"Für mich ist erst einmal jeder ein weißes Blatt"

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Kerstin Griesenbrock erklärt plastisch die zwölf Stufen, die Menschen mit Erschöpfungssyndrom durchlaufen. Fotos: Jochen Nützel
Kerstin Griesenbrock erklärt plastisch die zwölf Stufen, die Menschen mit Erschöpfungssyndrom durchlaufen. Fotos: Jochen Nützel

Kerstin Griesenbrock (41) hat sich zum Mentalcoach ausbilden lassen. Zu den Klienten der Ködnitzerin gehören Menschen aller Altersstufen mit Burnout und Panikattacken, aber auch Kinder mit Prüfungsangst und Ess-Störungen.

Da ist dieser Mann mittleren Alters. Er leidet unter einem Trauma, das sich auf den ersten Ton - sagen wir: ungewöhnlich anhört. Als Kind musste er auf Geheiß der Eltern beim Essen in der Gastwirtschaft den Teller immer leeren. Auch wenn er pappsatt war. Sonst gab es Ärger (wissen wir ja, dann scheint keine Sonne am nächsten Tag). Aus einer solchen scheinbaren Lappalie hat sich bei besagtem Mann eine veritable Ess-Störung entwickelt. Beim Anblick einer ganzen Portion schnürt sich ihm heute noch buchstäblich der Hals zu. Der Doktor, bei dem er war, verschrieb Tabletten. Der zugeschnürte Hals, die Panik beim Essen blieben.

Dieser Patient ist nun ein Fall für Kerstin Griesenbrock. Wobei die Ködnitzerin den Begriff "Patient" nie verwenden würde. "Die Leute, die zu mir kommen, nenne ich Klienten. Ich bin kein Arzt, der eine Diagnose stellt. Ich verschreibe keine Medikamente.
Ich bin aber auch keine Heilerin, die Voodoozauber anwendet." Sie sagt das mit besonderer Betonung. "Wer Hokuspokus erwartet, ist definitiv bei mir an der falschen Adresse." Das Vorgehen folgt wissenschaftlichen und psychologischen Maßgaben.

Musik nach dem Takt des Herzens

Instrumentalmusik mit Rhythmik passend zur Herzfrequenz empfängt den Besucher in ihrer - nein, eben nicht Praxis, sondern in ihrem Gesprächsraum. Der Schreibtisch aus Massivholz hat Kerben und Schrammen. Zeichen eines bewegten Lebens, ein Erbstück aus der Vorfahrenlinie ihres Mannes Holger. Und so etwas wie Sinnbild für Kerstin Griesenbrocks Arbeit: Denn auch ihren Klienten hat das Leben manche Narbe geschlagen. Scharten, die sich auswetzen lassen, mögen sie auch tief sein.

Ihre Arbeit ist, so merkwürdig es zunächst klingen mag, dem Entrümpeln einer Wohnung oder Zimmers nicht unähnlich. Die Ködnitzerin nimmt als Sinnbild den "Koffer des Lebens", den jeder individuell bestückt hat. "Darin sammeln sich so einige Dinge an. Es kann sein, dass er uns irgendwann zu schwer wird. Nicht alles, was wir auf unserem Weg mal gebraucht haben, müssen wir ein Leben lang mit uns herumtragen. Wer meine Hilfe in Anspruch nimmt, der merkt, dass er den Lebenskoffer aus einem bestimmten Grund neu sortieren muss - und das auch darf." Ängste können sich angesammelt haben; zerschlagene Träume; erfolglose Vorhaben im Beruf; familiäre Schicksalsschläge. Daran verhebt sich mancher.

Die Folge ist zuweilen das, was medizinisch als Depression und neudeutsch als Burnout firmiert. Ausgebrannt sein - dafür muss man ja vorher erst einmal für eine Sache gebrannt haben. Mancher trägt den Burnout deswegen wie eine Hostie vor sich her. "Es gibt Menschen, für die ist das ein Symbol für ihren Einsatz in unserer Leistungsgesellschaft", sagt Kerstin Griesen brock. Eine Art Tapferkeits medaille oder so etwas wie ein Verwundetenabzeichen.

Zurück zum "alten Leben"

Monate und Jahre kann es dauern, bis sich Menschen mit Erschöpfungszuständen eingestehen, dass ihr Leben aus der Spur geraten ist und sie nicht allein zurückfinden. "Der erste Satz von Menschen, die zu mir kommen, ist häufig: Ich will mein altes Leben wieder haben." Der Mental coach spricht von zwölf Phasen beim Erschöpfungssyndrom. "Sticheleien am Arbeitsplatz, Streit mit dem Partner, gescheiterte Ambitionen - das alles knabbert an der inneren Schutzhülle jedes Einzelnen."

