Philipp Loibl und Kilian Wagner mussten eine Klasse wiederholen.Von der Ehrenrunde waren beide nicht begeistert, heute haben sie aber längst ihre Lehre daraus gezogen - und würden nicht mehr darauf verzichten wollen.
In ein paar Wochen steht das Abi vor der Tür. Eine Prüfung nach der anderen, zig Bücher wälzen, endloses Pauken. Noch vor ein paar Jahren hätte Philipp Loibl und Kilian Wagner (beide 19) das vermutlich kalt gelassen: Schule? Lernen? Hausaufgaben? Kein Bock! Ihre Noten machten ihnen damals deswegen einen Strich durch die Rechnung - um die Ehrenrunde kamen beide trotz Nachhilfe nicht mehr herum. Philipp musste die 8. Klasse wiederholen - Schuld waren Latein, Französisch und Mathe. Kilian entschied sich wegen seiner Mängel in Englisch nach dem ersten Halbjahr der 6. Klasse freiwillig in die 5. Jahrgangsstufe zurück zu gehen. Damit änderte sich schlagartig ihre Einstellung - und ihre Noten. "Rückblickend war das Sitzenbleiben sehr hilfreich und eine neue Chance", sagt Philipp Loibl heute.
Die aktuelle Diskussion in Niedersachsen, ob das Sitzenbleiben womöglich abgeschafft werden sollte, können beide Schüler des Egbert-Gymnasiums in Münsterschwarzach nicht nachvollziehen. Und das obwohl sie selbst zunächst erfahren mussten, dass eine Ehrenrunde kein Zuckerschlecken ist: "Ich fand es damals schlimm, dass ich älter war als meine Mitschüler. Die kamen mir alle etwas kindlicher vor", erinnert sich Kilian. Und selbst heute, viele Jahre später, haben sie mit dem "fehlenden" Jahr manchmal noch zu kämpfen: "Es ist schon ein komisches Gefühl, dass die ehemaligen Mitschüler jetzt schon alle studieren oder ins Ausland gehen", findet Philipp. Soziale Kompetenzen fördern Dennoch würden beide die Ehrenrunde nicht missen wollen und haben durch sie erst gelernt, die Schule ernster zu nehmen: "Das Wiederholen hat mir auf jeden Fall was gebracht, ich konnte den Stoff in Ruhe wiederholen", erklärt Kilian. Und auch Philipp ist sich sicher, dass er die Wiederholung gebraucht hat: "Ich bin nicht umsonst durchgefallen, es war mir eine Lehre." Beide halten nichts davon, das Sitzenbleiben künftig keinem Schüler mehr zumuten zu wollen. "Wird die Ehrenrunde abgeschafft, bleiben die Lücken groß. Sie lassen sich zwar mit neuem Stoff zudecken, aber der alte Stoff fehlt", sagt Philipp. Er sieht die Ehrenrunde außerdem noch aus einem ganz anderen Grund positiv: "Es ist eine Herausforderung, weil man sich neu beweisen und neue Freunde finden muss. Da werden die sozialen Kompetenzen gestärkt."
Robert Scheller, Schulleiter des Egbert-Gymnasiums in Münsterschwarzach sieht das ganz ähnlich, möchte nicht nur auf die Noten, sondern auch auf die Persönlichkeit seiner Schüler Wert legen. Deshalb kommt es für ihn vor allem auf das "kreative Dreieck" an, bestehend aus dem Schüler, seinen Eltern und der Schule: "Die Kommunikation muss stimmen, der Schüler muss motiviert werden.
Erfolgserlebnisse bringen ihn schulisch und persönlich weiter", sagt Scheller. Tut sich ein Schüler schwer in einem Fach, müsse herausgefunden werden, woran es liegt. Ist er überfordert oder lässt er die Forderungen nicht an sich heran? "Sitzenbleiben sollte der letzte Weg sein. Vorher muss alles getan werden, um individuelle Fördermöglichkeiten zu nutzen", findet der Direktor. Auf die Ehrenrunde ganz zu verzichten, hält Scheller allerdings nicht für sinnvoll. Ein junger Mensch müsse selbst erkennen, dass er gefordert ist, gerade in der heutigen Leistungsgesellschaft. "Wenn man Mathe in der 8. Klasse nicht versteht, versteht man es auch nicht in der 9."
Silvia Hofmann, Beratungslehrerin der Paul-Eber-Mittelschule in Kitzingen fände eine Abschaffung der Ehrenrunde dagegen gar nicht tragisch: "Wenn sich die Grundhaltung des Schülers nicht ändert, bringt das Sitzenbleiben nichts." Sie hält viel mehr von der individuellen Förderung, bevor es überhaupt soweit kommt. Bewährt hätten sich besonders die Bildungs- und Lesepaten, meist Rentner, die die Schüler teilweise dreimal die Woche besuchen, um mit ihnen den Schulstoff zu wiederholen. Durchfallen ist die Ausnahme Auch Schulleiterin Birgit Säger sieht Förderstunden, unter anderem für ausländische Kinder in der deutschen Sprache, als wesentlich sinnvoller an als eine Ehrenrunde. Schüler der Mittelschule, deren Noten eigentlich nicht für eine Versetzung sprechen, dürfen meist trotzdem nachrücken. "In den meisten Fällen entscheiden wir uns aus pädagogischen Gründen gegen das Durchfallen", sagt Säger. Für manche Schüler wäre das Sitzenbleiben zwar positiv, um den Stoff zu wiederholen und sicherer zu werden. "Für andere ist es ineffizient, weil kein Lernzuwachs zu erwarten ist und sie einfach schulmüde sind."
Philipp und Kilian sind das jedenfalls nicht mehr. Auf das bevorstehende Abi wollen sie sich gründlich vorbereiten. Früher konnte sich Philipp dazu fast nie aufraffen, hatte keine Lust, ließ sich schnell ablenken, machte sich keinerlei Gedanken um seine Zukunft. "Das war wie ein Strudel, aus dem man nicht mehr herauskam", erinnert er sich. Heute lernt er gezielter, lässt sich auf den Strudel nicht mehr ein: "Wenn ich merke, ich hab' ein Defizit, setze ich mich hin und lerne." Nach dem Abi will er zum gehobenen Polizeidienst, Kilian will Kunst oder Architektur studieren. Ziele, für die sie heute gerne bereit sind, ihre Bücher zu wälzen.