Stolpersteine: Erinnerungen an Misshandlung und Gewalt

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Hermann Lorey vom Bauhof der Stadt setzte die fünf Stolpersteine, die an das Schicksal von Juden erinnern, die einst in Prichsenstadt lebten.
Foto: GERHARD BAUER
Lutz Ackermann (von links), Isabelle Böttger, Lisa Hemming, Manuel Kohles und Dominik Reimann lasen aus den Biografien der Opfer, legten sie an den Stolpersteinen Blumen nieder und entzündeten ...
Foto: GERHARD BAUER

Mahnung und Gedenken: Fünf weitere Stolpersteine erinnern in Prichsenstadt an jüdische Mitbürger, die in der Zeit der NS-Diktatur gefoltert und musshandelt wurden.

Stolpersteine erinnern an Bürger einer Gemeinde, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft misshandelt, deportiert und umgebracht wurden. Nach der ersten Verlegung in Prichsenstadt im Mai wurden am Sonntag vor dem Gebäude Karlsplatz 9 in einer Gedenkstunde fünf weitere Stolpersteine eingebracht.

Im Pflaster der Altstadt erinnern sie an Kinder, Frauen und Mädchen, die einst Nachbarn und Freunde waren und deportiert, gefoltert und getötet wurden. Die heutige Hauseigentümerin Uta Eichhorn war nicht nur mit der Verlegung der Steine einverstanden, sie übernahm auch die Kosten.

Die Aktion Stolpersteine wurde 1999 vom Kölner Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen, der auf diese Weise die Erinnerung an die Opfer des Naziterrors wach halten will. In 19 Ländern in Europa wurden bislang mehr als 56 000 Stolpersteine gesetzt.

Zeichen setzen

Das Verlegen in Prichsenstadt hatte der Arbeitskreis Stolpersteine im Verein Alt-Prichsenstadt initiiert, dessen Sprecher Wolf-Dieter Gutsch die Organisation übernahm. Die Jugendlichen Lutz Ackermann, Manuel Kohles, Dominik Reimann, Lisa Hemming und Isabelle Böttger verlasen die Biografien derjenigen aus der Familie Künstler, derer jetzt gedacht wird: Berta, Gretchen, Helene, Isaak und Justin.

Kitzingens Alt-OB Bernd Moser sprach von einer beeindruckenden Stunde, Landrätin Tamara Bischof unterstrich den Wert mit Stolpersteinen Zeichen zu setzen. Stolpersteine seien Erinnerungssteine an lokale und regionale geschichtliche Ereignisse und gegen das Vergessen gerichtet, sagte Landtagsabgeordneter Volkmar Halbleib.

Wolf-Dieter Gutsch, der das jüdische Totengebet Kaddish sprach, begrüßte unter den Teilnehmern Oded Baumann, Vorstandsmitglied in der Israelitischen Gemeinde Würzburg. Drei Bläser aus Wiesentheid sorgten für den musikalischen Rahmen.

Über Schicksale dieser ehemaligen Prichsenstädter wurden bei der Gedenkfeier berichtet:

Von Berta Künstler ist wenig bekannt. Sie wurde 1901 als Tochter von Wolfgang und Gretchen Künstler in Prichsenstadt geboren und am 22. April mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Justin zunächst nach Würzburg und dann nach Lublin/Ostpolen deportiert.

Gretchen Künstler heiratete 1900 den Prichsenstädter Metzger Wolfgang Künstler. 1877 wurde sie in Trabelsdorf als ältestes Kind des Händlers Joseph Silbermann und seiner Frau Rosa geboren. Schwester Frieda Goldmann war in Zeil verheiratet. Am 25. April 1942 wurde sie mit dem gleichen Zug wie ihre Schwester nach Lublin deportiert und kam im Vernichtungslager Sobibor ums Leben. Onkel Salomon Silbermann überlebte als einziger der Familie, da er 1935 über die Niederlande und Frankreich nach Australien emigrierte.

Die Kinder der Familie Künstler, Bertha, Isaak und Justin, mussten ebenfalls ihre Heimat verlassen. Isaak Künstler – Jahrgang 1903 – gelang es nach vorbeugender Polizeihaft im Konzentrationslager Sachsenhausen in die Grafschaft Kent in England zu emigrieren. Über die USA kam er nach Australien, von wo aus er vergeblich versuchte seine Ehefrau Helene wieder zu finden. Er starb 1981 im Alter von 78 Jahren.

Ehefrau Helene, geborene Maier, Jahrgang 1908, stammte aus der Gegend von Heilbronn, heiratete Isaak Künstler 1938 und zog in Prichsenstadt in das Haus Nummer 11 (heute Karlsplatz 9). Mit der Emigration des Ehemannes Isaak kam sie 1939 zurück in die Gegend von Heilbronn. Von dort aus wurde sie am 22. August 1942 nach Theresienstadt und am 29. Januar 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie mit ihrer Schwester Johanna Maier, Jahrgang 1903, vermutlich gleich nach der Ankunft ermordet wurde.

Als jüngster Sohn wurde 1911 Justin Künstler geboren und erlernte das Metzgerhandwerk. Einen Tag nach der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde er verhaftet und wegen seiner jüdischen Herkunft dauerhaft aus der Wehrmacht ausgeschlossen. Bis 1942 wohnte er in Prichsenstadt und wurde mit seiner Mutter ins Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo er am 6. Juni 1942 ermordet wurde.

Alle in Prichsenstadt noch verbliebenen Juden mussten ihren Haus- und Grundbesitz verkaufen und vom Bahnhof aus die „Evakuierung nach Osten“, so die damalige offizielle Beschreibung angetreten. Als der Zug in Krasnyczyn eintraf, war er mit 955 Juden aus Unterfranken besetzt, die mit großer Wahrscheinlichkeit am 6. Juni 1942 in Sobibor ermordet wurden.