Was der Hundeblick wirklich sagt

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Blicke und Verhalten eines Hundes richtig zu interpretieren, ist nicht immer einfach. Die Gefahr ist groß, dass Halter menschliche Gefühle auf ihren Vierbeiner projizieren, weiß Hundetherapeutin ...
Foto: Anand Anders

Kitzingen. Er weiß genau, dass er das Stückchen Zuckerrübe, das noch auf dem Acker liegt, nicht fressen soll – und macht es trotzdem. Wenn ich Sam dann rufe, trottet mein Labrador ganz langsam her, den Kopf geduckt und schuldbewusst. Das dachte ich zumindest bisher. Aber die Forschung zeigt: Ein Hund empfindet weder Schuldbewusstsein noch Trauer oder Eifersucht. Das glaubt der Mensch nur, sagt Gesine Mantel, er projiziert seine Gefühle auf das Tier. Belegt wird das durch Forschungen, über die die Verhaltenstherapeutin für Hunde am Donnerstag in einem Vhs-Vortrag informierte.

Frau Mantel, Sie sind Verhaltenstherapeutin für Hunde. Fehlt da nicht der Zusatz „und Menschen“? Schließlich ist es oft der Halter, der sich falsch verhält.

Gesine Mantel: Jein. Natürlich gehört der Halter zur Beziehung, aber er bestimmt sie nicht alleine. Hunde bringen neben Erfahrung eine gewisse Veranlagung mit: Ein Wachhund zum Beispiel ist Menschen gegenüber misstrauischer als ein Labrador. Und eine Verhaltenstendenz, die ein Hund nicht mitbringt, kann auch keine Probleme bereiten. Ein Mops rennt nicht zum Jagen in den Wald. Ein jagdambitionierter Hund dagegen macht es seinem Halter immer schwer, auch wenn der im Umgang mit seinem Tier versiert ist.

Sie arbeiten täglich mit unterschiedlichen Hunden und auch Menschen. Wo liegt das Hauptproblem?

Gesine Mantel: Das hat sich ein bisschen verändert. Viele Hunde können heute nicht alleine bleiben. Sie bellen zum Beispiel die ganze Zeit und sind gestresst. Die Hundehalter leiden dann oft mit. Ein häufiges Problem ist auch die Aggression gegen andere Hunde oder gegen Menschen.

Hat die Aggression zugenommen?

Gesine Mantel: Sagen wir es so: Es wundert mich nicht, dass es nicht besser wird. Die Umweltbedingungen haben sich verschärft, die Besiedlungsdichte steigt und wir haben weniger Platz als früher. Nicht nur in der Stadt – auch auf dem Land wächst die Herausforderung. Manchmal findet sich hinter jedem zweiten Zaun ein Hund, dann kann ein Spaziergang ein Spießrutenlauf sein. Es wird für Hunde schwieriger, mit den vielen Umweltreizen gut zurechtzukommen. Das gilt ja für uns Menschen genauso: In Großstädten steigt die Menschendichte, da gibt es nach meinem Empfinden viel häufiger Ellbogenkämpfe als früher, zum Beispiel um zugeparkte Einfahrten.

Teil Ihres Vortrags sind neue Erkenntnisse aus der Forschung über das Verhalten von Hunden. Stellen die auf den Kopf, was wir über Hunde dachten?

Gesine Mantel: Ja und nein. So weiß man schon seit längerem, dass ein Hund kein Hierarchiebewusstsein hat. In meinem Vortrag geht es vor allem um Gefühle von Hunden: Was können sie tatsächlich empfinden und was nicht? Viele Halter denken, ihr Hund hätte ein Schuldbewusstsein. Forschungsergebnisse sagen ganz klar: Nein, das ist eine falsche Interpretation. Eine Studie zeigt, dass Halter insgesamt generell große Gefahr laufen, das Hunde-Verhalten falsch zu interpretieren. Je näher man sich ist, desto blinder wird man, ähnlich wie bei Kindern. Der Hund ist eine wunderbare Projektionsfläche für eigene Empfindungen.

Können Sie das näher erklären?

Gesine Mantel: In einer wissenschaftlichen Untersuchung zeigte man Hundehaltern ein Video, in dem sich eine Person Mantel und Schuhe anzog, um mit einem Hund spazierenzugehen. Das Tier wurde angeleint und ging mit zur Tür. Die Frau aber kehrte an der Türe um, leinte den Hund ab, zog den Mantel aus und verließ den Raum. Der Hund blieb an der Garderobe stehen. Fast alle Hundehalter, die dieses Video gesehen hatten, waren sich sicher, dass der Hund enttäuscht war. Anderen Personen wurde nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Video gezeigt – nämlich der Hund an der Garderobe. Ohne gesehen zu haben, was sich vorher abspielte, sollten auch sie sagen, was der Hund im Video wohl fühlte. Keiner tippte auf Enttäuschung. Das heißt: Eindeutig schlossen die Personen, die das ganze Video gesehen hatten, von sich auf den Hund, ohne genau hinzuschauen, was der Hund durch Mimik und Körpersprache ausdrückte. Sie wären in einer solchen Situation enttäuscht gewesen, also projizierten sie das auf den Hund. Oder nehmen Sie Schuldbewusstsein. In einer anderen Studie waren dreiviertel der befragten Halter der Meinung, ihr Hund hätte ein Schuldbewusstsein. In einem Test wurden Hunde verführt, ein Leckerli zu fressen, dessen Anrühren der Besitzer verboten hatte, bevor er den Raum verließ. Kein einziger Hund zeigte bei der Rückkehr des Besitzers ein Verhalten, das nach Schuldbewusstsein aussah. Halter irren also, wenn sie glauben, ihr Hund wüsste noch ganz genau, was er getan hat.

