Mit Waffen gegen die Angst?

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Pfefferspray und Schreckschusspistole sollen der Selbstverteidigung dienen.
Robert Wagner
Gabriele Melber testet einen Elektroschocker. Auch die werden zur Zeit gerne gekauft.
Fotos: Robert Wagner
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Viele Menschen haben Angst - sie decken sich mit Pfefferspray und Gaspistolen ein. Der Absatz steigt rapide, Lieferengpässe drohen. Doch die Polizei warnt. Mehr dazu im Artikel - mit einem Kommentar von Robert Wagner.

So etwas hat sie in 26 Jahren noch nicht erlebt. Am 1. Januar 1990 übernahmen Gabriele Melber und ihr Mann Christian die seit 1911 bestehende Büchsenmacherei Waffen-Mahl in Kitzingen. Seitdem richtet sich ihr Angebot vor allem an Jäger und Sportschützen. „Zur Zeit fragt aber jeder zweite Kunde nach Tränengas oder Pfefferspray“, sagt sie.

Nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln habe die Nachfrage noch einmal zugenommen – dabei sei sie schon das ganze Jahr 2015 sehr hoch gewesen. Mittlerweile gibt es Probleme beim Nachschub vom Hersteller. „Die schaffen schon rund um die Uhr.“ Bei einem großen Onlinehändler rangierten am gestrigen Dienstag acht Abwehrsprays unter den Top 20 im Bereich „Sport und Freizeit“ – fast alle von ihnen waren ausverkauft.

Die Menschen in Deutschland verspüren scheinbar ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. Das zeigt sich auch beim Thema kleine Waffenscheine: Die erlauben das Führen von bestimmten Schreckschuss- und Reizstoffwaffen. Im Jahr 2015 wurden 65 kleine Waffenscheine beim Landratsamt ausgestellt. 2014 waren es nur 31, im Jahr zuvor gar nur 22. Allein in den ersten zwei Wochen im neuen Jahr wurden bereits 20 Scheine beantragt. Auch Melber bestätigt: „Die Nachfrage nach Schreckschusswaffen steigt.“

„Es ist nicht notwendig, sich in irgendeiner Art und Weise zu bewaffnen“
Pressestelle der Polizei Präsidium Unterfranken

Das ist eine Entwicklung, die die Polizei Unterfranken nicht gut heißen kann und will. In einer Pressemitteilung des Präsidiums heißt es: „Mit Blick auf das unverändert hohe Niveau der allgemeinen Sicherheitslage [.

..] ist es nach Ansicht der Polizei nicht notwendig, sich in irgendeiner Art und Weise zu bewaffnen.“ Der stellvertretende Chef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, bestätigt diese Einschätzung: „Offenbar gibt es in der Bevölkerung ein gesunkenes Sicherheitsgefühl und den Eindruck, man müsse seinen Schutz selbst in die Hand nehmen. Das kann schnell Züge von Selbstjustiz annehmen. Ich halte das für gefährlich.“ Deshalb warnt die Polizei vor einer Bewaffnung – und liefert zwei Argumente:

Einerseits bestehe das Risiko, dass die mitgeführte Waffe bei fehlender Schulung gegen einen selbst eingesetzt wird. Andererseits mache man sich bei leichtfertigem Einsatz der Waffen selbst strafbar. Denn ungefährlich sind die Gaswaffen nicht. „Unter einer Entfernung von einem Meter sollte man wirklich nicht schießen“, sagt auch Gabriele Melber. Auch Pfeffersprays sind nicht für den Einsatz gegen Menschen gedacht. Sie sind nur zu Tierabwehr zugelassen. Eine Tatsache, die die meisten Käufer beflissentlich zu ignorieren scheinen. Bei besagtem Onlinehändler werden jedenfalls eifrig die Vor- und Nachteile im Einsatz gegen Menschen kommentiert und diskutiert. Selbst die Hersteller werben damit: Auf der Verpackung für ein Tierabwehrspray ist ein Mann zu sehen, dem ins Gesicht gesprüht wird.

Doch was bereitet den Menschen so große Angst, dass sie über eine Bewaffnung nachdenken? Zum einen sind es die Ereignisse im Landkreis. Nicht erst seit dem versuchten Mord in Wiesentheid, bei der vor wenigen Tagen eine 22-Jährige schwer verletzt wurde, wächst auch im ländlichen Raum die Angst vor Gewalttaten. Mit Sätzen wie „Geht das jetzt auch bei uns los?“ oder „Ich habe schon Angst nachts raus zu gehen“ werden in den sozialen Medien immer wieder lokale Nachrichten kommentiert. Die Ursache dafür ist nach Meinung von Peter Schall, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, auch in den vielen bösartigen Einträge in sozialen Netzwerken zu suchen. Hier werde ganz massiv Stimmung gegen die Flüchtlinge gemacht und Kriminalität herbei geschrieben. „Genau diese Gerüchte führen aber dazu, dass der Bürger glaubt, sich bewaffnen zu müssen“, so Schall.

