Zum 25. Jubiläum der Grenzöffnung erzählen vier Bürger aus dem Kreis Kronach ihre Erlebnisse.
Mal schnell zur Oma, hallo sagen, ein paar Süßigkeiten abstauben. Das war in der Kindheit von Hermann Bischoff nicht so einfach. Dazu musste er sich in einem Bus in die Sperrzone schleusen lassen.
Denn die Oma des heute 68-Jährigen lebte in der DDR, genauer gesagt in Neuenbau. Und das war Sperrgebiet. Als Achtjähriger hat er seine Oma einmal dort besucht. Illegal. Eine halbe Weltreise war das. Und das obwohl Neuenbau nicht einmal acht Kilometer entfernt von Sattelgrund (Tettau), dem damaligen Wohnort Bischoffs liegt.
Vopos Brote geschmiert
Er erinnert sich an den spektakulären Besuch 1954 bei der Oma: "Wir haben eine Einreiserlaubnis gebraucht. Die konnten wir stellen, weil meine Tante in Judenbach gewohnt hat." Also auch im Osten, dem Nachbardorf von Neuenbau. Doch das war ja Sperrgebiet. Und damit war es eigentlich auch von Judenbach aus unmöglich, die Oma zu besuchen.
Doch ein Busfahrer, den Bischoffs Tante kannte, hat sich bereit erklärt, Mutter und Sohn in seinem Bus mitzunehmen. Bei einer Leerfahrt nach Neuenbau: "Es durften ja keine anderen Leute im Bus sitzen, sonst wären wir aufgeflogen und den Busfahrer hätte man eingesperrt." Unter den Sitzen kauernd reisten Bischoff und seine Mutter also in das Sperrgebiet - und genauso wieder zurück nach Judenbach. Kontrolliert wurde der Busfahrer nicht. Man kannte ihn ja, er fuhr ja ständig hin und her.
Zum ersten Mal gesehen hat Bischoff seine Oma damals nicht, er kannte sie schon vorher. Immerhin hat sich die Grenzsituation erst mit den Jahren verschärft: "Die Grenzziehung habe ich von Anfang an miterlebt. Meine Mutter hatte früher den Vopos sogar Brote geschmiert. Irgendwann gab es dann die Anweisung, dass sie nicht einmal mehr mit uns reden durften. Und dann war da der Zaun."
Trotzdem war ein solcher Besuch nur einmal notwendig.
"Die Oma war damals schon sehr alt. Da haben sie sie irgendwann zu ihrer Familie übersiedeln lassen", erinnert sich Bischoff.
"Was, wenn es nur von kurzer Dauer ist?"
Von ihrem Wohnzimmerfenster aus kann Christa Grebner nachts die Lichter ihres Geburtsortes sehen. Jetzt ist Neuenbau ganz nah, es gab Zeiten da war dieser Ort unerreichbar.
Am Sonntag, um 18 Uhr wird die ARD einen Beitrag über die Familien Welsch und Grebner bringen. Obwohl beide Familien nur vier Kilometer entfernt wohnen, trennte sie der eiserne Vorhang knapp 40 Jahre.
Im Jahre 1950 sei es gewesen, als sie mit ihren Eltern - ihr Vater stammte aus Tettau - und jüngeren Bruder die Flucht nach Tettau ergriff, erzählt Christa Grebner.
Ihr sei zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst gewesen, dass diese Entscheidung für viele Jahre mit der Trennung ihrer Verwandtschaft und ihrer geliebten Oma verbunden sein würde.
Unzählige Gesuche ihrer Mutter Maria für eine Familienzusammenführung seien von den Behörden in der DDR abgelehnt worden. Noch heute erinnert sich Grebner , wie sie mit ihrer Mutter in Grenznähe lief, um auf der anderen Seite die Oma zumindest sehen zu können. "Solche Momente waren mit viel Wehmut verbunden!"
Sie erinnert sich auch an die Hochzeit ihres Onkels, Anfang der 60-er Jahre. Damals reiste sie nach Sonneberg, um an der Familienfeier teilzunehmen. "Die Hochzeit durfte in Neuenbau nicht stattfinden, da im Sperrgebiet keine Familienfeiern mit Gästen aus dem Westen erlaubt waren."
Christa Grebners Neffe Sandro Welsch war 13 Jahre alt, als die Mauer fiel.
Für ihn sei die Grenze, die 500 Meter um Neuenbau existierte, Normalität gewesen. Er ist überzeugt, dass jeder in seinem Heimatort West-Fernsehsender gesehen hat. Aber keiner sprach davon. "Stillschweigen darüber wurde uns von frühester Kindheit eingetrichtet!"
