Wie unberechenbar ist Brexit-Boris? Was hat er vor?
Er hätte gern einen harten Brexit - lieber früher als später. Bei der Neuwahl im Dezember besteht die Gefahr, dass Boris Johnson mehr Leute auf seine Seite bringt, die einfach wollen, dass es schnell vorbei ist.
Was treibt die Brexit-Befürworter an?
Man fühlt sich von Brüssel gegängelt, gerade in ländlich strukturierten Gegenden, wo das Bildungsniveau tendenziell etwas niedriger und die Stimmung eher gegen Europa ist. Es gibt sehr viele Einheimische, die Jobs an Einwanderer aus Osteuropa verlieren. Diese Leute sind sehr frustriert und sehen nicht die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft. Außerdem gibt es in der konservativen Partei seit Jahrzehnten starke Vorbehalte gegen die EU.
Was wollen die Brexit-Gegner?
Im Idealfall ein zweites Referendum, aber auch diese Gruppierungen sind zerstritten.
Sie sagen, dass ihnen die ältere Generation, die für den Austritt gestimmt hat, die Zukunft verbaut.
Wie gespalten ist das Land? Wie schätzen Sie die Stimmung vor der Neuwahl ein?
Ich könnte mir vorstellen, dass es inzwischen eine knappe Mehrheit für den Verbleib in der EU gibt. Genauso knapp wie damals für den Brexit. Aufgrund der demografischen Entwicklung dürfen jetzt mehr junge Leute mitstimmen. Aber damit wäre das Problem nicht weg. Denn die Gesellschaft ist dermaßen gespalten, das kann man sich nicht vorstellen.
Wie kommen die Briten aus dem Dilemma raus?
Ich sehe keinen vernünftigen Ausweg. Es könnte sogar sein, dass sich das Vereinigte Königreich aufsplittet. Bei den Schotten gibt es ja bereits solche Überlegungen.
Welche Auswirkungen hätte der Brexit auf die Wirtschaft?
Für die britische Wirtschaft wird es schwierig. Es gibt einige größere Unternehmen, unter anderem Automobilhersteller, die ihre Fabriken in Großbritannien schließen wollen bzw. diese Pläne schon umsetzten. Die Europäische Bankenaufsicht ist schon von London nach Paris umgezogen. Auch die deutsche Wirtschaft würde beschädigt. Man kann einen Absatzmarkt, der wegbricht, nicht von heute auf morgen ersetzen.
Gibt es in Oberfranken viele Unternehmen mit Handelskontakten zu Großbritannien?
Ja, auf jeden Fall. Die Wirtschaft in ganz Bayern ist stark exportabhängig und hat intensive Kontakte zum britischen Markt. UK ist das drittwichtigste Exportland der bayerischen Wirtschaft. Kulmbacher Betriebe haben laut IHK-Daten 37 Prozent Exportquote.
Was passiert nach dem Brexit mit der Freizügigkeit? Leben, arbeiten oder studieren im Vereinigten Königreich?
Die gleichen Fragen bekommen wir auf Studentenmessen. Die Antwort lautet bisher, dass es für Studenten aus Deutschland noch keine Hindernisse gibt. Touristen hätten das Problem, dass zum Beispiel der Führerschein gegenseitig nicht mehr anerkannt würde im Falle eines No-Deal-Brexit. Ausländer, die - wie ich - schon länger als zwei Jahre auf der Insel leben, bekommen normalerweise eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung, wenn sie sich darum bewerben. Für die anderen ist die Lage unsicher. Insgesamt werden die Leute komplett verrückt gemacht.
Wie geht die Brexit-Schlacht aus?
Für Europa wäre es schlecht, wenn ein Land aus dem Staatenbund ausscheidet. Wenn Boris Johnson die Wahl im Dezember verliert, steigt die Wahrscheinlichkeit für ein zweites Referendum. Und dann gibt es vielleicht sogar eine knappe Mehrheit gegen den Brexit. Die Fragen stellte Stephan Tiroch