Der Kredit von Löw scheint verbraucht

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Frankreich - Deutschland
Seine Perspektiven haben sich eingetrübt: Weltmeister-Trainer Joachim Löw gilt schon länger nicht mehr als unantastbar.
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Foto: Dpa

Die Nationalmannschaft in der Krise, der Bundestrainer angezählt: Wie sehen regionale Fußball-Experten die Arbeit und die Zukunft von Joachim Löw?

Nach dem Absturz in der europäischen Nations League steht Bundestrainer Joachim Löw weiter in der Kritik. Wie fällt das Echo in der regionalen Fußball-Szene aus? Der Weltmeister-Coach hat nur noch wenige Fürsprecher, wie unsere Umfrage zeigt.

„Wir müssen nicht alles auf null setzen“

Jürgen Pfau (Vorsitzender des unterfränkischen Fußball-Bezirks, muss nach unserem Anruf erst einmal durchatmen – wir erreichen den Polizeibeamten während dem Dienstsport): Die Frage lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Es gäbe Argumente für, aber auch ge-gen ein Verbleiben Joachim Löws im Amt. Die Leistung der letzten Partie gegen Frankreich macht Hoffnung, aber man wird heute nicht sagen können, ob es richtig war, an ihm festzuhalten.

Die Veränderungen, die er jetzt eingeleitet hat, waren ein erster Schritt. Klar ist aber: Das kann es nicht gewesen sein. Besonders personell braucht es in der Mannschaft einen Neuanfang. Dabei Besitzstände wahren zu wollen hilft niemandem weiter. Keiner ist alternativlos. Wenn Bessere da sind, müssen die auch eingesetzt werden.

Die Situation der Nationalmannschaft ist allerdings nicht mit der von Anfang des Jahrtausends vergleichbar. Damals lag ein langer Prozess hinter ihr, in dessen Verlauf man zu wenig Wert auf den Nachwuchs gelegt hatte. Heute haben wir im ganzen Land unsere Stützpunkte und Nachwuchsleistungszentren. Wir haben eine aus deutscher Sicht enttäuschende Weltmeisterschaft hinter uns und es wird sicherlich nicht über Nacht alles wieder gut werden. Aber wir müssen jetzt auch nicht wieder alles auf null setzen.

„Es wäre an der Zeit, den Weg freizumachen“

Thomas Hofmann (Trainer beim Fußball-Kreisligisten Bayern Kitzingen): Ich bin selbst Trainer und weiß daher, wie schwierig es ist, eine Mannschaft nach einem großen Erfolg bei Laune zu halten und wieder neu zu motivieren. Gelingt das nicht, wächst der Druck, gewisse Entscheidungen zu treffen. Ich denke, bei der Nationalmannschaft ist es höchste Zeit, den Umbruch einzuleiten.

Es gibt erfahrene Spieler, die immer wieder als Säulen hervorgehoben werden, aber ihre Leistung nicht mehr abrufen. Sie spielen in Klubs, in denen der Flow derzeit auch nicht da ist. Es gibt keine Welle, auf der sie getragen und die sie mit zur Nationalelf nehmen könnten – siehe nur Bayern München. Viele Nationalspieler sind vor vier Jahren Weltmeister geworden, haben Spiele wie das 7:1 gegen Brasilien im Hinterkopf. Solche Momente sind aber nicht reproduzierbar. Im Ligabetrieb ist das etwas anderes. Dort verdienen die Spieler ihre Brötchen. In der Nationalelf geht es bloß um Ehre und Stolz.

Deshalb wäre es jetzt Zeit, den Weg freizumachen für junge, unbelastete Spieler. Das sollte auch der Bundestrainer bedenken. Ich bin kein Anhänger überstürzter Entscheidungen, aber ich plädiere für einen Neuanfang, auch im Trainerteam. Nach dem frühen WM-Aus hätte ich mir deutlichere Signale von Löw erwartet.

„Löw hat nur auf großen Druck gehandelt“

Claus Bidner (Abteilungsleiter des Fußball-Kreisklassisten SpVgg Gülchsheim): Joachim Löw hat im letzten Spiel gegen Frankreich ein bisschen nachjustiert, aber ob wir die Probleme damit in den Griff bekommen – ich weiß nicht. Wir haben nach wie vor keinen richtigen Stürmer, aber der Bundestrainer hat hier angesichts der Schnelligkeit von drei oder vier Spielern andere Optionen.

