Schüler-Boom bleibt an Kronacher Gymnasien trotz G9 (noch) aus

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Das neue G9 ist da - auch in Kronach. Treten dadurch auch wieder mehr Schüler an die heimischen Gymnasien über? Foto: Armin Weigel/dpa
Das neue G9 ist da - auch in Kronach. Treten dadurch auch wieder mehr Schüler an die heimischen Gymnasien über? Foto: Armin Weigel/dpa

Während Bayerns städtisch geprägte Regionen von ihren vielen Gymnasiasten schwärmen, lag die Übertrittsquote im Landkreis Kronach zuletzt sogar unter 30 Prozent. Die Ursache dafür ist unklar.

Die beiden Kronacher Gymnasien werden immer wieder modernisiert, sie haben engagierte Lehrkräfte und sie bemühen sich um breit gefächerte Angebote für die Schüler. Dann fällt auch noch das von vielen Eltern skeptisch beäugte achtstufige Gymnasium weg. Die erhofften rosigen Zeiten lassen dennoch auf sich warten. Warum? Diese Frage lässt die Schulleiter rätseln.

Renate Leive vom Kaspar-Zeuß-Gymnasium (KZG) und Harald Weichert vom Frankenwald-Gymnasium (FWG) verweisen auf einen Trend, der ihnen Sorge bereitet. Während in städtisch geprägten Regionen die Gymnasien boomen, liegen die Übertrittszahlen in ländlichen Räumen generell und auch speziell im Landkreis Kronach weit hinter den Erwartungen und Möglichkeiten zurück.

Dabei ist es nicht so, dass die Kronacher Grundschüler weniger für einen Übertritt ans Gymnasium geeignet wären als andere. 230 Kindern des Jahrgangs 2008 wurde zum Schuljahr 2018/19 der Übertritt ans Gymnasium empfohlen. Nur 129 (56 Prozent) folgten dieser Empfehlung. Auch längerfristig sind die Schüler und Eltern im Landkreis zurückhaltender als es in Oberfranken der Fall ist. Im Bezirk lag die Übertrittsempfehlung zum Schuljahr 2015/16 bei 50,4 Prozent, der tatsächliche Übertritt bei 33,5 Prozent - was im Bayernvergleich schon kein guter Wert war. In Kronach wurde damals aber sogar eine Übertrittsquote von nur 29,2 Prozent registriert. Zum Vergleich: In Niederbayern wurde 47,4 Prozent der Schüler ein Übertritt ans Gymnasium empfohlen, 43,8 Prozent nahmen diese Möglichkeit wahr.

Renate Leive berichtet von Gesprächen mit Kollegen: "In Bamberg sind alle hochzufrieden." Doch während das Gymnasium in solchen Zentren nach dem Beginn des neuen G9 boome, höre man von den Schulleitern im ländlichen Raum, dass sie sich vom Aus des G8 viel mehr erhofft hätten. Die Reaktion seitens der Eltern und Schüler bleibt bisher allerdings aus. "Der Stadt-Land-Unterschied ist eklatant", betont Weichert.

Eine Kopfsache

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Er vermutet, dass es eine Kopfsache ist. Das G8 sei bei vielen wohl noch negativ im Gedächtnis verankert, die Unterschiede im neuen G9 seien noch nicht so präsent. "Die große Kritik am G8 war der Nachmittagsunterricht", sagt Leive. "Jetzt sollte man denken, als Eltern könnte man wieder entspannter reagieren."

Der Nachmittagsunterricht wurde stark eingedampft und kommt in den 5. und 6. Klassen überhaupt nicht mehr vor. Zugleich wurde durch das zusätzliche Schuljahr mehr Zeit eingeräumt, den Stoff zu verinnerlichen, wie die beiden Schulleiter erläutern.

Weichert weist weiterhin auf unterstützende Angebote hin, die Eltern beim Gedanken ans Gymnasium nicht automatisch vor Augen hätten. Beispiele hierfür sind Intensivierungsstunden, berufsorientierte Module oder Ganztagsangebote. Trotz dieser Möglichkeiten und der vielseitigen Hilfen beim Start in die gymnasiale Schullaufbahn bleiben (zu viele) talentierte Schüler an den Kronacher Gymnasien aus.

Liegt es daran, dass Eltern in Zeiten des Fachkräftemangels wieder häufiger im Handwerk den goldenen Boden sehen? Ausschließen wollen die beiden Schulleiter das nicht. Nachvollziehen könnten sie es nicht. Selbst die IHK habe schon vor Ort für Abiturienten im Handwerk Werbung gemacht. Wer in dieser Branche zu einer Führungskraft werden wolle, dem werde viel abverlangt, erklären die beiden Schulleiter.

Leichter ist nicht immer besser

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Sie können den Eltern allerdings nicht in die Köpfe schauen. Sie wissen nicht, ob dort eine Erkenntnis schon verinnerlicht wurde: "Nicht jedes Kind, dass ans Gymnasium geht, studiert danach." Einen anderen Weg einzuschlagen sei heute kein Widerspruch mehr. "Das Abitur ist ein Abschluss, mit dem man in jede Richtung gehen kann. Man hat damit eine super Position", so Weichert. Vernetztes Denken, kritisches Hinterfragen, eine zweite Fremdsprache - solche Grundlagen der gymnasialen Bildung seien gefragt.

Die beiden Schulleiter warnen davor, die für das Gymnasium geeigneten Kinder unüberlegt auf einen nur vermeintlich leichteren Weg im durchlässigen Bildungssystem zu schicken. Durch das G9 werde sich der späte Übertritt ans Gymnasium (Eingangsklasse) deutlich erschweren, und eine Unterforderung talentierter Kinder könne sehr negative Auswirkungen haben. Außerdem stellt Leive fest: "Die Kinder können auch an anderen Schulen nicht dasitzen und Däumchen drehen."

Eine Elternstimme

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Paula Wich (10) steht heuer vor der Frage: Gymnasium oder nicht? Die Nurnerin wird es wohl ihrer älteren Schwester Selina (13) gleichtun und ans Frankenwald-Gymnasium wechseln. "Das Thema ,G8 und G9‘ hat dabei keine Rolle gespielt", erzählt Vater Volker Wich. Seine große Tochter habe sich jetzt sogar selbst für den vermeintlich stressigeren Weg im G8 und nicht für die entschleunigte Mittelstufe plus entschieden.

Bei der Schulwahl sollten die Eltern ihrem Nachwuchs Vor- und Nachteile aufzeigen und die Kinder darüber hinwegtrösten, wenn sich die Wege einiger Schulfreunde trennen, erklärt Wich. Er hält nichts davon, einem Kind die Schullaufbahn aufzuzwingen.

Ein Grund dafür, dass die Gymnasien auf dem Land weniger Übertritte registrieren, könnte seiner Meinung nach in der Berufswelt liegen. Da würde er sich sogar ein Umdenken wünschen. Der Handwerker ohne Abitur verdient seiner Ansicht nach heute wieder mehr Beachtung bei der Jobwahl.