Warum schauen die Hunde dann so schuldbewusst aus?

Gesine Mantel: Geduckt und um gute Stimmung bemüht zeigen sich Hunde, wenn sie schon mal Strafe erfahren haben bei der Heimkehr des Besitzers, oder wenn der schon nur kritisch schaut, ob was kaputtgegangen ist und damit eine spannungsgeladene Atmosphäre erzeugt.

Wenn ein Hund nicht eifersüchtig ist, warum geht er dazwischen, wenn Herrchen sich um einen anderen Hund kümmert?

Gesine Mantel: Wenn Hunde sich so verhalten, scheint naheliegend, dass sie so empfinden wie Menschen. Doch vom Zoologen John Bradshaw wissen wir, dass das zu kurz gedacht ist. Eifersucht setzt unter anderem die Fähigkeit voraus, Motive beim anderen zu erkennen. Da wäre zum Beispiel der Verdacht, der Partner könnte ein ernsthaftes Interesse an einer dritten Person haben. Hunde sind aber im Gegensatz zu Affen oder Rabenvögeln nicht in der Lage, Motive bei anderen zu erkennen. Scheinbar brauchten sie eine solche Fähigkeit nicht zum Überleben. Ich sehe es so, dass der Hund einfach seine Ressourcen verteidigen will. Er will die Streicheleinheiten und das Futter nicht teilen. Es geht – ähnlich wie bei kleinen Kindern – um Konkurrenz.

Und wenn es bei Rangeleien zwischen Hunden nicht um Hierarchien geht, worum geht es dann?

Gesine Mantel: Kämpfe und aggressive Auseinandersetzungen gibt es bei vielen Tierarten, wenn gleichgeschlechtliche Tiere einander auf engem Raum begegnen. Potenziell geht es meiner Ansicht nach um die Hündin, wenn nicht Spielzeug oder Beute das Streitobjekt sind. Das ist eine Testosteronfrage, ein Wettbewerb.

Sie sagen, Hierarchien kenne ein Hund nicht. Wie zeige ich ihm dann als Halter, dass ich der Chef bin?

Gesine Mantel: Das brauche ich gar nicht. Schauen wir wieder auf kleine Kinder: Da muss ich auch oft bestimmen und schauen, dass alles sozialverträglich abläuft. Eine Chefstrategie kommt da aber auch nicht ins Spiel. Es geht um Durchsetzungsvermögen und die richtige Kommunikation, mit der ich dem Hund deutlich mache, was ich will. Wenn mein Hund mich nicht versteht, kommunizieren wir aneinander vorbei.

Hat sich der Umgang der Menschen mit Hunden verändert?

Gesine Mantel: Ja, durch verschiedene Einflüsse. Per Gesetz wurde festgeschrieben, dass die Bedürfnisse der Hunde zu beachten sind, Hunde sind längst keine Sache mehr. Früher hatte er eine Funktion, war Wächter zum Beispiel. Heute ist er Begleiter und Freund und wird eher zur Auslastung beschäftigt. Parallel dazu wird kritischer darauf geschaut, ob wir artgerecht mit dem Hund umgehen und wir erfahren durch neue Forschungsergebnisse mehr über Hunde. Wir wissen, dass auch sie in Pessimisten und Optimisten unterteilt werden können, mit misstrauischer oder vertrauensvoller Grundstimmung. Das lässt uns näher an Hunde heranrücken. Doch je mehr wir über die empfindliche Hundeseele erfahren, desto größer wird die Gefahr der Vermenschlichung.

Tun wir den Hunden mit dieser Vermenschlichung etwas Gutes?

Gesine Mantel: Auf keinen Fall, damit werden Tür und Tor für Projektionen geöffnet. Das überfordert den Hund, er kommt damit nicht klar. Vor allem, wenn Menschen ihn auf Augenhöhe heben und zu hohe soziale Erwartungen an ihn haben, sind Probleme vorprogrammiert.

Das heißt, wir sollen den Hund einfach so nehmen, wie er ist?

Gesine Mantel: Nur zum Teil. Es geht nicht darum, die Motive des Hundes zu ändern, sondern vielmehr sein Verhalten. Es ist nicht nötig, dass er alle Menschen liebt. Aber es ist wichtig, dass er sich beherrscht und nicht beißt. Das kann man trainieren. Aber seine Wesensart können Sie nicht ändern. Es gibt Hunde, die sind vertrauensselig und gutmütig, andere misstrauisch und ungesellig. Es ist ähnlich wie bei uns Menschen: Sie werden nie einen Eigenbrötler zum Partylöwen machen.