Wenn das Geld einfach nicht reicht

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Die Ausgaben und Einnahmen genau aufzulisten, sorgt häufig für den Aha-Effekt: Erst dann wissen die Leute, wie es tatsächlich um ihre finanzielle Lage steht ...
Foto: Daniela Röllinger
Marktwächter: Dispozinsen für Verbraucher oft intransparent
Unterm Strich bleibt ein dickes Minus: Immer mehr Menschen in Deutschland sind überschuldet. Elisabeth Schmitt von der Schuldnerberatung Kitzingen sieht häufig Kontoauszüge, die ähnlich aussehen.
Marktwächter: Dispozinsen für Verbraucher oft intransparent
Foto: dpa/Jens Büttner

6,1 Prozent der Deutschen sind überschuldet. Die Schuldnerberatung kann helfen.

Immer mehr Menschen in Deutschland sind überschuldet. Ganz sachlich drücken diese wenigen Worte eine Tatsache aus. Die dahinterstehenden Schicksale bleiben außen vor. Wie erschütternd die manchmal sind, weiß Elisabeth Schmitt, Schuldnerberaterin am Landratsamt Kitzingen, aus ihrer täglichen Arbeit.

Innerhalb von zehn Jahren ist der Anteil der hoch verschuldeten Erwachsenen in Deutschland von fünf Prozent auf 6,1 Prozent gestiegen. Das geht aus dem Entwurf des 5. Armuts- und Reichtumsberichtes des Bundessozialministeriums hervor, der Mitte Dezember öffentlich wurde. Viele Menschen stecken in einer Schuldenspirale fest, in die sie aus unterschiedlichsten Gründen geraten sind. So ist es auch mit den Klienten von Elisabeth Schmitt.

„Ein Ehepaar hat gute Erfahrungen mit Krediten gemacht und sie immer geordnet zurückgezahlt“, erzählt die Schuldnerberaterin ihr „Paradebeispiel“. Zwei kleine Kinder, die Mutter arbeitet in Teilzeit. Wegen der Kinder braucht man ein größeres Auto, Möbel für die Kinderzimmer. Ein neues Darlehen kommt hinzu, es bleibt so gut wie kein Geld mehr übrig, um Rücklagen zu bilden. Dann passiert es: Einer der beiden wird arbeitslos. Das Girokonto wird ausgereizt für Darlehen und Miete, die Energierechnungen werden nicht mehr gezahlt. Die Familie steckt in der Schuldenspirale – und die wird beschleunigt durch Dinge, die bei einer normalen Einkommenssituation locker abzufangen wären: eine kaputte Waschmaschine, neue Winterreifen, ein Blechschaden am Auto.

Zu Elisabeth Schmitt kommen die Leute meist erst, wenn sie die Augen nicht länger verschließen können. Wenn die Kündigung der Wohnung droht, der Strom abgestellt werden soll, der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Wer zur Beratung erscheint, hat Unterlagen dabei – in einem dicken Ordner, häufig aber auch in einer Tüte oder einem Schuhkarton, völlig ungeordnet. Manche öffnen nicht mal mehr die Briefe. Sie haben den Überblick völlig verloren. „Die sagen dann: Warum soll ich den Brief aufmachen? Ich weiß doch sowieso, was drin steht.“

Die Unterlagen zum Erstgespräch mitzubringen, ist wichtig, denn Elisabeth Schmitt muss sich gemeinsam mit ihren Klienten einen Überblick verschaffen. Sie muss Bescheid wissen über Mahnungen und Kündigungen, Pfändungsprotokolle, Unterhaltstitel, Vollstreckungsbescheide, Lohnabtretungen und mehr. All das steht auf einem Brief, den die Klienten nach der Terminvereinbarung und vor dem ersten Gesprächstermin von Elisabeth Schmitt erhalten. Genauso wie einen Haushaltsplan für die monatlichen Einnahmen und Ausgaben. Wohnungsausgaben wie Energiekosten und Miete müssen eingetragen werden, ebenso Ausgaben für den Lebensunterhalt, Festausgaben wie Fahrtkosten, Mitgliedsbeiträge, Ausgaben für Lotto, GEZ, Haustiere und Urlaub stehen auf der Liste, Versicherungen und natürlich Kredit- und Ratenzahlungen. Dem werden die Einnahmen gegenübergestellt – und häufig bleibt ein dickes Minus übrig.

Es ist oft das erste Mal, dass sich die Leute ihre eigene Situation richtig anschauen. Denn viele haben kein realistisches Bild von ihren Einnahmen und Ausgaben. Diese ordentlich untereinander auf einem Blatt stehen zu sehen, ist für die Betroffenen meist der größte „Aha-Effekt“, so die Erfahrung der langjährigen Beraterin.

