Jeder ist ein gefühlter Filmstar

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Die Plattform Youtube verhilft mitunter auch fragwürdigen Inhalten zu großer Aufmerksamkeit.
Die Plattform Youtube verhilft mitunter auch fragwürdigen Inhalten zu großer Aufmerksamkeit.
dpa

ie tickt die Welt? Um das zu beantworten, hätte man sich früher mit Menschen aus der Nachbarschaft unterhalten, die 20-Uhr-Nachrichten geguckt und eventuell noch zwei Standard-Zeitungen gelesen.

Das ist heute alles Pillepalle und oldschool. Heute genügt ein Blick in den Videokanal von Youtube, um zu wissen: Mit manchem Bewohner auf diesem Globus sollte man besser nicht allzu viel zu tun haben wollen...

Nehmen wir den vergangenen Sonntag. Der Algorithmus der Videoplattform schlägt mir (männlich, Weißer, deutsch, Anfang 50, musikalisch interessiert und ausgestattet mit den drei wichtigsten Hs - also Hundehalter/Hobbygärtner/Häuslebesitzer) diverse Filmchen vor. Sämtliche Beeinflusser (Influencer) habe ich übrigens gleich umsurft. Diese Dubai-

Dödel, Strand-Schicksen und Intelligenz-Flüchtlinge mögen auf ihren Eilanden versanden oder sich an ihren Double-Komplex-Repair-Gels für die gepflegte Analfurche gepflegt einen goldenen Steiß verdienen. Ohne mich.

Vorschlag 1: das neue Lied von Adele. Mehr als 80 Millionen Aufrufe in sieben Tagen. Reingeklickt und gemerkt: Nein danke, mein Bedarf an kreischenden Frauen mit Hang zur Wehleidigkeit und überbordender Schminke ist für diesen Monat bereits gedeckt.

Vorschlag 2: ein Selbstversorgerkanal, betrieben von einem Ehepaar aus dem Ruhrpott mit entsprechender Kölner Schnauze. Bin ich hängengebelieben. Nette Leute, prima Tipps. Komme ich gerne wieder, spätestens wenn die Paprikasaison startet.

Vorschlag 3 verwirrte mich dann doch komplett. Ich wurde hingewiesen auf einen Russen (?), der irgendwo in der Taiga was gebaut hat. Über 120 Millionen Klicks binnen fünf Tagen. Was das für ein Komplex war? Nach 15 des 28 Minuten langen Videos offenbart es sich: ein Unterstand im Freien. Mehr kam da nicht. Aha. Sowas schauen sich Menschen im gefühlten Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte an (und die dürfen wählen!). Wahrscheinlich fürchten Millionen, dass uns spätestens mit Corona der Himmel auf den Kopf fällt wie bei Asterix und sie in der Natur überleben müssen.

Da habe ich kurz gegrübelt und in meiner Bibliothek nachgesehen. Ein Blick in Rüdiger Nehbergs "Die Kunst zu überleben" von 1989 bewies es: Leute, alles schon mal dagewesen. Einfach von Sir Vival kopiert. Damit verdienen Menschen ein Vermögen! Und Sie? Arbeiten Sie noch - oder filmen Sie sich schon beim Einbuddeln?