Während Sandro Welsch und seine Tante Christa Grebner erzählen, wird deutlich, mit welchen Schikanen das DDR-System einst ihre Bürger behandelte, wie Familienzusammenkünfte möglichst verhindert wurden.
An ihren Ausführungen sind aber auch Begeisterung und Freude erkennbar - darüber, dass die Mauer fiel.
Aber sie hatten auch Angst, dass die Grenzöffnung nur von kurzer Dauer sein könnte. So berichtet Sandro Welsch, dass er als letzter seiner Schulkameraden westdeutschen Boden betreten habe. Der Grund: Seine Mutter war zum Zeitpunkt der Wende im Krankenhaus. Sein Vater sei erst nach ihrer Entlassung nach Kronach gefahren.
Er wollte nicht ohne sie, denn er hatte Angst, die Grenze könnte wieder dicht gemacht werden.
Seit der Wende werden nun des Öfteren Familientreffen im Elternhaus von Christa Grebner in Neuenbau abgehalten. Auch am Sonntag, 9. November findet wieder eines statt. Das Erste wird dabei sein und um 18 Uhr darüber berichten.
Das war eine unbeschreibliche Gefühlslage"
"Auf dem Wildberg wird die Deutsche Einheit ständig gelebt", erklärt der Betreiber des Biobauernhofes, Dietrich Schütze.
Die Einöde war schon immer Grenzgebiet zwischen Thüringen und Bayern. Angelika und Dietrich Schütze kamen 1976 auf den Wildberg und bauten hier eine Existenz als Biobauern auf. Das Ehepaar aus der hessischen Metropole um Frankfurt liebte die Stille, die ländliche Idylle und Beschaulichkeit um den Bauernhof.
Einige Änderungen im Aufbau der Sperranlagen des damaligen DDR- Regimes haben sie hautnah miterlebt. Die Grenze verlief nur einen Steinwurf von ihrem Hof.
Größtes Ereignis war natürlich der Mauerfall am 9. November 1989. Dietrich Schütze war damals so beeindruckt von den Ereignissen zwischen 9. November und 17. Dezember 1989, dass er sie in einem Brief an seine Geschwister dokumentierte.
Traum oder Wirklichkeit?
"Ich kann mich heute noch erinnern unter welcher unbeschreiblichen Gefühlslage ich den Brief verfasste, denn immer noch waren manche Dinge, die sich so schnell veränderten, für uns noch unfassbar und wir fragten uns manchen Abend: Ist es Traum oder Wirklichkeit, was du am Tage wieder erlebt hast?"
Auf dem Wildberg wird seither eigentlich jeden Tag so etwas wie Einheit gelebt, erklärt der Hausherr: "Wir bekommen fast täglich Besucher aus
Thüringen und haben seit 25 Jahren auch tiefe Freundschaften mit damals für uns wildfremden Menschen."
"An diesem Sonntag lag etwas in der Luft"
Etwas scheu schaut das Mädchen auf dem Schwarz-Weiß-Bild in die Kamera. Im Hintergrund sieht man einige Häuser eines kleinen Orts. "Das ist Heinersdorf, das ja damals noch in der DDR lag. Wir sind immer an der Grenze bei Heinersdorf spazieren gegangen, meistens am Sonntag", erzählt Christine Appel, die aus Welitsch kommt und heute in Hesselbach zuhause ist.
"Als Kind konnte ich das alles nicht begreifen. Wir spielten an der Grenze, kletterten auf einen direkt an der Grenze stehenden Kirschbaum, aßen Kirschen und wunderten uns, wenn wir den Einwohnern zuwinkten, warum niemand zurückgrüßte.
Am Sonntag, 19.
November 1989 bei unserem sonntäglichen Spaziergang entlang der Grenze lag etwas in der Luft", sagt sie. Und heute weiß Christine Appel: "Heinersdorf hatte einen Aufmarsch mit Blasmusik zum Grenzzaun geplant. Damit wollten die Heinersdorfer einen Grenzübergang für Fußgänger fordern."
Um 14 Uhr erreichte sie mit ihrer Familie die Grenze bei Heinersdorf. "Wir sahen Menschen wie auf einem Ameisenhaufen und Musik erklang von ,drüben‘. Auf beiden Seiten der Grenzbefestigung hörten wir Rufe wie ,Öffnet das Tor!‘, erzählt sie.
Um 14.40 Uhr sei es soweit gewesen: Das erste Tor wurde geöffnet. Um 17.30 Uhr sei das Tor wieder geschlossen worden, um noch einige Maßnahmen zu treffen, um es um 19 Uhr erneut öffnen zu können. Ihre Eltern luden "fremde Leute" aus Thüringen zum Kaffee ein. "Es wurden Freundschaften geknüpft, die bis heute noch anhalten."