Michael Dencinger, Leiter der Pressestelle im Polizeipräsidium Unterfranken, macht auch die Medien dafür mitverantwortlich. So sei beispielsweise die Zahl von Wohnungseinbrüchen im letzten Jahr tatsächlich gestiegen – im Vergleich mit anderen Gebieten sei sie aber immer noch niedrig. Mit reißerischen Überschriften sorgten die Medien aber für Angst bei den Menschen. „Manche denken dann: 'Mein Gott, kann ich mein Haus noch verlassen, oder wird es dann gleich ausgeräumt?' Das ist sicherlich übertrieben“, sagt der Polizeirat. Auch die nationalen und internationalen Entwicklungen tragen ihren Teil zu den Sorgen der Menschen bei. Ob die Anschläge von Paris, der Krieg in Syrien oder die Übergriffe auf Frauen in Köln und anderen deutschen Städten – eine globale Angst schlägt bis in die letzten Winkel Deutschlands durch.

Die R+V Versicherung erhebt jährlich Statistiken zu Ängsten und Sorgen der Deutschen. Einen traurigen Spitzenplatz bei den westdeutschen Bundesländern hat sich dabei Bayern erobert: Hier spürten die Menschen im Jahr 2015 am meisten Angst. Die vier am häufigsten genannten Gründen für ihre Sorgen: Spannung durch den Zuzug von Ausländern (62 Prozent), Naturkatastrophen (61), Terrorismus (60) und Angst vor der Überforderung der Politiker (59).

Die Entwicklung hat eine gewisse Dynamik angenommen. Angst ist ansteckend. Man spricht über seine Sorgen, tauscht sich über Schutzmaßnahmen aus. Gabriele Melber erlebt es selten, dass jemand in den Laden kommt, um sich informieren zu lassen. „Die Kunden wissen meist schon genau, was sie wollen.“
 



Kommentar: In den falschen Händen

Von unserem Redaktionsmitglied
Robert Wagner

Irgendwie klingt es wie Ironie der Geschichte. In den USA will der scheidende Präsident Barack Obama die Waffengesetze verschärfen. Bei einer emotionalen Rede zum Thema schießen ihm Anfang Januar mehrmals die Tränen in die Augen. In Deutschland hingegen werden nach den Übergriffen in Köln fleißig Pfefferspray und Tränengas, Gaspistolen und Elektroschocker gekauft. Von bewaffneten Bürgerwehren und einem Recht auf Selbstverteidigung ist die Rede.

Natürlich sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Ein Pfefferspray ist sicher keine Kalaschnikow. Und von den freizügigen Waffengesetzen in den USA sind wir in Deutschland meilenweit entfernt. Dennoch: Der Blick über den Atlantik kann uns lehren, was Waffen in privaten Händen für die Sicherheit bedeuten: Nichts Gutes.

„Sicherheit durch Waffen“ gehört zu jener Liste der Widersinnigkeiten, zu denen auch der „Kampf für den Frieden“ gehört. Es gibt nicht ohne Grund ein Gewaltmonopol des Staates – und nicht ohne Grund ist das Fehlen dieses Monopols ein Zeichen eines „gescheiterten Staates“.

Es ist und bleibt gefährlich, wenn berechtigte Sorgen in übertriebene Ängste oder gar Hysterie übergehen. Der Grad zwischen diesen scheint manchmal sehr schmal zu sein. Und schon allein deshalb gehören Waffen jeglicher Art nicht in Privathände.
 


 

Hintergrundinformationen: Der Kleine Waffenschein

Schreckschusswaffen: Der sogenannte Kleine Waffenschein wurde im Oktober 2002 eingeführt und berechtigt zum Führen von Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen. Diese müssen allerdings mit dem PTB-Prüfzeichen versehen sein.

Zum bloßen Erwerb einer Waffe mit PTB-Zeichen F genügt in Deutschland die Volljährigkeit, und auch der Besitz ist erlaubnisfrei.

Eignungsprüfung: Folgende Kriterien werden an den Antragsteller eines Kleinen Waffenscheins gestellt: keine Vorstrafen (höchstens eine Freiheits-, Jugend- oder Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen), eine fachgerechte Aufbewahrung der Waffen, Mindestalter 18 Jahre sowie keine Drogen- und Alkoholabhängigkeit.

Kosten: Der kleine Waffenschein wird von den Landratsämtern oder den Verwaltungen der kreisfreien Städten ausgestellt. Die Erlaubnis wird alle drei Jahre geprüft, die Kosten sind auf 30 bis 150 Euro gestaffelt.