„Zusammen läuft's“

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Moritz Reichhard vergleicht die durch Corona gespaltene Gesellschaft mit einem kaputten Glas, das den eingegossenen Rot- und Weißwein – „eigentlich eine gute Cuvée“ ...
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Rabiates Mittel gegen die Reizüberflutung – und natürlich nicht ganz ernst gemeint...
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Zu viel Information aus unterschiedlichen Richtungen und mit unterschiedlichen Intentionen macht den Durchblick heutzutage nicht immer leicht, findet Moritz Reichhard.
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Foto: DIANA FUCHS
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Über den Dächern seines Heimatortes Rödelsee gab Moritz Reichhard der Kitzinger beziehungsweise dem „Fränkischen Tag“ ein Interview, in dem er klar Stellung fürs Impfen, aber ...
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Foto: Diana Fuchs

Moritz Reichhard ist geimpft. Seine ungeimpften Freunde möchte er nicht missen. Aber er findet, sie müssten Geimpften im Krankenhaus den Vortritt lassen.

Er ist jung, kein Politiker, sondern leidenschaftlicher Sportler: Moritz Reichhard spielt für Tauberbischofsheim in der Handball-Verbandsliga. Nach einer Lehre als Mechatroniker und Weiterbildung zum Elektrotechniker studiert er aktuell Wirtschaftswissenschaften. Der 24-Jährige aus Rödelsee lebt in einer WG in Würzburg, analysiert stundenlang Corona-Statistiken und macht sich viele Gedanken. Über die Welt, über die Pandemie. Vor allem aber über Lösungen. Die Pandemie hat ihn dazu bewogen, einen Blog zu starten und seine Ideen niederzuschreiben. Wie kommen wir aus dem Konflikt um eine Impfpflicht heraus, ohne dass die Gesellschaft sich noch mehr entzweit? Moritz Reichhard hat einen Vorschlag.

Frage: Ein Riss geht durch die Bevölkerung: Auf der einen Seite die Impfbefürworter, auf der anderen die Impfgegner. Kann man den Riss wieder kitten?

Moritz Reichhard: Ja, aber das wird dauern. Und eine Impfpflicht ist der falsche Weg. Die wäre möglicherweise die Lösung für die Pandemie, aber nicht die Lösung, um die Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Man kann die Menschen nicht zu Glück oder Sicherheit zwingen. Es ist das alte Dilemma: Freiheit und Sicherheit müssen gegeneinander abgewogen werden. Oft hört man Sätze wie: ?Die Freiheit des Einen endet dort, wo sie die Freiheit des nächsten beschneidet!? Bezogen auf Corona sagen dann die Einen: ?Meine Freiheit wird da beschnitten, wo mir der Andere vorschreibt, dass ich mich impfen lassen muss.? Von den Anderen hört man: ?Meine Freiheit endet da, wo ich keinen Platz mehr auf einer Intensivstation bekomme, weil Mitbürger ein erhöhtes Risiko eingegangen sind, dort zu landen.? Zwei Probleme, die jeweils in der individuellen Wahrnehmung unterschiedlich gewichtet werden. Vielleicht muss man das auch erstmal akzeptieren können.

Woher kommt das fehlende Vertrauen in „die Politik“, in etablierte Systeme?

Reichhard: Ich denke, der Vertrauensverlust summiert sich aus einigen Gründen. Viele Menschen fühlen sich abgehängt oder sehen zumindest keinen Fortschritt, weder persönlich noch finanziell noch politisch. Das kommt meiner Meinung nach daher, dass der Zugewinn, den wir als Gesellschaft beziehungsweise Volkswirtschaft erarbeiten, ungleich verteilt wird. Für einen Manager oder Ingenieur ist es viel leichter, eine Lohnerhöhung zu fordern und durchzusetzen, als für eine Krankenschwester oder Putzfrau. Dazu kommt schlechte Politik – nehmen wir die Themen Pflegenotstand und Flüchtlingskrise. Da liegt einiges im Argen. Dass dann zusätzlich Spitzenpolitiker unfähig sind, Fehler vor laufender Kamera zu reflektieren, innezuhalten, sich auch mal zu entschuldigen, lässt das Vertrauen schwinden. Verunsicherung und Ängste entstehen. Diesen Raum nutzen dann Kräfte abseits der Mitte, wie die AfD, aber auch große Konzerne mit zweifelhaften Zielen, geschickt aus und schüren Ängste und Verunsicherung weiter.

