Freiberufliche Hebammen finden kaum noch eine Haftpflicht. Ein ganzer Berufsstand ist bedroht - vor allem auf dem Land gefährdet das auch die medizinische Versorgung.
Nadine Schnappauf ist Hebamme. Sie verdient ihr Geld als Angestellte in der Kronacher Frankenwaldklinik und betreut freiberuflich Frauen vor und nach der Geburt. Noch. Wenn sich das Problem mit der Haftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen nicht klärt, ist für Schnappauf als Vertreterin des bayerischen Hebammenverbandes klar: "Dann lassen wir es einfach."
Die Berufshaftpflicht für Hebammen ist zurzeit in aller Munde. Wer nicht in einer Klinik angestellt ist, sondern zusätzlich oder ausschließlich freiberuflich als Beleghebamme, Hausgeburtshebamme oder in einem Geburtshaus arbeitet, muss die Police abschließen und sich für die außerklinische Geburtshilfe, die Betreuung des Wochenbetts, Vorsorge und Hilfe bei der Schwangerschaft absichern.
Dabei langen die drei deutschen Anbieter kräftig zu: Aktuell müssen freiberufliche Hebammen knapp 5000 Euro im Jahr zahlen. Viele können sich das nicht leisten und sind aus der Geburtshilfe ausgestiegen. Noch teurer könnte es werden, wenn die Nürnberger Versicherung wie jüngst angekündigt zum 1. Juli 2015 aus dem Geschäft mit den Hebammen aussteigt.
Geburtsschäden sind teuer Sprecher Matthias Klenk nennt als wichtigsten Grund für diese Entscheidung die "massiv gestiegenen Kosten für Geburtsschäden infolge von Behandlungsfehlern". Dies führe zu Versicherungsbeiträgen, die im Vergleich zum Einkommen der Hebammen sehr hoch sind. Zwar entstünden heute weder mehr Schäden als früher, noch besonders viele - aber große. Dann muss die Versicherung Jahrzehntelang für den Patienten, der durch den medizinischen Fortschritt auch schwerstgeschädigt eine längere Lebenserwartung hat, zahlen.
Im Durchschnitt 2,6 Millionen Euro schätzt der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) die Summe, die nach einem Geburtsfehler an den Patienten überwiesen werden muss - für Pflege, Therapie, Medikamente und Einkommensverlust. Einen erheblichen Anteil am Schadenaufwand haben laut GDV auch die Regresse der Sozialversicherungsträger. Lässt sich der Geburtsschaden auf einen Fehler der Hebamme zurückführen, fordern Krankenversicherer die Heilbehandlungskosten von der Haftpflichtversicherung der Hebamme zurück.
Als Ursachen für die explodierenden Haftpflichtkosten gibt der GDV außer den immer höheren Schadensforderungen auch eine steigende Klagebereitschaft der Eltern bei Geburtsschäden an. Den Hebammen nützen all diese Erklärungen wenig: Im Moment sieht es ganz so aus, als hätten Freiberuflerinnen durch den Ausstieg der Nürnberger Versicherung ab 1. Juli 2015 keine Haftpflichtversicherung mehr. Sowohl beim Deutschen Hebammenverband als auch beim Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands ist offen, wer die Mitglieder dann noch versichert. Anfragen bei alternativen - noch teureren - Unternehmen im In- und Ausland seien bisher erfolglos geblieben.
"Dies bedeutet Berufsverbot für die freiberuflichen Hebammen, denn ohne Haftpflichtversicherung dürfen wir weder Geburten zu Hause, im Geburtshaus oder als Beleghebammen noch in der Schwangeren- oder Wochenbettbetreuung annehmen", heißt es von Seiten der Verbände. "Das ist das Aus für die Versorgung der Bevölkerung mit freiberuflichen Hebammenleistungen, insbesondere mit Geburtshilfe."
Deutschlandweit gibt es etwa 3500 freiberufliche Hebammen. In Bayern ist der Anteil mit etwa 80 Prozent besonders hoch. Sie begleiten rund 20 Prozent der Geburten. Richtig gut leben können sie davon nicht, sagt Nicole Schnappauf aus Kronach. Sie rechnet vor: Wenn sie freiberuflich unterwegs ist, bekommt sie für einen Besuch 27 Euro plus Spritkosten. Gerade im ländlichen Bereich, wo die Anfahrtswege zu den Patientinnen oft sehr lang sind, steht der Zeitaufwand in keinem Verhältnis zum Stundenlohn von 7,50 bis 8 Euro. "Als Geschäftsfrau dürfte man nicht länger als 20 Minuten bei der Mutter bleiben", sagt Schnappauf. "Sonst lohnt sich das nicht. Aber natürlich bleiben wir länger. Wir machen das ja, um den Frauen zu helfen."
Minijob als Alternative Die 35-Jährige hat - wie viele ihrer Kolleginnen - ihre freiberufliche Tätigkeit auf einen Minijob heruntergefahren, um die diversen Versicherungsbeiträge zu sparen. Das reduzierte Engagement hat jedoch Auswirkungen für werdende und junge Mütter: "Es wird immer schwerer, eine Hebamme zu finden", weiß Schnappauf.
Sie bedauert die aktuellen Entwicklungen. Mit ihrer Festanstellung redet sie sich zwar leichter als ihre freiberuflichen Kolleginnen, denkt aber als Vertreterin des bayerischen Hebammenverbandes natürlich global. "Wenn sich keine Versicherung findet, fällt die komplette freiberufliche Tätigkeit weg", blickt Schnappauf bang in die Zukunft.
Das hätte auch negative Auswirkungen für Kliniken: "Gerade kleine Krankenhäuser im ländlichen Bereich mit weniger als 500 Geburten können ihre Kreissäle nur erhalten, weil Beleghebammen dort arbeiten." 20 Prozent der Kreissäle in Bayern hätten dieses Belegsystem. Sie müssten schließen, befürchtet Schnappauf, wenn sich die Versicherungsfrage nicht klären lässt.
Die Schwangeren müssten dann zur Entbindung nicht nur in weiter entfernte Kliniken fahren. Ohne die Nachsorge durch freiberufliche Hebammen würden sie drei Tage nach der Geburt entlassen und stünden ohne Nachsorge da. "Wir sind gespannt, was sich die Politik einfallen lässt", sagt Schnappauf.
Die Politik. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml verspricht eine rasche Lösung der Haftpflicht-Frage, "damit Hebammen weiterhin von ihrem Beruf leben können". Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe steht im Dialog sowohl mit den Hebammen als auch mit der Versicherungswirtschaft und sagt eine Umsetzung des Koalitionsvertrag zu. Darin ist festgelegt, dass eine flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfe sicherzustellen ist, die Situation der Geburtshilfe und der Hebammen beobachtet und für eine angemessene Vergütung gesorgt wird.
Die Hebammenverbände haben derweil selbst Lösungen vorgeschlagen. Sie fordern eine Neustrukturierung der Haftpflichtversicherung mit einer Haftungsobergrenze. Eine kurzfristige Lösung könnte auch ein Regressverzicht seitens der Sozialversicherungsträger sein. Die Forderungen der Hebammen werden zurzeit vom Bundesjustizministerium geprüft.