Heinrichsen in Nürnberg zeigt das Deutsche Zinnfigurenmuseum auf der Plassenburg bis 20. Oktober 2015 eine Zinnfigurenausstellung der besonderen Art: mit Heinrichsen-Figuren. Zu sehen sind zauberhaften Welten in Miniatur.
Eine Pferdekutsche fährt vor dem Lustgarten vor und hält an. Auf dem Kutschbock sitzt ein freundlich lächelnder Kutscher, herrschaftlich ausgestattet mit leuchtend blauem Mantel, mit Knickerbocker-Hose und roten Wams. Auf dem Kopf prangt ein steifer Zylinder. Im Inneren der Kutsche sitzt das herrschaftliche Ehepaar: Jedes kleine Detail, der nur wenige Zentimeter großen Figur ist ausgearbeitet - sogar hauchzarte Rüschen an der Kopfbedeckung der Frau. Die Nieten, mit denen die Kutsche verziert ist, die Polsterung der Kutsche ist mit Schatten gemalt. Und sogar die Gesichter der Menschen sind liebevoll bis ins kleinste Detail dreidimensional gestaltet.
Diese feine -Zinnfigurenarbeit aus der Werkstatt Heinrichsen in aufwändiger Sammlerbemalung ist eine der absoluten Höhepunkte, findet auch Brigitte Grobe, die heutige Inhaberin der Firma Heinrichsen. Doch in dem Lustgarten gibt es noch viel mehr zu entdecken; Springbrunnen, spielende Kinder, eine feine Dame mit Cockerspaniel Mädchen oder einen Kavalier, der für seine Angebeteten eine rote Rose pflückt. Für die heutige Inhaberin der Traditionsfirma Heinrichsen ist die Gartenszene, die derzeit auf der Plassenburg zu sehen ist, eines der schönsten in der gesamten Ausstellung.
"Zinnfiguren sind nicht nur Soldaten", bricht Grobe immer wieder eine Lanze für die vielen anderen Motive, denen sich die Nürnberger Traditionsfirma angenommen hat. Auf der Plassenburg sind viele naturkundliche Darstellungen zu sehen, Tiere oder der zoologische Garten, der 1869 graviert worden ist und den Graf Bülow von Dennewitz zur Verfügung gestellt hat. Selbst Bürgermeister Frank Wilzok und der stellvertretende Landrat Jörg Kunstmann standen zur Eröffnung staunend vor den unglaublich bunten Schaukästen, die mit Tausenden von Figuren ausgestattet sind. Viele Sammler haben ihre Kunstwerke zur Verfügung gestellt.
"Zinnfiguren zeigen uns eine Welt en miniature: ob als Spielzeug oder lehrhaftes Anschauungsmaterial in Form von Menschen, Tieren, Pflanzen, Gebäuden, Fahrzeugen und vielem mehr. Als Einzelfigur oder im Diorama illustrieren sie uns Geschichten, Mythen und Ereignisse. Heute gibt es Zinnfiguren aus allen Bereichen der darstellenden Kunst, von der historischen Figur über Fantasy und Science Fiction bis hin zum Weihnachtsbaumschmuck", so Wilzok.
Die Traditionsfirma Heinrichsen wurde vor 175 Jahren gegründet, blickte Grobe zur Eröffnung der Zinnfigurenausstellung selbst zurück. Natürlich gibt es Zinnfiguren viel länger - schon seit der Antike. Die älteste bekannte deutsche Zinnfigur stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde bei Magdeburg entdeckt. Und ab Mitte des 16. Jahrhunderts gewannen die Zinnfiguren dann auch für das gesellschaftliche Leben an Bedeutung. Nürnberg wurde zum Zentrum der Zinnfigur.
