Kam der Rettungswagen zu spät?

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Die Rettungswache in Thurnau soll künftig auch nachts besetzt sein. Das fordern Bürger sowie der BRK-Kreisverband. Archiv/Ronald Rinklef
Die Rettungswache in Thurnau soll künftig auch nachts besetzt sein. Das fordern Bürger sowie der BRK-Kreisverband. Archiv/Ronald Rinklef
"Es wäre wünschenswert, wenn der Thurnauer Rettungsdienst länger im Einsatz wäre", sagt Markus Ruckdeschel von der Integrierten Leitstelle.
"Es wäre wünschenswert, wenn der Thurnauer Rettungsdienst länger im Einsatz wäre", sagt Markus Ruckdeschel von der Integrierten Leitstelle.
 
Der Tanffelder Ludwig Töpfer erklärt: "Es ist ein dringender Wunsch,dass das BRK rund um die Uhr Erste Hilfe bietet."
Der Tanffelder Ludwig Töpfer erklärt: "Es ist ein dringender Wunsch,dass das BRK rund um die Uhr Erste Hilfe bietet."
 
"Wir haben den Zweckverband aufgefordert, für die Rettungswache eine zeitliche Ausweitung zu überprüfen", erklärt Jürgen Dippold vom BRK.
"Wir haben den Zweckverband aufgefordert, für die Rettungswache eine zeitliche Ausweitung zu überprüfen", erklärt Jürgen Dippold vom BRK.
 

Ein Notfall in Lochau führt zu Diskussionen um die Erste Hilfe im Thurnauer Oberland. Das BRK traf erst 26 Minuten nach der Alarmierung ein. Das Fahrzeug kam aus Waischenfeld und nicht aus Thurnau - die dortige Wache ist nachts nicht besetzt.

Schlaganfall - eine erschütternde Diagnose. Je schneller der Patient behandelt wird, desto größer sind die Chancen auf den Behandlungserfolg. Weil jede Sekunde zählt, warten Angehörige nach dem Absetzen des Notrufs ungeduldig auf das Eintreffen des Rettungsdienstes. Das Warten kann zur nervlichen Zerreißprobe werden. Wie ein Beispiel aus dem Thurnauer Oberland zeigt.

Die Zwölf-Minuten-Frist
Dort hat am 20. März ein 76-Jähriger einen Schlaganfall erlitten. Der Helfer vor Ort aus Thurnau war zwar nach 16 Minuten am Einsatzort, der Rettungswagen selbst traf aber erst 26 Minuten nach der Alarmierung ein. Die Zwölf-Minuten-Frist, die im Freistaat gilt und statistisch gesehen in 80 Prozent der Fälle eingehalten werden muss, war längst überschritten.

Über 24 Kilometer
Dass der Rettungswagen fast eine halbe Stunde gebraucht hat, hat seinen Grund. Das BRK-Fahrzeug wurde aus dem 24 Kilometer entfernten Waischenfeld ins Thurnauer Oberland geschickt, nicht aus der näher gelegenen, nur 13 Kilometer entfernten Hollfelder Rettungswache oder aus Kulmbach. Die dortigen Rettungswagen waren schon im Einsatz, sagt Markus Ruckdeschel, Leiter der Integrierten Leitstelle in Bayreuth, die die Alarmierung vornimmt.

Überlebenschance?
Dass die Thurnauer Einsatzkräfte, die am schnellsten da gewesen wären, nicht zu Hilfe kamen, hat seinen Grund: Der Vorfall ereignete sich mitten in der Nacht - da ist die dortige Rettungswache nicht besetzt.
Der Schlaganfall-Patient ist eine Woche später in der Hohen Warte verstorben. Dass er bei einer schnelleren Erstversorgung eventuell eine Überlebenschance gehabt hätte, hält Ludwig Töpfer für möglich. Der Tannfelder hat erst im Nachgang gehört, dass der Thurnauer Rettungswagen in der Nacht nicht fährt. "Das hat bei uns Enttäuschung und Verärgerung ausgelöst", sagt Töpfer und führt an: "Da man ja nie weiß, wer der Nächste ist, ist es ein dringender Wunsch vieler aus der Thurnauer Region, dass das BRK rund um die Uhr Erste Hilfe bietet."

