Herr Schäck, erklären Sie uns den Affenzirkus!

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Klaus Schäck
Klaus Schäck
 

Keiner blickt mehr durch im Brexit-Drama. Klaus Schäck, Kulmbacher Professor für Finanzwesen, nimmt Stellung.

Gehen oder bleiben? Mit oder ohne Abkommen? Die Briten und ihr Brexit nerven gewaltig. Am 31. Oktober sollte endgültig Schluss sein. Raus aus der EU. Aber das britische Parlament in London kriegt's wieder nicht hin. Erst keine Neuwahl, jetzt doch am 12. Dezember. Kein Mensch blickt mehr durch im Brexit-Drama.

Spinnen die Briten? Besser als der englische Street-Art-Künstler Banksy könnte man es nicht beschreiben: ein Affenzirkus (Bild). Er malte das Unterhaus voller Schimpansen. Bei einer Auktion wurde das große Ölgemälde vor kurzem für 9,8 Millionen Pfund (11 Millionen Euro) versteigert.

Live und vor Ort erlebt Klaus Schäck (43) die Brexit-Debatte. Der Professor für Finanz- und Bankwesen stammt aus Katschenreuth und hat bei der Sparkasse Kulmbach gelernt. Seit 2002 lebt der Wissenschaftler in Großbritannien und lehrt jetzt an der Universität von Bristol in Südwestengland. Zwischen Bundesbankkonferenz und Gesprächen bei der norwegischen Zentralbank stand uns der Experte für Finanzstabilität für ein Interview zur Verfügung: Herr Schäck, erklären Sie uns den Affenzirkus!

BR: Herr Schäck, haben Sie auch die Nase voll von dem Zirkus im britischen Parlament?

Klaus Schäck: Ja, es führt zu ganz extremer Unsicherheit. Dadurch, dass die Debatte nicht endet, überlegt man, wie willkommen man noch in Großbritannien ist. In meinem Umfeld können die meisten Leute das Thema nicht mehr hören. Es ist verantwortungslos, was sich die Politik in Großbritannien leistet. Bei der politischen Debatte wird oft vergessen, dass es letztendlich um Menschen und Existenzen geht und um drei Millionen Europäer, die auf der Insel in Unsicherheit gelassen werden.

Immerhin hat das Unterhaus einen ungeregelten Brexit verhindert. Glauben Sie, dass ein No-Deal-Brexit vom Tisch ist?

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich halte es einerseits für extrem unwahrscheinlich. Andererseits gilt Premierminister Boris Johnson als jemand, dem man nicht vertrauen kann. Und die Opposition ist sich ebenfalls nicht einig.

Wie unberechenbar ist Brexit-Boris? Was hat er vor?

Er hätte gern einen harten Brexit - lieber früher als später. Bei der Neuwahl im Dezember besteht die Gefahr, dass Boris Johnson mehr Leute auf seine Seite bringt, die einfach wollen, dass es schnell vorbei ist.

Was treibt die Brexit-Befürworter an?

Man fühlt sich von Brüssel gegängelt, gerade in ländlich strukturierten Gegenden, wo das Bildungsniveau tendenziell etwas niedriger und die Stimmung eher gegen Europa ist. Es gibt sehr viele Einheimische, die Jobs an Einwanderer aus Osteuropa verlieren. Diese Leute sind sehr frustriert und sehen nicht die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft. Außerdem gibt es in der konservativen Partei seit Jahrzehnten starke Vorbehalte gegen die EU.

Was wollen die Brexit-Gegner?

Im Idealfall ein zweites Referendum, aber auch diese Gruppierungen sind zerstritten.

Sie sagen, dass ihnen die ältere Generation, die für den Austritt gestimmt hat, die Zukunft verbaut.

Wie gespalten ist das Land? Wie schätzen Sie die Stimmung vor der Neuwahl ein?

Ich könnte mir vorstellen, dass es inzwischen eine knappe Mehrheit für den Verbleib in der EU gibt. Genauso knapp wie damals für den Brexit. Aufgrund der demografischen Entwicklung dürfen jetzt mehr junge Leute mitstimmen. Aber damit wäre das Problem nicht weg. Denn die Gesellschaft ist dermaßen gespalten, das kann man sich nicht vorstellen.

Wie kommen die Briten aus dem Dilemma raus?

Ich sehe keinen vernünftigen Ausweg. Es könnte sogar sein, dass sich das Vereinigte Königreich aufsplittet. Bei den Schotten gibt es ja bereits solche Überlegungen.

Welche Auswirkungen hätte der Brexit auf die Wirtschaft?

Für die britische Wirtschaft wird es schwierig. Es gibt einige größere Unternehmen, unter anderem Automobilhersteller, die ihre Fabriken in Großbritannien schließen wollen bzw. diese Pläne schon umsetzten. Die Europäische Bankenaufsicht ist schon von London nach Paris umgezogen. Auch die deutsche Wirtschaft würde beschädigt. Man kann einen Absatzmarkt, der wegbricht, nicht von heute auf morgen ersetzen.

Gibt es in Oberfranken viele Unternehmen mit Handelskontakten zu Großbritannien?

Ja, auf jeden Fall. Die Wirtschaft in ganz Bayern ist stark exportabhängig und hat intensive Kontakte zum britischen Markt. UK ist das drittwichtigste Exportland der bayerischen Wirtschaft. Kulmbacher Betriebe haben laut IHK-Daten 37 Prozent Exportquote.

Was passiert nach dem Brexit mit der Freizügigkeit? Leben, arbeiten oder studieren im Vereinigten Königreich?

Die gleichen Fragen bekommen wir auf Studentenmessen. Die Antwort lautet bisher, dass es für Studenten aus Deutschland noch keine Hindernisse gibt. Touristen hätten das Problem, dass zum Beispiel der Führerschein gegenseitig nicht mehr anerkannt würde im Falle eines No-Deal-Brexit. Ausländer, die - wie ich - schon länger als zwei Jahre auf der Insel leben, bekommen normalerweise eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung, wenn sie sich darum bewerben. Für die anderen ist die Lage unsicher. Insgesamt werden die Leute komplett verrückt gemacht.

Wie geht die Brexit-Schlacht aus?

Für Europa wäre es schlecht, wenn ein Land aus dem Staatenbund ausscheidet. Wenn Boris Johnson die Wahl im Dezember verliert, steigt die Wahrscheinlichkeit für ein zweites Referendum. Und dann gibt es vielleicht sogar eine knappe Mehrheit gegen den Brexit. Die Fragen stellte Stephan Tiroch