Die neue Normalität: Wie sich der BRK-Kreisverband um Flüchtlinge kümmert

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Am Freitag hatte Miriam Schirmer die Kleiderannahmestelle des BRK ausgeräumt gehabt, fünf Tag später ist alles wieder voll. Foto: Anja Greiner
Am Freitag hatte Miriam Schirmer die Kleiderannahmestelle des BRK ausgeräumt gehabt, fünf Tag später ist alles wieder voll.  Foto: Anja Greiner

Vor knapp vier Wochen kamen die ersten Flüchtlinge in Kronach an. Es werden nicht die letzten sein. Das stellt auch die Helfer vor neue Herausforderungen. Der BRK-Kreisverband sucht nach einer neuen Organisationsstruktur.

Ein wenig ratlos waren sie an der Straße gestanden, Miriam Schirmer und ihre Kollegen vom BRK-Kreisverband. Gerade war der dritte Bus mit 50 Flüchtlingen am Schulzentrum angekommen. Eine Frau war ausgestiegen, auf dem Arm ein einjähriges Kind - seit Wochen hatte die Mutter es so getragen. "Wir haben überlegt, wo wir jetzt einen Kinderwagen herbekommen könnten", sagt Schirmer. Da sei ein Mann vorbeigekommen - und als er sie so stehen sah, habe er gefragt, ob er helfen könne. Ein paar Minuten später saß Miriam Schirmer im Auto und holte einen Kinderwagen bei dem Mann zu Hause ab.


Spenden lieber auf Abruf

Die Spendenbereitschaft der Leute, sagt Schirmer, sei wirklich Wahnsinn. Bis vor kurzem hatten sich in der Doppelgarage des BRK die Sachen gut eineinhalb Meter hoch gestapelt. Wer etwas spenden will, sagt Schirmer, solle am besten vorher kurz anrufen. Kleider- und Sachspenden bräuchten sie zur Zeit lieber auf Abruf.
Seit der erste Bus mit 50 Flüchtlingen vor knapp vier Wochen an der Mehrfachturnhalle ankam, organisiert Schirmer mit anderen Helfern die Kleiderspenden. Jedes einzelne Teil müssen sie in die Hand nehmen, Kaputtes und Dreckiges aussortieren. Manchmal auch Fragwürdiges: ein T-Shirt, auf dem der Jägermeister-Hirsch prangt, darüber ein Kreuz.

Miriam Schirmer (32) sitzt auf einem Sofa im Gang der Einsatzzentrale des BRK-Kreisverbandes in Kronach und "blättert” in ihrem Tablet. Syrisch-arabisch für Anfänger. Kostenlos von einem Verlag zur Verfügung gestellt für Flüchtlingshelfer.

Der Verlag biete auch ein Hörbuch an. "Ich glaub, das ist eher was für mich", sagt sie, nachdem sie die ersten Lektionen überflogen hat.

Die Lageplätze des BRK-Kreisverbands sind voll mit Spenden, die Lastwagen gefüllt bis unters Dach. Dreimal waren sie bislang am Schulzentrum. Immer wenn ein neuer Bus ankam, haben sie Kleider verteilt. "Die Menschen haben nichts außer das, was sie am Leib tragen", sagt Schirmer.

In den Umkleiden der Turnhalle legen sie die Kleidung aus, getrennt nach Frauen, Männern, Mädchen und Jungen. Zwei bis drei Leute lassen sie auf einmal in die Kabine, die Flüchtlinge suchen sich die Kleider selbst aus. Anders geht es nicht, außer mit Händen und Füßen ist kaum eine Kommunikation möglich.

Darum die Arabisch-Lektionen auf dem Tablet. Ein paar Sätze will Schirmer für sich und die anderen Helfer rausziehen. Sätze wie: "Mir geht es nicht gut" oder "Ich bin krank". Aber auch Alltägliches: "Was heißt eigentlich Hose auf arabisch? Oder Pulli?"