München erstellt die Gutachten
Ein Wunsch, den BRK-Kreisgeschäftsführer Jürgen Dippold gerne erfüllen würde. "Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass Thurnau eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung braucht", sagt Dippold. Bis dato sei die Rettungswache nur zwölf Stunden in der Zeit von 8 bis 20 Uhr besetzt. Eine Regelung, für die man in einem Probebetrieb über viele Jahre gekämpft habe. Man sei froh darüber, dass Thurnau BRK-Standort ist, doch sei der Status quo nicht ausreichend. "Wir haben den Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung daher aufgefordert, eine zeitliche Ausweitung zu überprüfen", betont der Kreisgeschäftsführer, der hofft, dass der Verband beim Institut für Notfallmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein erforderliches Gutachten in Auftrag gibt.

Das sagt der Landrat
Dass der Zweckverband der Forderung positiv gegenübersteht, betont dessen stellvertretender Vorsitzender Landrat Klaus Peter Söllner. Söllner macht als BRK-Kreisvorsitzender deutlich, dass das BRK über Jahre den Probebetrieb in Thurnau auch mit eigenen Mitteln gestemmt habe und nach der festen Einrichtung einer Rettungswache als nächsten Schritt nun die nächtliche Bereitschaft fordert. "Wir hoffen, dass das zeitnah umgesetzt wird", stellt der Kulmbacher Landrat fest.

Günstiger Standort
"Es wäre auch aus unserer Sicht wünschenswert, wenn der Thurnauer Rettungsdienst länger im Einsatz wäre", sagt Markus Ruckdeschel, der von einem strategisch äußerst günstig gelegenen Standort spricht.
Von Thurnau aus könne man auch schnell Orte in den Landkreisen Bayreuth, Bamberg oder Lichtenfels anfahren, so der Leiter der Integrierten Leitstelle, der mit seinem Team bei der Koordinierung der Einsätze angesichts der begrenzten Zahl an Rettungswagen vor eine schwierige Aufgabe gestellt wird.
Dass zeitnahe Hilfe Leben retten kann, macht das Beispiel von Gabi Hablowetz deutlich. Die heute 53-Jährige hat im Oktober 2012 einen Herzinfarkt erlitten. "Hätte es die Rettungskräfte am Standort Thurnau nicht gegeben, wäre ich nicht mehr am Leben. Nach fünf Minuten waren die Helfer da", sagt die 53-Jährige, die wiederbelebt werden musste. Der Vorfall hat sich tagsüber ereignet. BRK-Kreisgeschäftsführer Jürgen Dippold hofft, dass die BRK-Kräfte künftig auch in der Nacht Leben retten dürfen.

Zum Thema gibt es folgenden Kommentar von Alexander Hartmann

G lück braucht man im Leben - und im Kampf gegen den Tod. Wer im Notfall Erste Hilfe benötigt, kann zwar darauf hoffen, dass der Rettungswagen innerhalb der vorgegebenen Zwölf-Minuten-Frist nach der Alarmierung durch die Integrierte Leitstelle eintrifft, darauf pochen kann er aber nicht. Denn die zwölf Minuten sind nur eine planerische Vorgabe, die auf dem flachen Land in Bayern in 80 Prozent der Fälle von den Rettungsdiensten eingehalten werden soll. Sprich: Ein Fünftel aller Notfallpatienten muss statistisch gesehen im Gegenzug damit rechnen, dass die Hilfe für sie - wie es beim Notfall im Thurnauer Oberland der Fall war - erst später eintrifft.

Will man die 80-Prozent-Quote erhöhen, muss die Zahl der Rettungswachen deutlich erhöht werden. Die Kassen, die die Wachen überwiegend aus dem Beitragsaufkommen der Krankenversicherten finanzieren, spielen da vor allem natürlich auch Kostengründen nicht ohne Weiteres mit. Es wird Buch geführt und beim Institut für Notfallmedizin an der Ludwig-Maximilians-Uni in München auch aufgrund einer Forderung des Innenministeriums in einem Gutachten genau berechnet, wo sich ein Rettungsdienst rentiert.

Thurnau hat so eine Wache, die bis dato allerdings nur tagsüber besetzt ist. Wie viele Bürger wünscht sich auch der Kulmbacher BRK-Kreisverband, dass die Bereitschaftszeit ausgeweitet wird. Doch selbst wenn die Helfer künftig auch nach 20 Uhr noch ausrücken, ist das keine Garantie dafür, dass der Rettungswagen innerhalb der Zwölf-Minuten-Frist eintrifft. Denn Thurnau hat nur ein Fahrzeug - gibt es zwei Notfälle, kann ein Patient sprichwörtlich schon mal ins Gras beißen. Die Erste Hilfe für ihn kann auch dann noch aus Kulmbach, Hollfeld, Bayreuth oder auch Waischenfeld kommen - und in dem einen oder anderen Fall zu spät sein.
Aber so ist das eben im Leben: Man braucht Glück im Kampf gegen Tod.