Überforderter Freund und Helfer?

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G7-Gipfel 2015 - Sicherheit
Viele Polizeiautos standen im Juni 2015 in Garmisch-Partenkirchen, um den G 7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs abzuschirmen. Polizisten aus allen Landesteilen waren damals vor Ort ...
G7-Gipfel 2015 - Sicherheit
Foto: Angelika Warmuth/DPA

Die Aufgaben wachsen, die Zahl der Beamten nicht. Rund 17 Prozent aller Soll-Stellen sind unbesetzt. Wie ist es um die Polizei im Landkreis Kitzingen bestellt?

Bei der Polizei in Unterfranken herrscht großer Personalmangel. „Die Lage ist angespannt bis sehr angespannt“, sagt Holger Zimmermann. Für den Bezirksvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Unterfranken ist dafür noch die Sparpolitik Edmund Stoibers verantwortlich: Unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten wurden Stellen pensionierter Beamter nicht neu besetzt, um den Landeshaushalt zu entlasten. Auch wenn sich der politische Wind gedreht hat: „Das schleppen wir bis heute mit“, sagt Zimmermann.

Für Kitzingen liest sich das so: 103 Stellen sind für die Polizeiinspektion im Organisationsplan vorgesehen. Demgegenüber stehen die 94 Polizeibeamten, die Ende Februar tatsächlich in der Dienststelle beschäftigt waren. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 41,5 Jahren. Eine andere Zahl ist aber entscheidend: Die Zahl der tatsächlich verfügbaren Personalstärke. Die liegt in Kitzingen bei 86,10 – und damit knapp 17 Prozent unter dem Soll. Anders gesagt: Jeder sechste Polizist im Landkreis fehlt.

„Es ist einfach nicht möglich, das ganze Gebiet abzudecken.
Kathrin Thamm vom Präsidium Unterfranken

„Die Zahl ist auch deshalb so niedrig, weil einige Beamtinnen und Beamte zentral eingesetzt werden“, erklärt Michael Zimmer, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken. Beispielsweise bei den „Operativen Ergänzungsdiensten“. Diese kämen aber letztlich auch dem Kreis Kitzingen zugute – könnten also zum Teil auch mitgezählt werden. Gewerkschaftler Zimmermann hingegen betont die Bedeutung neuer Beschäftigungsmodelle: Tatsächlich nehmen mehr Kollegen Elternzeit- und Teilzeitangebote war. Alles Faktoren, die die Zahl der aktiven Beamten schmälert.

Groß ist deshalb auch die Zahl der Überstunden: 5457 Stunden Mehrarbeit schoben die Beamten der Polizeiinspektion Kitzingen im Februar vor sich her. Das sind im Durchschnitt 58 Stunden pro Polizist. Bei allen Polizeibeamten im Bezirk Unterfranken hat sich bis Februar die immense Zahl von 106 929 Überstunden angesammelt. Hauptschuld daran habe immer noch der G7-Gipfel in Elmau im vergangenen Jahr, erklärt Michael Zimmer. Ein großer Teil der Beamten musste in Oberbayern Dienst leisten – was natürlich auch für die Kollegen in Unterfranken Mehrarbeit bedeutete.

Eine andere Statistik legt nahe, dass es um das Personal nicht so schlecht bestellt sein kann: Nämlich die Kriminalitätsstatistik. Die Zahl der Straftaten sank im Raum Kitzingen von 3056 im Jahr 2014 auf 3015 im Jahr 2015. Auch die Aufklärungsrate konnte leicht gesteigert werden – und zwar auf 65,3 Prozent. Reichen die Polizeikräfte also doch aus?

Für Holger Zimmermann spielt auch die Konzentration auf bestimmte Aufgaben eine Rolle: So werden bei Straftaten wie Einbrüchen und schweren Körperverletzungen selbstverständlich mit dem nötigen Personal ermittelt. „Bei schweren Delikten ermitteln wir mit voller Sollstärke.“ Es gäbe aber Bereiche, bei denen eingespart werden müsse: Beispielsweise bei Verkehrskontrollen. Auch die Bearbeitungszeit von Fällen mit niedrigerer Relevanz wie Unfällen ohne Personenschaden oder Ruhestörungen könnten sich schon einmal verlängern.

Sinkende oder auch steigende Kriminalitätszahlen müssen indes nicht unbedingt eine reale Entwicklung widerspiegeln. So gibt es Bereiche, bei denen die Zahlen sinken, wenn weniger Polizisten im Einsatz sind – und zwar auch dann, wenn die Zahl der Straftaten eigentlich gleich bleibt oder sogar steigt: Bei Rauschgiftverbrechen oder Verkehrsdelikten steigt die Zahl der erfassten Straftaten beispielsweise mit den eingesetzten Beamten.