Schmitt listet die Ausgaben auf, ohne zu werten. „Darüber zu urteilen, ob jemand zehn Zigaretten raucht oder täglich ins Café geht, das ist nicht mein Job.“ Werden Einsparungen gesucht, spricht sie alle Themen gleichermaßen sachlich an. Schulden kann man für alles machen, sagt Elisabeth Schmitt. „Und die Leute machen das auch.“ Nicht nur für Handyverträge, technische Geräte, Möbel und Kleidung. Auch für Eheringe oder Hochzeitsfotos. Ein großes Thema sind Unterhaltsschulden bei Trennung und Scheidung, Steuerschulden bei ehemals Selbstständigen, natürlich Schulden für Immobilien.

„Die Schuldnerberatung ist absolut vertraulich.“
Elisabeth Schmitt, Schuldnerberaterin

Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie ständig auf Pump leben. Zum Beispiel mit Kreditkarten, „die kriegt man ja heute überall“. Auch hinter jeder Ratenzahlung stecke letztlich das Kreditangebot einer Bank, nicht das eines Elektrohandels. Wer Ratenzahlung vereinbart, stellt damit den Banken, die in der Regel weit entfernt und recht anonym sind, seine Daten zur Verfügung. „Dann kommen immer wieder Briefe mit Kreditangeboten nach Hause. Das verführt die Leute“, sagt Elisabeth Schmitt. Gleichzeitig wächst mit den Schulden die Belastung. Und die Scham steigt. Keiner soll wissen, wie es einem geht. Der Schein soll gewahrt werden. An die Öffentlichkeit gehen? Ein Gespräch mit der Zeitung? Niemals. Auch deshalb hält Elisabeth Schmitt sich mit ihren Beispielen stark zurück. Was sie erzählt, ist anonymisiert. „Die Schuldnerberatung ist absolut vertraulich“, betont sie. Dass ihr Büro weitab vom alltäglichen Behördenverkehr liegt, ist wichtig, um die Anonymität zu wahren. „Direkt neben der Kfz-Zulassungsstelle, das wäre nicht machbar“, sagt auch die Pressesprecherin des Landratsamtes, Corinna Petzold.

Wer sich telefonisch oder per Email an die Schuldnerberaterin wendet, kann einen Termin vereinbaren. Drei bis vier Wochen dauert es in der Regel bis zum Erstgespräch. 115 solche Erstgespräche gab es 2015, dazu kamen 237 Wiederholungstermine und drei Telefonkontakte. In der Regel dauert die Erstberatung 90 Minuten. Viele melden sich danach nicht mehr, weil erste Schuldnerschutzmaßnahmen schon ihre Wirkung gezeigt haben. Zu den 95 Kurz- und Mehrfachberatungen kamen 79 Fälle, in denen Schmitt langfristig beriet und Kontakt zu den Gläubigern aufnahm.

Der Kundenkreis ist unterschiedlich, es sind etwas mehr Familien als Einzelpersonen, die meisten zwischen 41 und 50 Jahre alt, weit mehr Erwerbstätige als Bezieher von Arbeitslosengeld oder Hartz IV. Auch die Höhe der Verschuldung geht weit auseinander, in den meisten Fällen lag sie zwischen 20 000 und 50 000 Euro.

„Ich bin kein Peter Zwegat“, sagt Elisabeth Schmitt in Anspielung auf den Berater in einer Fernseh-Reihe. „Ich schüttel' nicht den Leuten die Hände und danach ist die Hälfte der Schulden weg.“ Zunächst wird ein Gläubigerverzeichnis erstellt. Diese Liste, die bei einer ihrer Klientinnen schon einmal über 100 Gläubiger enthielt, ohne dass eine einzige Bank dabeigewesen wäre, bedeute nicht, dass alle Schulden gleich zurückgezahlt werden müssen. Um sie zu regulieren, schreibt Schmitt die Gläubiger an und bittet um die Aufstellung der Schulden, schon alleine um zu sehen, ob rechtlich alles in Ordnung ist. „Dann hat man die Zahlen und kann die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung angehen.“ Schmitt versucht eine Einigung mit den Gläubigern zu erreichen, zum Beispiel durch Ratenzahlungsangebote, die sich der Klient eben gerade noch leisten kann. Scheitern außergerichtliche Einigungen, bleibt der Weg des Verbraucherinsolvenzverfahrens – mit der Chance auf einen wirtschaftlichen Neuanfang.

Elisabeth Schmitt von der Schuldner- und Insolvenzberatung ist unter Tel. 09321/928-5215, schuldnerberatung@kitzingen.de erreichbar. Persönliche Beratungsgespräche sind nach Terminvereinbarung möglich.