Aber auch darüber informieren seriöse Medien doch.

Reichhard: Ja, aber die sozialen – beziehungsweise asozialen – Medien und Click-Bait-Portale wirken wie Brandbeschleuniger. Sie schlagen Profit aus der natürlichen Sensationsgeilheit und dem ständigen Vergleichen der Menschen miteinander. Schlimme und schlechte Nachrichten werden öfter geklickt, halten die Nutzer länger bei der Stange – und ihnen werden dann weitere ähnliche Nachrichten angezeigt. Es entstehen Blasen, die oft schwer zu durchschauen sind und die Fronten weiter verhärten. Teilweise wirken diese Blasen wie Scheuklappen und führen dazu, dass man Themen für sich überbewertet. Diese Überbewertung lässt den ein oder anderen den Weitblick oder Weltblick dafür, dass es uns in Deutschland super geht, verlieren. Man sieht dann eben auch das Gute nicht mehr.

Aber nochmal: Etablierte Qualitätsmedien halten doch in der Regel mir seriöser Information dagegen. Reicht das nicht?

Reichhard: Etablierte Medien haben auch mit einem Vertrauensverlust zu kämpfen. Sie müssen sich durch den Umstieg in die digitale Welt den Regeln im World-Wide-Web und auf den Plattformen anpassen. Das führt dazu, dass Schlagzeilen überspitzter oder reißerischer werden, damit die Nutzer Artikel anklicken. Masse statt Klasse – dieser Mechanismus spielt dann Medien wie „Bild“, welche schon vor Beginn der Digitalisierung einen solchen Stil hatten und eher Aufregung als Wissen und Fortschritt verbreiten wollen, in die Hände. Ein Medium wie der Spiegel hat hingegen eher Schwierigkeiten, seine tief gehenden und ausführlichen Recherchen digital zu verbreiten. So kam es beispielsweise zur Affäre um den vielfach ausgezeichneten Claas Relotius, der Geschichten einfach erfand. So etwas führt natürlich auch zu Vertrauensverlust. Allerdings hat der Spiegel darauf sehr gut reagiert und eine Abteilung zur Artikelüberprüfung ins Leben gerufen. Trotzdem ist Vertrauen schneller weg als man es zurückbekommt!

Wie informieren Sie sich über Sachverhalte? Welchen Medien schenken Sie Glauben? Wie entlarven Sie Fake-News?

Reichhard: Ich lese Artikel und schaue Videos auch, wenn sie nicht meiner Meinung entsprechen. Zum Teil bin ich entsetzt, wie leicht es zweifelhafte Organe heute haben, auf sich aufmerksam zu machen – etwa auf Telegram. Dort gibt es neben „normalen“ Gruppen auch solche, bei denen man recht einfach Waffen oder Drogen bestellen kann. Oder auch einen gefälschten Impfpass. Aber es gibt auch Veröffentlichungen, deren Bewertung nicht so einfach ist. Sieht man zum Beispiel die Dokumentation „Profiteure der Angst“ (Arte 2009) mit dem ehemaligen Amtsarzt Dr. Wolfgang Wodarg*, wird man gegenüber der Pharmaindustrie schon skeptisch. Sie zeigt zweifelhafte Verstrickungen der Pharmaindustrie mit der Politik anhand der damaligen Schweinegrippe. Wodarg spricht geldbedingte Probleme bei Medikamentenzulassung an. Er scheint vertrauenswürdig. Kommen dann neuere streitbare YouTube-Videos übers Impfen dazu, verstehe ich, wie man dem Impfen gegenüber skeptischer wird. Auch wenn anerkannte Wissenschaftler, die in diesem Fach spezialisierter sind als Wodarg, dessen Thesen als veralteten und falschen Lösungsansatz für die aktuelle Situation widerlegen, ist es nicht vollkommen leicht abzuwägen, wem man vertraut.