Andererseits gibt es Bereiche, in denen auch mit einer größeren Zahl Polizisten nur bedingt größere Erfolge erzielt werden können – beispielsweise Wohnungseinbrüche: So sank die Zahl im Landkreis zwar auf 40 Delikte – die Aufklärungsquote liegt aber weiterhin bei bescheidenen 12,5 Prozent. „Es ist einfach nicht möglich, das ganze Gebiet abzudecken“, erklärt Kathrin Thamm vom Präsidium Unterfranken. Auch nicht mit einer höheren Zahl an Beamten. Entscheidend sei hier die Aufmerksamkeit und Prävention der Bürger.

Sorgen macht sich Holger Zimmermann indes vor allem um die Zukunft: „Im Moment sind wir soweit, dass wir die Zahl der Beamten konstant halten können.“ Das heißt, jeder pensionierte Polizist wird durch einen jungen Kollegen ersetzt. Zum März 2016 gab es laut Pressesprecher Zimmer sogar einen kleinen Überschuss: Auf 50 Pensionierungen in Unterfranken kamen 61 Neuzugänge.

Die Frage ist jedoch, was passiert, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er Jahre in Ruhestand gehen. „Im Moment haben wir Probleme, genügend Nachwuchs auszubilden“, erklärt Zimmermann. Denn dazu brauche es auch mehr Ausbilder. Außerdem sei es fraglich, ob in Zukunft überhaupt genug Berufsanfänger gefunden werden können: „Im Moment sieht es noch gut aus, aber die geburtenschwachen Jahrgänge kommen erst noch.“

Für Zimmermann gibt es deshalb nur eine Alternative: Die Aufgaben der Polizei müssen neu definiert werden: Denn es kämen immer neue Aufgaben hinzu, beispielsweise im Bereich Cyber-Kriminalität. „Ich frage mich zum Beispiel, warum Polizisten Schwertransporte absichern müssen?“ Dies könnten auch private Sicherheitsdienste übernehmen und so die Arbeit der Polizei entlasten.

 



Kommentar: Übertrieben – aber nicht falsch

Alljährlich gibt die Gewerkschaft der Polizei bekannt, dass Beamte in Bayern fehlen. Eine verständliche Kritik seitens einer Gewerkschaft. Schließlich besteht eine ihrer Aufgaben darin, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu verbessern. Und was wäre da besser geeignet, als die Last auf mehr Schultern zu verteilen?

Besondere Brisanz gewinnt die Meldung, weil Polizisten nicht irgendwelche Arbeitnehmer sind. Das soll keineswegs die Bedeutung anderer Arbeitskräfte schmälern. Aber wenn beispielsweise zu wenige Journalisten eingestellt werden, werden Sie als Leser das „nur“ an der Qualität der Artikel merken, wenn sie morgens am Frühstückstisch durch die Zeitung stöbern.

Wenn es hingegen zu wenig Polizisten gibt, kann es sein, dass gleich der ganze Frühstückstisch fehlt – mitsamt aller anderen Wertsachen aus Ihrem Haus.

Deshalb ist im Bereich der öffentlichen Sicherheit erhöhte Sensibilität gefragt. Was ist dran am Schreckgespenst Personalmangel? Zunächst einmal legen die statistischen Zahlen nahe, dass die Sicherheit nicht gefährdet ist. Von einem sprunghaften Anstieg der Kriminalität in Bayern kann man beileibe nicht sprechen. In vielen Bereichen sanken die Zahlen sogar.

Doch nur auf das Hier und Jetzt zu schauen, ist gefährlich: Schließlich muss die öffentliche Sicherheit auch in Zukunft gewährleistet werden. Bis aus einem Berufsanfänger ein ausgebildeter Polizist wird, vergehen mehrere Jahre. Um neue Bewerber zu gewinnen, müssen aber auch die Arbeitsbedingungen stimmen.

Eine Polizei, in der jeder Beamte unzählige Überstunden vor sich her schiebt und in der Arbeitsstress und Gefahren nicht durch einen gerechten Lohn ausgeglichen werden, wird auf Dauer Schwierigkeiten haben. Insofern sind die Rufe der Polizeigewerkschaft sicher gerechtfertigt – auch wenn sie vielleicht etwas zu laut ausfallen.