Die Ködnitzerin greift zu einem Kringel aus Pappe und schneidet ein Stück der äußeren Hülle weg. "Der empfindlichste Teil liegt an einer Stelle frei. Weitere Verletzungen dringen direkt in den Kern unseres Wesens vor. Wer glaubt, sein schutzloses Selbst durch einen zweiwöchigen Urlaub zu heilen, ist auf dem besten Weg zum Selbstbetrug."

Körperliche Einschränkungen sind ein typischer Begleiter der mentalen Ausgebranntheit. "Rückenschmerzen haben nicht selten seelische Ursachen, die ein Physiotherapeut sicher lindern kann. An die Wurzel aber kommt er nicht." Wer sich Kerstin Griesenbrock anvertraut, den bittet die Ködnitzerin zu einem sehr persönlichen Gespräch. "Ich frage, frage, frage." Der Raum, in dem das passiert, hat schmucklose Wände. Weiß gestrichen sind sie, aber kühl wirken sie nicht. Nichts soll ablenken oder an mögliche Phobien gemahnen. "Womöglich habe ich jemand mit panischer Furcht vorm Autofahren vor mir sitzen. Da könnte ein Foto von der Route 66 schon ein Unwohlsein erzeugen, das tunlichst vermieden werden soll."
Weiß ist auch das Blatt, mit dem die Ködnitzerin jedes Gespräch beginnt. "Es ist dieses leere Blatt Papier, auf dem sich eine Lösung entwickeln darf. Mein Gegenüber und ich treffen uns, um dieses Papier zu gestalten. Alleine der Klient entscheidet, was aus dem Papier werden soll. Meine Aufgabe ist es, zur jeweils richtigen Zeit das richtige Werkzeug zu reichen."

Lösung schlummert im Inneren

Für die 41-Jährige der wesentliche Ansatz: nichts aufdrücken von außen, den Menschen aus sich selber heraus entwickeln lassen. "Ratschläge sind auch Schläge, und davon haben meine Klienten genug bekommen." Sie reicht die, wie sie es nennt, "Bordmittel" weiter. "Manchmal findet der Betroffene ein Werkzeug, von dem er gar nicht weiß, dass er es hat." Mentalcoaching heißt, positive Absichten hinter Handlungen und Verhalten zu bestärken, negative Emotionen, Motivationsstörungen und Blockaden umzuwandeln in eigene Ressourcen. "Es klingt banal, aber sind Körper, Geist und Seele nicht im Einklang, beeinträchtigt das Kraft, Kreativität, Konzentration."
Zu denen, die Kerstin Griesenbrock aufsuchen, gehören Selbstständige und Hausfrauen ebenso wie Kinder. Das Mentalcoaching geht Hand in Hand mit einer Ernährungsberatung von Patricia Voigt-Sanders sowie der Unterstützung durch Heilpraktiker Christian Fiebich. "Der ganzheitliche Ansatz ist wesentlicher Teil der Problemlösung", erklärt Kerstin Griesenbrock.
Und wenn diese "Probleme" wie der Mann mit der Aufess-Angst manchem reichlich albern vorkommen? Die Ködnitzerin beugt sich in ihrem Stuhl nach vorne. "Was verdient denn, ein ,echtes' Problem genannt zu werden? Für ein Kind kann zwanghaftes Essen-Müssen sich zu einer mentalen Dauerbelastung auswachsen. Mir steht es nicht zu, eine Bewertung des Problems vorzunehmen. Das wäre eine schlechte Voraussetzung für die Behebung desselbigen, nur dafür bin ich da."

Von der Industriekauffrau zum Mentalcoach

Im Alter von 21 Jahren setzt sich die gebürtige Ködnitzerin Kerstin Griesen brock erstmals mit alternativen Heilmethoden auseinander. Gelernt hat die zweifache Mutter ursprünglich Industriekauffrau. Nach zehn Jahren gibt sie die Geschäftsführung in der Backwaren-Firma ihres Mannes Holger Griesenbrock ab, um sich fortan hauptberuflich ihrer, wie sie sagt, Berufung zu widmen. Der Ausbildung zur geprüften Hypnotiseurin bei David Woods folgt eine einjährige Ausbildung zum zertifizierten Burnout-Coach an der "Akademie gesundes Leben" in Oberursel.

Die 41-Jährige gibt unter anderem im Feulner Sahrhof Seminare zu Themen wie Work-Life-Balance, wird aber auch von Firmen und Behörden gebucht.
Am Dienstag, 18. Februar, besteht die Möglichkeit, den Mentalcoach Kerstin Griesenbrock bei einem dreistündigen Vortrag im Landratsamt Kulmbach zu erleben. Beginn ist um 9 Uhr, der Eintritt ist frei. jn