Krank ist nicht gleich krank. Es gibt Menschen, die still vor sich hin leiden - und andere. Eine Typologie.
Wie war das Leben früher einfach! Sogar dann, wenn man krank war. "Wenn's vorne zwickt und hinten beißt,
nimm Klosterfrau Melissengeist!" sagten unsere Vorfahren. Um kleine Wehwehchen wurde nicht viel Aufhebens gemacht. Wenn jemand ernsthaft erkrankt war, redete man nicht viel drüber. Man wünschte "gute Besserung!". Das war's.
Und heute? Sind wir alle irgendwie ein bisschen krank. Ein bisschen übersäuert, ein bisschen laktoseintolerant oder ein bisschen verspannt im Nacken. Krankheiten sind salonfähig und zu einem beliebten Gesprächsthema geworden. Und natürlich ist man nicht einfach nur krank. Nein, es gibt verschiedene Typen, die ihre Krankheiten ganz individuell ausleben. Einige davon stellen wir Ihnen hier vor. * Der Hypochonder Er beherrscht die Kunst des Recherchierens im Internet wie kein Zweiter. Wacht er morgens auf mit einem Kratzen im Hals, fängt er an zu suchen. Und ist sich nach dem Studium einschlägiger Quellen sicher: Das kann nur ein bösartiges Rachen-Karzinom sein. Der Verdauungstrakt erinnert daran, dass es gestern zum Abendessen Bohnensuppe gab? Der Hypochonder glaubt nicht an solch banale Ursachen. Er vereinbart vorsorglich einen Termin für eine Darmspiegelung und liefert seinem Internisten netterweise gleich einige Vorschläge für mögliche Diagnosen mit. Mit medizinischen Fachbegriffen wirft er nur so um sich, ohne dass er dafür den Pschyrembel, das große medizinische Wörterbuch, bemühen muss. Er ist der festen Überzeugung, ohnehin dem Tod geweiht zu sein. Weshalb er sich nur noch eines wünscht: Dass das Leiden, das letztlich zu seinem Hinscheiden führen wird, so schwer, so spektakulär und so selten ist, dass man es posthum nach ihm benennt. Der Held Zweierlei zeichnet den Helden aus: ein unerschütterliches Selbstbewusstsein und ein stabiles Immunsystem. Der Held wird nicht krank. Viren und anderen fiesen Erregern zeigt er lässig den Mittelfinger. Wenn beim Skifahren das Kreuzband reißt, ist das für ihn noch längst kein Beinbruch. Voltaren drauf, Bandage rum - und gut ist es. Der Held steht auch dann noch beneidenswert aufrecht, wenn alle um ihn herum flachliegen. Muss er doch einmal niesen, ist das eine Demonstration eruptiver Urgewalt. Seht her, heißt das, mich haut nichts um. Irgendwann aber knickt auch sein Immunsystem mal ein. Dann sind die Folgen fürchterlich (siehe Männerschnupfen). Der Märtyrer Gebeugt schlurft er mit schweren Schritten ins Büro, die Augen verquollen, die Wangen fiebrig-rot. "Geht es dir nicht gut?" fragen die mitfühlenden Kollegen. "Alles o.k.", flüstert der Held mit belegter Stimme. "Muss ja..." Jedes Telefonat ist ein Akt der Qual, jeder Gang zur Teeküche eine Demonstration seiner übermenschlichen Leidensfähigkeit. Vor der Empfehlung, der Märtyrer solle doch lieber heimgehen und sich ordentlich auskurieren, sollte man sich übrigens hüten: Der Märtyrer braucht sein Publikum. Sonst macht ihm auch das ärgste Leiden keinen Spaß. Der Gesellige Für ihn ist eine Krankheit, und sei sie noch so banal, vor allem eines: ein ergiebiges Gesprächsthema. Ob es um Fußpilz geht, einen Bandscheibenvorfall oder Ohrensausen - der Gesellige kann immer mit einer ausführlichen Analyse der Ursache, mit