Gegähnt wird in Kronach vorerst weiter

2 Min
Wenn die innere Uhr anders tickt: Gerade Jugendlichen falle es schwer, früh einzuschlafen, sagen Wissenschaftler. Sie fordern daher einen späteren Unterrichtsbeginn. Archiv-Foto: Roland Scheidemann/dpa
Wenn die innere Uhr anders tickt: Gerade Jugendlichen falle es schwer, früh einzuschlafen, sagen Wissenschaftler. Sie fordern daher einen späteren Unterrichtsbeginn. Archiv-Foto: Roland Scheidemann/dpa

In einem Gymnasium in NRW haben Schüler die Wahl, ob sie um 8 Uhr oder eine Stunde später anfangen. Ein Modell auch für den Kreis Kronach?

Die Straßen sind dicht. Pünktlich um 7.30 Uhr geht nichts mehr. Nicht vor, nicht zurück. Sackgasse. Rechtzeitig an sein Ziel kommt lediglich noch, wer das Glück hat, auf einen Hubschrauber als Fortbewegungsmittel zurückgreifen zu können. Selbst erfahrene Pendler, die jeden Asphaltfleck im Landkreis persönlich kennen und Staus bereits auf Kilometer wittern, dürften nun erfolglos in ihrem Navigationsgerät nach einer solchen Situation suchen.

Zu erleben ist der tägliche Mega-Stau schließlich nicht im Kreis Kronach, sondern in São Paulo. Fünf Jahre unterrichtete Thomas Müller, stellvertretender Schulleiter des Kronacher Kaspar-Zeuß-Gymnasiums (KZG), in der brasilianischen 12-Millionen-Einwohner-Metropole an einer deutschen Schule. Die Lösung, um Schülern und Lehrern das tägliche Verkehrschaos zu ersparen: Erste Stunde um 7.10 Uhr. "Das ist sicherlich kein guter Zeitpunkt für Schüler, um mit dem Unterricht zu beginnen", sagt Müller. "Aber pädagogische Beweggründe treten bei solchen Parametern in den Hintergrund."


Ein anderes Problem

Nach sechs weiteren Jahren in Griechenland landete Müller vor sechs Monaten als Konrektor beim KZG - jener Schule, in der er Anfang der Neunzigerjahre als Referendar begann. "Schon damals ging es bei uns um 7.40 Uhr los. Insofern hat sich hier nicht viel verändert", scherzt der 55-Jährige. Der frühe Beginn ist vor allem der Schülerbeförderung in dem großen Landkreis geschuldet. Mehr als 80 Minuten Fahrt mit Bus und Bahn sind für einige Kinder keine Seltenheit. Nicht nur Müller würde seinen Schülern daher gerne ermöglichen, erst um 8 Uhr den Gong zur ersten Stunde hören zu müssen.

Ein Modell mit einem Start erst um 9 Uhr - wie es nun an einer Oberstufe im nordrhein-westfälischen Alsdorf eingeführt wurde - kann er sich am KZG nicht vorstellen. "Das ist für uns schon wegen der Schülerbeförderung und den Besonderheiten des regionalen Standorts kein Thema", so Müller. Schließlich müsse eine einheitliche Regelung für alle Eltern im Frankenwald gefunden werden.


Was die Wissenschaft fordert

Seine Kollegen sehen dies ähnlich. "Wir haben momentan dringendere Probleme zu lösen, als einen späteren Unterrichtsbeginn", sagt Christa Bänisch, die Direktorin der Maximilian-von-Welsch-Realschule (RS I). Für sie stehe ganz oben auf der Agenda, die Fahrzeit der Schüler zu verkürzen. Auch Klaus Morsch, Rektor des Frankenwald-Gymnasiums sieht die Schülerbeförderung als entscheidende Hürde. Wie Müller hätte er allerdings keine Probleme, erst um 8 Uhr mit dem Unterrichtsstoff zu beginnen.

Schon seit rund zehn Jahren fordern Wissenschaftler, einen späteren Unterrichtsbeginn an Schulen. Bis zum 20. Lebensjahr gehe die innere Uhr der meisten Jugendlichen nach, erklärt Till Roenneberger von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der Chronobiologe begleitete die Einführung eines sogenannten "Gleitzeit"-Modells, das es Schülern überlässt, ob sie um 8 Uhr beginnen oder eine Stunde später. Die verpasste Zeit kann dann etwa in einer Freistunde wieder aufgeholt werden. "So etwas sehe ich nicht nur als Lehrer, sondern auch als Vater kritisch", sagt Müller.

Die Schüler bräuchten eine Pause. Ansonsten sei die Aufmerksamkeit zwar morgens besser, würde dann aber in den letzten Stunden des Schultages nachlassen. Gerade bei jüngeren Schülern gäbe es in dieser Hinsicht morgens aber ohnehin keine Probleme. "Bei den Älteren bin ich mir nicht immer sicher, ob die Müdigkeit wirklich mit dem frühen Schulbeginn zu tun hat", sagt Müller und lacht.

Möglich wäre ein späterer Beginn durchaus. "Wir haben keine Fixierung auf eine bestimmte Uhrzeit", erklärt Ludwig Unger, Pressesprecher des bayerischen Kultusministeriums. Doch auch er stellt die Frage, ob dies in einem Flächenlandkreis wie Kronach umsetzbar ist. Außerdem komme hinzu, dass Schüler so noch später zu Hause seien. "Die Vereine beklagen sich ja jetzt schon, dass die Schüler wegen G8 immer weniger Zeit für eine Sportart haben", merkt Thomas Müller an. Ein späterer Schulbeginn würde die Lage da nicht gerade verbessern.