Die Flüchtlinge, sagt sie, seien alle unheimlich dankbar. Sie lachen, nehmen sie an den Händen. Sie versuchen deutsch zu lernen: Hallo, wie geht's?, sagen sie dann und freuen sich, wenn sie auch verstanden werden. Das Schönste für Schirmer ist, wenn sie sieht, wie die Kinder aufblühen. Wenn sie am Anfang an die Eltern gedrückt aus dem Bus steigen und nach ein paar Tagen im Hof mit dem Ball spielen. Wenn die Kinder wieder Kinder sein können, sagt sie. Das BRK handelt nach Auftrag des Landratsamtes.

"Großartig vorplanen ist nicht möglich", sagt Kreisbereitschaftsleiter Martin Schmidt. Das Landratsamt sagt Bescheid, wenn mehr Decken benötigt werden, weil die Temperaturen kühler werden. Das Landratsamt sagt Bescheid, wenn wärmere Kleidung gebraucht wird. Jeder Hilfsbesuch muss vorher beim Landratsamt angekündigt werden. Bürokratie als Sicherheit - als einzige Konstante in einem derzeit völlig unplanbaren Zustand, von dem man nur eines weiß: Er wird sich so schnell nicht mehr ändern.

Wenn neue Flüchtlinge kommen, erfahren das die Helfer vom BRK meist einen Tag vorher. Das Landratsamt bekommt selbst nur kurzfristig von der Regierung Bescheid. Aus welchen Ländern die Flüchtlinge kommen, ob Kinder und Säuglinge dabei sind, Verletzte oder Kranke, das wissen die Helfer erst, wenn die Menschen aus dem Bus steigen. Nach Angaben des Landratsamts leben derzeit 125 Personen in der Einrichtung. Sie kommen aus Syrien, Irak, Nigeria, Afghanistan, Pakistan, Mali, Äthiopien, Albanien, Eritrea, Iran und dem Senegal. Eine Familie mit zwei Kindern konnte bereits in eine Privatwohnung verlegt werden, so der Sprecher des Landratsamtes, Bernd Graf.

Rund 20 ehrenamtliche Helfer des Arbeitskreises Asyl betreuen die Flüchtlinge, organisieren beispielsweise Deutschkurse und Fahrdienste zum Einkaufen oder zu Behörden. Die Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen funktioniere laut Graf sehr gut. Dennoch muss sich auf lange Sicht noch einiges ändern. "Im Moment reagieren wir, wie es anfällt", sagt Schmidt.

Alles werde ehrenamtlich abgedeckt. Irgendwann stoße man an seine Grenzen. Als die ersten Flüchtlinge ankamen, musste zur gleichen Zeit das Schützenfest zehn Tage mit insgesamt 270 Ehrenamtlichen im Einsatz gestemmt werden. "Wir müssen ein System entwickeln, wie wir das längerfristig hinbekommen", sagt Schmidt. Eine Art fester Flüchtlingsstab innerhalb des BRK sei beispielsweise denkbar. Denn ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr. "Für Flüchtlinge zu sorgen, wird Normalität werden", sagt Schmidt.

Das jüngst Flüchtlingskind ist ein Jahr alt, die ältesten sind wohl zwischen zwölf und 14. Insgesamt sind es rund 20 Kinder. Ein paar mehr Männer sind es wohl, schätzt Schirmer. Der Großteil seien aber Familien. Ältere Menschen sind eher die Ausnahme. Einen Rollstuhl mussten sie bislang besorgen. Die Frau habe nicht laufen können. Der Sohn hatte sie den ganzen Weg auf seinem Rücken getragen. Von Syrien nach Kronach.




Info: Suche nach Alternativen

Das Landratsamt ist ständig auf der Suche nach alternativen Notunterkünften. Dabei spielen in den Überlegungen auch leer stehende Gebäude des ehemaligen Dreefs-Komplexes in Unterrodach eine Rolle. Das bestätigte Pressesprecher Bernd Graf auf Anfrage. "Auch das steht mit auf einer Liste", erklärt er, dass viele Optionen geprüft werden. Was sich realisieren lasse, könne aber noch nicht gesagt werden. Höchstes Ziel sei es nach wie vor, die Turnhallen am Schulzentrum schnellstmöglich frei zu bekommen. Alexander Löffler