profunden Kenntnissen einschlägiger Therapien und mit bisweilen verstörenden Prognosen zu den Heilungsaussichten aufwarten. Das bevorzugte Biotop des Geselligen sind Wartezimmer von Ärzten, trifft er dort doch Gleichgesinnte für einen Gedankenaustausch. Findet er die nicht, macht es auch nichts: Der Gesellige betätigt sich gerne als Alleinunterhalter. Sein Redefluss reißt nicht ab. Und sind Fußpilz, Bandscheibenvorfall und Ohrensausen hinreichend erörtert, findet sich bestimmt noch ein rotgeränderter, winziger Riss in der Haut, anhand dessen man die drohende Gefahr einer Blutvergiftung diskutieren kann. Männerschnupfen Dass es für diese schlimmste aller Erkrankungen zwar einen Namen, aber keine wirkliche Bezeichnung für den Erkrankten gibt, liegt in der Natur der Sache: Wer an Männerschnupfen erkrankt ist, wähnt sich dem Jenseits nahe und hat als Person aufgehört zu existieren. Der körperliche Mensch ist übergegangen in einen Aggregatzustand aus Leiden, Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Der Männerschnupfen trifft, der Name sagt es, ausschließlich Männer und hier vor allem die, die ein mitfühlendes weibliches Wesen an ihrer Seite wissen. Dieses Wesen sollte stets mit Fieberthermometer, Wadenwickeln und heißer Zitrone zur Stelle sein und dem armen Patienten kritiklos zustimmen, wenn der darauf besteht, so krank zu sein, wie noch niemals ein Mensch zuvor. Was Frau bei Männerschnupfen unbedingt vermeiden sollte: Den Satz "Jetzt reiß dich mal zusammen!" Ein tiefes, lange währendes Zerwürfnis und lebenslängliche Vorwürfe grausamer Missachtung werden die Folge sein. Der Streber Egal, wie krank die anderen sind: Er ist stets noch ein bisschen kränker. Ein juckender Mückenbiss? Bei ihm ist es der Biss einer aus Afrika eingewanderten seltenen Insektenart, der langes Siechtum erwarten lässt! Der Nachbar hat einen bösen Husten? Der Streber kann eine eitrige Bronchitis vorweisen, aus der noch eine Lungenentzündung werden könnte! Und während der Kollege dem Chef versichert, in zwei Wochen sei er wieder auf dem Posten, weist der Streber vorsorglich darauf hin, dass mit einer baldigen Rückkehr nicht zu rechnen und eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit nicht auszuschließen sei. Der Langweiler Mit ihm ist krankheitstechnisch nicht viel anzufangen. Bahnt sich eine Erkältung an, kocht er sich einen Tee und bleibt am Wochenende auf dem Sofa liegen. Dann geht's wieder. Rumort der Darm, isst er drei Tage lang Zwieback und macht nicht viel Aufhebens drum. Und wenn es im Kopf gar fürchterlich sticht und brummt, dann kommt ihm ein Gehirntumor gar nicht erst in den Sinn. Er stellt fest, dass in der Weinflasche von gestern Abend kein Tropfen mehr drin ist und kuriert sich folglich selbst ohne Jammern und Klagen mit Aspirin und einem Rollmops.
*Um Unmutsbekundungen, Protestbriefen, Demonstrationen und Schmähanrufen vorzubeugen, weisen wir darauf hin, dass es alle genannten Typen natürlich in männlicher ebenso wie in weiblicher Form gibt. Ausgenommen die Opfer des Männerschnupfens. Jenen Menschen, die wirklich ernsthaft erkrankt sind, wollen wir keineswegs zu nahe treten. Wir hoffen, dass auch sie Spaß verstehen. Übrigens sind Ähnlichkeiten mit real existierenden Zeitgenossen weder zufällig noch ungewollt - sondern pure Absicht!