Sie meinte, seine Erektion gespürt zu haben. "Man hat halt was gemerkt. Es war aber schwierig, genau zu beurteilen, was es war. Oder ob er etwas in der Hosentasche hatte." Sie habe sich gleich weggedreht, und er sei weggegangen.
Auch der zweite Vorfall - wieder in der Küche - dauerte nach ihren Angaben nur ein paar Sekunden. "Er kam direkt zur mir", sagte die Frau. Als sie seine Hand auf ihrem Hintern spürte, sei sie schockiert gewesen: "Geht's noch, spinnst Du?" Die Zeugin konnte sich nicht mehr erinnern, wie viele "Knetversuche" (Allstadt) es waren.
"Was auf der Feier war, bleibt auf der Feier"
Die Frau gab an, den Grapscher in der Folgewoche angesprochen zu haben. Aber der Kollege habe erklärt: "Was auf der Feier war, bleibt auf der Feier." Dabei blieb es dann auch. Man arbeitete weiter zusammen, es erfolgte keine Anzeige.
Erst acht Monate später kochte der Vorfall hoch, als der Bierfestbesuch des Betriebs anstand. Der Frau schwante Böses. Sie wollte nicht mitgehen und rang sich dazu durch, mit dem "cholerischen Chef" zu reden. "Ich hab‘ mich nicht getraut, früher etwas zu sagen, weil ich wusste, dass es katastrophal endet." Die Befürchtung war offenbar berechtigt, denn ihr wurde gekündigt. Nicht dem Kollegen, der mit dem Chef befreundet sei. Sie sei als Lügnerin hingestellt worden. "Aber ich behaupte so was nicht aus Spaß an der Freud'."
Nach der Aussage der Frau war der Richterin, Staatsanwalt Jan Köhler und Verteidiger Karsten Schieseck klar, dass nicht mehr von einer sexuellen Nötigung ausgegangen werden konnte. Die Begriffe "erigiertes Glied" und "Überraschungsmoment", die in die Polizeiakten gelangt waren, konnten nicht mehr als Begründung für die Anklage dienen.
Anzeige als Retourkutsche
Auch der Angeklagte räumte die sexuelle Belästigung ein. Er habe die Frau angetanzt und bei den Hüften angefasst. Die Weihnachtsfeier sei lustig gewesen, sagte er: "Da tanzt man auch mal zusammen. Es war nicht so, dass ich mich groß annähern wollte. Ich habe mit anderen Kolleginnen auch getanzt. Es gab da keinen Hintergrund."
Die Anzeige interpretierte er als Retourkutsche, weil er mit dem Freund der Frau verschiedentlich Ärger wegen Baumängel hatte.
Somit konnte das Verfahren abgekürzt werden. Die anderen sechs Zeugen - der Chef, Arbeitskolleginnen und -kollegen - wurden nicht mehr gebraucht. Und dem Opfer wurde eine Befragung durch den Verteidiger erspart.
Staatsanwalt Köhler hielt die "sehr differenzierte Aussage" der Zeugin für absolut glaubhaft. Nach der Beweisaufnahme habe sich nur die juristische Bewertung geändert. Er forderte eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 60 Euro.
Auch Rechtsanwalt Schieseck war zufrieden mit dem Verlauf der mündlichen Hauptverhandlung. Sein Mandant habe sich lediglich gegen die Anklage mit den massiven Vorwürfen gewehrt. Von Anfang an habe er eingesehen, "dass er sich falsch verhalten hat". Der Verteidiger hielt 60 Tagessätze für ausreichend.
"Nehmen das Urteil an"
Das Gericht wählte beim Strafmaß die Mitte: 75 Tagessätze zu 60 Euro, also 4500 Euro Geldstrafe. "Wir werden das Urteil annehmen", erklärte der Anwalt für seinen Mandanten.