Sie selbst haben sich impfen lassen. Wie gehen Sie mit Impf-Gegnern um?

Reichhard: Ich habe mich impfen lassen, weil ich den Professoren und forschenden Wissenschaftlern vertraue. Auch die Mediziner aus meinem Umfeld und mein Hausarzt haben mir zur Impfung geraten. Für mich waren das genug Profis mit der gleichen Meinung. Ich als Elektrotechniker kümmere mich um deren Elektrik – und die sich um meine Gesundheit. Bisher geht der Deal immer auf. Ich habe einige ungeimpfte gute Freunde. Mit ihnen gehe ich völlig normal um. Es sind ja noch die gleichen Menschen wie vor der Pandemie – nur dass sie eben in einer Frage eine andere Meinung haben als ich.

Warum gelingt es vielen Menschen nicht, so normal miteinander weiterzuleben?

Reichhard: Gute Frage. Wahrscheinlich, weil sie in ihrer eigenen, immer undurchlässiger werdenden Blase schwimmen. Der Nachrichten-Algorithmus in den sozialen Netzwerken zeigt einem immer zur eigenen Meinung passende News und verstärkt so die eigene Meinung. Kostenlose, teils reißerische, halbgar recherchierte Click-Bait-Artikel tun ihr Übriges. Für mich ist diese Reizüberflutung die eigentliche Pandemie.

Welche Rolle spielt diese tägliche Reizüberflutung genau?

Reichhard: Mit der Flut von Nachrichten aller Art und auf allen Kanälen umzugehen, wird schwieriger, je weniger Zeit man hat. Hat man erstmal einen stressigen Job, Familie und Hobbys, wird es schwer, die Informationsflut sauber zu filtern. Früher war das einfacher, da gab es nicht so viele Medien, und wenn man unsicher war, wandte man sich an den Profi seines Vertrauens. Vielleicht sollten wir das wieder öfters machen? Neben Vertrauensverlusten in die Politik machen Talkshow-Formate, bei denen sich zu viele Gäste ständig ins Wort fallen, die Sache nicht einfacher.

Was also tun?

Reichhard: Ich denke, wir müssen verständnisvoller miteinander reden, streiten und diskutieren, im Kleinen daheim wie im Großen beziehungsweise in der Politik. Wenn man sich aneinander reibt, kommt gemeinsam oft eine vernünftige Lösung raus. Das ist, glaube ich, das, was so alte griechische Hippies mal als Demokratie bezeichnet haben.

Gibt es Ihrer Ansicht nach einen Weg aus der Pandemie, der für alle Menschen fair und demokratisch ist?

Reichhard: Ich habe einen Vorschlag, den wir gerne diskutieren können. Das Damoklesschwert sind ja Intensivstationen, die überlastet werden könnten. Es muss also dafür gesorgt werden, dass möglichst wenige Intensivfälle auf die Stationen kommen – entweder durchs Impfen und Boostern oder durch Verzicht auf Behandlung, zum Beispiel, wenn man als Ungeimpfter Corona hat. Mein Vorschlag ist: Jeder Bürger bekommt einen Brief. Darin sind ein Ankreuzbogen und ein Informationsheft. Im Heft finden sich Argumente/Informationen für beide Ansichten, geschrieben von den jeweiligen Vertretern. Auf dem Ankreuzbogen gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man entscheidet sich doch fürs Impfen oder man verzichtet im Falle einer Coronainfektion auf Intensivpflege, stellt sich also, falls es zur Triage kommt, im Krankenhaus hinten an.

Sind Sie sich bewusst, dass Sie für diesen Vorschlag angefeindet werden könnten?

Reichhard: Ja, aber mein Ziel ist die Diskussion. Ich würde meinen Vorschlag auch bei Lanz oder Illner diskutieren, denn Fortschritt und Demokratie funktionieren nur, wenn alle mitmachen.

Anmerkung der Redaktion:

* Wolfgang Wodarg, Mitte 70, ehemals Amtsarzt in Flensburg, war bis 2009 ein renommierter Gesundheitspolitiker im Bundestag. Seit Beginn der Corona-Pandemie glaubt an eine internationale Verschwörung und verbreitet diesen Gedanken auf verschiedenen Online-Plattformen