Den großen Umbruch hat er nicht eingeleitet. Er hätte schon deutlich eher auf die Jungen setzen können und müssen, wenn man wirklich radikal sein und alles auf den Prüfstand stellen will. Ich bin ja auch schon länger im Fußballgeschäft und weiß: Man braucht eine Achse aus erfahrenen Leuten, aber wenn ein Thomas Müller seine Leistung nicht bringt, muss er halt mal auf die Bank, so schwer es ihm auch fällt.

Die Aufstellung zuletzt gegen Frankreich ist unter großem öffentlichen Druck – vielleicht auch aus Teilen der Mannschaft – entstanden. Für mich stellt sich die Frage, ob der Bundestrainer von diesen Veränderungen wirklich überzeugt ist. Ich denke, auf die erste Halbzeit ge-gen Frankreich lässt sich aufbauen. Dazu ist es aber nötig, dass Löw nicht im nächsten Spiel wieder alles rückgängig macht und er weiter auf die Jungen setzt, zum Beispiel einen Kimmich, der sicherlich ein Spieler der Zukunft sein wird.

„Die Dankbarkeit war ein großer Fehler“

Thomas Latteier (Trainer beim Fußball-Bezirksligisten TSV/DJK Wiesentheid): Joachim Löw hätte nach dem WM-Titel vor vier Jahren einen sauberen Schnitt machen und auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn abtreten sollen. Mehr geht doch nicht. Es ist jetzt an der Zeit, in die Nationalelf frischen Wind zu bringen. Ich sehe bisher aber wenig von dem groß angekündigten radikalen Umbruch.

Löw hat in Frankreich unter massivem Druck die Jungen reingeworfen, aber ich denke, er hatte schon Bauchschmerzen, etwa einen Thomas Müller draußen zu lassen. Dabei war Müller einer der vielen altgedienten Spieler, die während der Weltmeisterschaft ihre Leistung nicht abgerufen haben. Der Bundestrainer hat zu lange auf Dankbarkeit vertraut, er hat seinen Weltmeistern einen Bonus eingeräumt – das war ein großer Fehler. Ich bin mir nicht sicher, ob er das schon eingesehen hat.

Wenn man als amtierender Weltmeister bei einer WM eine solche Pleite hinlegt und in einer vergleichsweise leichten Gruppe kein einziges überzeugendes Spiel liefert, muss ich mich als Trainer schon hinterfragen. Aber Löw hat sich die Sache einfach gemacht und auf Zeit gespielt. Er hat zwei Monate vergehen lassen, bis sich die Aufregung gelegt hat, und dann einen Neuanfang beschworen. Leider ist davon wenig zu sehen.

„Der DFB wird sich irgendwie durchschlängeln“

Wolfgang Beischmidt (Trainer beim Fußball-Kreisligisten SV Sickershausen): Ich glaube, ein Wechsel an der Spitze hätte gut getan, nicht weil Joachim Löw ein schlechter Trainer wäre, sondern weil er schon sehr lange da ist. Nach so vielen Jahren wäre ein neuer Impuls sinnvoll. Man tut sich als Trainer schwer, über einen so langen Zeitraum die Spannung hochzuhalten und sich dabei immer wieder neu zu erfinden. Das ist ganz normal in diesem Geschäft.

Mich hat die stellenweise ausgebrochene Begeisterung nach dem jüngsten Spiel in Frankreich etwas überrascht. Diesen personellen Umbruch, der da bejubelt wurde, hätte es viel früher geben müssen, nicht erst auf massiven Druck hin. Der wäre nach dem erfolgreichen Confed-Cup fällig gewesen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob eine ordentliche erste Halbzeit wie gegen Frankreich schon als Signal für einen Aufbruch taugt.

Ich vermisse nach wie vor dieses neue, schlüssige Konzept, das nach dem WM-Aus angekündigt war. So gesehen war die jüngste Niederlage, die ja im Endeffekt sogar unglücklich war, eher kontraproduktiv. Mir wäre so eine 0:3-Klatsche wie zuvor gegen die Niederlande lieber gewesen. Ich fürchte nämlich, der DFB wird sich jetzt wieder irgendwie durchschlängeln, statt den dringend nötigen personellen Umbruch voranzutreiben.