Im 18. Jahrhundert waren es vor allem die Zinnsoldaten, die Kinder und Erwachsene begeisterten. "Zinnfiguren erfreuten sich so großer Beliebtheit, dass sie Anfang des 19. Jahrhunderts viele andere Spielmöglichkeiten aus den Kinderzimmern verbannt haben", sagte Wolfgang Weiß, der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft der Freunde und Sammler kulturhistorischer -Zinnfiguren und Konzeptersteller der Ausstellung bei der Eröffnung der Heinrichsen-Ausstellung. Schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts war die Nürnberger Offizin Heinrichsen Weltmarktführer. Das bedeutet, das vier bis fünf Millionen-Zinnfiguren allein aus der Firma Ernst Heinrichsen pro Jahr vermarktet worden sind. Und das bei 25 bis 45 Mitarbeitern. Bei dem Nürnberger Unternehmen waren zwischen 100 und 160 Malerinnen beschäftigt. Und ab 1920 wurden die Zinnfiguren immer realistischer gestaltet, um die deutsche und internationale Geschichte möglichst exakt darstellen zu können.
Gegründet wurde die Firma von Ernst Heinrichsen, verlas die Leiterin des Zinnfigurenmuseums auf der Plassenburg Corinna Greb die "Akta des Magistrats der Königlich-Bayerischen Stadt Nürnberg". "Ich wünsche neben meinem Geschäft als Graveur in Stein, Gold und anderen Metallen auch in Schiefer Spielwarnfiguren zu gravieren und solche aus Metallcompositonen zu giessen, und zwar Gegenstände, welche von den wenigen Zinngiessern dahier nicht verfertigt werden, in dem dieselben am alten Schlendrian, kleine Soldaten zu verfertigen, hängen bleiben", beantragte Ernst Heinrichsen im August 1839 die Lizenz zum Zinngießen. Von Anfang an legte er großen Wert auf genaue und detailgetreue Gravuren. Allerdings wurden die ersten Figuren noch in "Fabrikbemalung" verkauft. Und die war nicht sehr detailgetreu, zeigt die Ausstellung in den Räumlichkeiten der Plassenburg. "Die Malerinnen mussten pro Tag hundert Figuren bemalen"; erklärt Grobe die Hintergründe. Auch solche Fabrikbemalungen sind in der Ausstellung zu sehen - und sogar die kleinen Kästchen, in denen die Zinnfiguren einst ausgeliefert worden waren und die Malhinweise sind noch vorhanden und werden in der Ausstellung gezeigt.
Besonders bestaunenswert ist beispielsweise der Nürnberger Christkindlesmarkt - er ist in Fabrikbemalung zusehen und in feiner Sammlerbemalung. Ein unglaublicher Unterschied.
Nach dem Tod von Ernst Heinrichsen übernahm Wilhelm, sein Sohn, das Geschäft. Er verfasste zusätzlich Textbüchlein für die Jugend zu den Zinnfiguren. Und seit 1906 nahm Wilhelm auch erwachsene Liebhaber und Sammler ins Visier, verteilte regelmäßig Warenverzeichnisse. Und diesem Weg folgte auch Ernst Willhelm Heinrichsen, der nach Wilhelms Tod 1908 die Geschäfte übernahm und ab 1909 Serien auf Anregung und nach Wünschen von Sammlern nach-fertigen ließ.
Nach dem Krieg allerdings ließ das Interesse nach Zinnsoldaten nach. Die Firma produzierte noch bis 1938. Dann endete die schöpferische Zeit der Offizin Heinrichsen, erklärte Greb und freute sich über die vielfältige und gelungene Ausstellung.
Bei der Ausstellung betonte Wolfgang Weiß, selbst ein passionierter Sammler der Heinrichsen-Figuren, dass Anfang der achtziger Jahre die ersten Serien der Neuabgüsse erschienen sind. Und tatsächlich hat Grobe 16.000 Formen geordnet und katalogisiert. Immer wieder werden ganze Serien neu aufgelegt. Und die sind für Sammler natürlich auch heute noch besonders begehrenswert.