Die Kulmbacherin Bianca Kellerer ist von Geburt an blind. Ihr Führhund Lion ist ein treuer Begleiter und bringt sie auch zum Arbeitsplatz. Die vielen Baustellen in der Innenstadt bremsen das tierisch-menschliche Gespann derzeit aber aus.
"Such Zebra!" lautet das Kommando, das Bianca Kellerer gibt, als sie in der Friedrich-Schönauer-Straße über die Fahrbahn zum Paul-Gerhardt-Kindergarten laufen will. Labrador Lion spitzt die Ohren, reagiert auf das eingeübte Kommando und bleibt wenige Meter weiter am Zebrastreifen stehen. Lion stellt sich quer, macht seinem Frauchen klar, dass ein Hindernis kommt. Die 45-Jährige ertastet mit dem Langstock die Bordsteinkante. Als ein Auto stoppt, betreten beide die Fahrbahn und queren die Straße. Es ist eine alltägliche Szene, die eines deutlich macht: Bianca Kellerer, die von Geburt an blind ist, und ihr tierischer Begleiter Lion, ein ausgebildeter Blindenführhund, sind ein eingespieltes Team.
Sie meistern ihr Leben
Blind und trotzdem selbstbestimmt leben - Bianca Kellerer und ihr Mann Georg (46) sind ein Beispiel dafür, dass das funktioniert. Beide besitzen keine Sehkraft, beide meistern ihr Leben aber trotz des Handicaps in bewundernswerter Weise. Die Eheleute haben zwei Kinder (12 und 16), die keine Probleme mit dem Augenlicht haben, sind beide berufstätig. Bianca Kellerer arbeitet als Bürokauffrau in der Verwaltung, ihr Mann hat Wirtschaftsinformatik studiert und ist beim Landesamt für Umwelt in Hof beschäftigt.
"Er gibt mir Sicherheit"
In der vertrauten Umgebung kommen sie ohne große Hilfe zurecht, geht es aus den eigenen vier Wänden, benötigen beide Unterstützung. Georg Kellerer greift zum Langstock, um sich zu orientieren ("Ich will mich niemand anderem anvertrauten"), seine Frau Bianca verlässt sich zusätzlich auf Lion. "Er gibt mir Sicherheit", sagt die 45-Jährige, für die der Vierbeiner ein treuer Begleiter ist, mit dem sie auch den Fußweg zu ihrem Arbeitsplatz in der Kulmbacher Innenstadt zurücklegt.
Die Patenfamilie
Wie ein Vierbeiner zum Blindenführhund wird? Für Mensch und Tier steckt viel Arbeit dahinter. Nach einem Wesenstest, in dem Lion die Eignung attestiert worden ist, hat er sein erstes Lebensjahr in einer Patenfamilie verbracht, bei der er das Einmaleins des guten Hundebenehmens wie die Kommandos "Sitz", "Platz" und "Bleib" kennengelernt hat. Nach der anschließenden mehrmonatigen Ausbildung in einer Erfurter Führhundeschule ist Bianca Kellerer zum ersten Mal mit Lion in Kontakt gekommen.
"Ein verkehrssicheres Gespann"
In Thüringen wurde ihr Zusammenspiel geschult. "Dort habe ich gelernt, auf welche Kommandos Lion reagiert, wie ich neben dem Hund laufen muss, dass konsequente Anweisungen das A und O für das Zusammenspiel mit dem Blindenführhund sind", sagt Bianca Kellerer. Ein Ausbilder hat sie und den Labrador in der Folge nach Kulmbach begleitet, um die alltäglichen Laufwege einzustudieren. Abgeschlossen wurde die Ausbildung mit einer Gespannprüfung. Ein Prüfteam habe festgestellt, "dass Lion und ich ein verkehrssicheres Team sind", so die 45-Jährige.
Die "Dienstuniform"
Seitdem steht ihr der dreijährige Labrador treu zur Seite. Legt Bianca Kellerer ihm das Führgeschirr an, weiß der Hund, dass er im Dienst ist. "Nehme ich ihm das Geschirr ab, hat er frei und kann spielen. Dann kann er sich austoben, denn auch ein Blindenführhund braucht seinen Freilauf." Trägt der Vierbeiner die "Dienstuniform", hört er auf die einstudierten Zeichen. "Bord links!" ist so ein Signal, bei dem er einen Schwenk links auf den Bordstein macht. Bei "Such Ampel!" bleibt der Vierbeiner an der nächsten Lichtanlage stehen. "Er setzt sich an die Ampel oder springt an den Pfosten, damit ich weiß, wo ich die Signaltaste drücken kann", schildert Bianca Kellerer, die sich über jede Signalampel freut ("In Kulmbach gibt es da leider zu wenig"), die ihr anzeigt, wann das Lichtsignal auf Grün springt. "Lion kann mir da nicht helfen, denn zwischen Rot und Grün unterscheidet er nicht." Kommt kein Signal, orientiert sich die 45-Jährige oft an anderen Fußgängern oder am anfahrenden Parallelverkehr. "Wenn ich den höre, kann ich loslaufen."
"Intelliegente" Gehorsamsverweigerung
Geht es eine Treppe hoch, führt der Hund sein Frauchen zur Treppe. Dann presst er sein Hinterteil an ihr Bein und läuft langsam die Stufen hinauf. "Er weiß, dass Rolltreppen tabu sind", sagt Bianca Kellerer, die Lion dankbar ist, denn er macht ihr das Leben leichter. Er hilft beim Überqueren von Straßen, er verhindert, dass sie in eine Bodenvertiefung tritt. "Er meidet, um mich zu schützen, Hindernisse, die für ihn kein Problem darstellen würden, umgeht Tische oder Stühle." Der Vierbeiner kennt die intelligente Gehorsamsverweigerung. "Wenn Gefahr droht, ich in eine Baustelle oder Bahngleise laufen würde, verweigert er den Befehl."