Eigentlich hatte Stephanie Nomayo nur eine ganz normale Recherche vorgehabt, als sie 2011 im Kitzinger Stadtarchiv alte Steuerbücher aus der Zeit um 1600 zur Hand nahm. Doch als sich die Leiterin des Stadtmuseums die Einbände der Bücher genau ansah, staunte sie nicht schlecht.
Eigentlich hatte Stephanie Nomayo nur eine ganz normale Recherche vorgehabt, als sie 2011 im Kitzinger Stadtarchiv alte Steuerbücher aus der Zeit um 1600 zur Hand nahm. Doch als sich die Leiterin des Stadtmuseums die Einbände der Bücher genau ansah, staunte sie nicht schlecht.
„Sie bestanden aus Pergament, waren zum Teil durch die Jahrhunderte währende Nutzung dunkel verfärbt, zeigten aber noch zwischen ihren in Latein abgefassten Texten kostbar eingefärbte, leuchtend rote, blaue oder grüne Initialen“, berichtet sie. Zwischen den Zeilen war eine altertümliche Notenhandschrift, die sogenannte „Hufnagelnotation“, zu erkennen. „Ohne Zweifel handelte es sich bei diesen Handschriften um Gesänge des Gregorianischen Chorals, die, wie sich später herausstellen sollte, aus dem 15. Jahrhundert stammten“, so Nomayo.
Ein solcher Schmuck auf nüchternen Steuerbüchern? Das passte nicht zusammen, so viel war klar. Auch die Entstehungszeiten der Pergament-Handschriften und der Steuerbücher stimmten nicht überein. Die Bücher waren deutlich jünger als die Einbände, sie stammten aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert.
Einbände für simple Akten
Die Museumsleiterin war elektrisiert: Was bedeuten die kunstvollen Handschriften? Woher stammen sie? Und warum sind sie als Einbände für simple Akten verwendet worden? Fragen, zu denen es auf die Schnelle keine Antwort gab. Zunächst einmal musste geklärt werden, welchen Zusammenhang es zwischen den 62 Pergament-Fragmenten und ihrer Verwendung als Bucheinbände gibt.
Eine wahrscheinliche Lösung dazu fand Stadtarchivleiterin Doris Badel, die mit Nomayo im selben Gebäude arbeitet. Demnach hatte im fraglichen Zeitraum Paulus Rücklein (1584 bis 1654) als Kitzinger Stadtschreiber (1610 bis 1629) und Chef der Verwaltung erstmals begonnen, lose Rechnungen, Protokolle und Urkunden in Steuerbüchern fürs Archiv zusammenzufassen. Für diese Bücher brauchte er strapazierfähige Einbände – am besten aus Pergament. Seinerzeit war es üblich, nicht mehr nötige Pergamente neu zu verwenden. Das war offenbar auch mit den Blättern in Kitzingen geschehen.
Blieb noch zu klären, was die Pergamente zeigen und woher sie stammen. Hierfür suchte Nomayo Rat bei Pater Rhabanus Erbacher von der Abtei Münsterschwarzach, der in einem Forschungsprojekt die Fragmente untersuchte. Denn selbst für einen guten Lateiner ist es nicht so leicht, die Textzeilen zu entziffern – die mittelalterlichen Verfasser hatten viel mit Abkürzungen gearbeitet. Offenbar sind die Kitzinger Blätter Teile eines sogenannten „Festformulars“, mit dem Hochfeste gefeiert wurden, so Erbachers Schluss.
Doch wo sind die Handschriften entstanden? Vielleicht im ehemaligen Kitzinger Benediktinerinnenkloster, das 1544 säkularisiert worden war? Ein Beweis fand sich nicht. Dafür entdeckte Erbacher auf einem besonders prachtvollen Blatt einen deutlichen Hinweis auf eine mögliche Urheberschaft im Kloster Münsterschwarzach. Auf dem Blatt wird im Text auf die „Septem fratres“ (sieben Brüder) verwiesen, die sieben Söhne der römischen Märtyrin Felizitas. „In der benachbarten Abtei Münsterschwarzach wird seit dem 11. Jahrhundert die heilige Felizitas als Patronin verehrt“, schreibt Erbacher in seiner Untersuchung.