Bauernverband kritisiert Tierwohl-Kampagne von Aldi heftig: Alles nur Verbraucher-Täuschung?

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Annette vom Berg-Erbar, Helmut Schmidt und Alois Kraus demonstrierten vergangene Woche stumm vor einem Kitzinger Aldi-Markt.
Foto: W. Distler
Der BBV hat ausgerechnet, wie viel – oder besser wie wenig – der Bauer selbst von seinen Erzeugnissen hat.
Foto: Dieter

Vertreter des Bayerischen Bauernverbandes kritisieren die Strategien von Aldi und bezeichnen dessen Tierwohl-Kampagne als Mogelpackung.

Sie machen sich Sorgen. Um ihre Zukunft und die einer ganzen Branche. Die Landwirtschaft in Deutschland steht vor massiven Herausforderungen und Veränderungen. Gefragt ist nach Meinung der BBV-Vertreter im Kreis die Politik – und vor allem die großen Handelsketten.

Am Freitag letzter Woche haben sie vor einer Kitzinger Aldi-Filiale demonstriert. Einsam und stumm. Im Gespräch mit dieser Redaktion äußern sich Alois Kraus, Annette vom Berg-Erbar und Helmut Schmidt zu ihren Beweggründen. Stein des Anstoßes waren ganzseitige Anzeigen, die Aldi bundesweit in Zeitungen schaltete. Darauf zu lesen der Slogan: „Tierwohl ist eine Frage der Haltung.“ Seit etlichen Wochen inszeniert sich der Lebensmittelkonzern als Vorreiter in Sachen Tierwohl, als Treiber des Umbaus der hiesigen Landwirtschaft. „Die Wahrheit sieht ganz anders aus“, sagt Wilfried Distler, und Helmut Schmidt spricht von einem Greenwashing auf Kosten anderer – der Landwirte.

Erlöse für Schweinehalter sinken - doch "die Gewinnmarge des Handels wird immer größer"

1,31 Euro haben die Landwirte im Jahr 2015 für ein Kilo Schweinefleisch erlöst – heute liegt der Preis bei 1,26 Euro. Die Verbraucherpreise sind im gleichen Zeitraum von 5,72 auf 7,05 Euro gestiegen.

„Die Gewinnmarge des Handels wird immer größer“, sagt Kreisobmann Kraus. „Und wir verdienen immer weniger, selbst wenn wir in eine Verbesserung der Haltungsformen investiert haben.“ Wilfried Distler nennt ein Beispiel: Ein Bullenmäster aus dem Landkreis Würzburg hat einen tiergerechten Boden im Stall eingebaut und mehr Platz für seine Tiere geschaffen. Er stieg daraufhin in die „Haltungsstufe 2“ auf, von Seiten des Handels wurde ihm ein höherer Erlös zugesagt. Doch der erhoffte Absatz blieb aus, die Verbraucher griffen nicht so häufig zu den Waren wie erhofft. Das Ende vom Lied: Der Landwirt muss weiter nach den höheren Maßstäben liefern – ohne einen Mehrerlös zu erzielen.

Ein Beispiel von vielen, das etlichen Kollegen Angst macht. „Seit fünf Jahren ist im gesamten Landkreis Kitzingen nicht mehr in einen neuen Stall investiert worden“, sagt Wilfried Distler. Im Gegenteil: Immer mehr Betriebe schließen, vor allem die Kleineren. Die vier BBV-Vertreter können es den Kollegen nicht verdenken. Die Auflagen ändern sich ständig. „Es gibt keine Planungssicherheit“, bedauert Kraus. Distler nennt ein weiteres Beispiel: Vor zehn Jahren hat ein Zuchtsauenbetrieb rund eine Million Euro in einen Stall investiert, der damals den neuesten Richtlinien entsprach. Jetzt muss sich der Besitzer, aufgrund neuer Vorgaben, entscheiden: Bestand reduzieren oder eine weitere halbe Million Euro in einen Anbau stecken. „Wir denken in Generationen und müssen langfristig planen können“, sagt Wilfried Distler. Die ständig neuen Vorgaben und die „knallharten Interessen“ des Handels vertragen sich damit nicht.

Offener Brief: Befürchtung, dass Deutschland nicht mehr genug Lebensmittel selbst produzierten kann

Gerade in diesen Zeiten stößt die Werbeaktion von Aldi etlichen Landwirten bitter auf. In einem offenen Brief an den Lebensmitteldiscounter rief Bauernpräsident Walter Heidl den Konzern selbst zu einem Haltungswechsel auf. Der inszeniere sich als Hüter und Unterstützer von Tierwohl in der Landwirtschaft. Tatsächlich fahre er aber eine „aggressive Niedrigpreisstrategie“. „Auch für das Tierwohl-Fleisch.“

Früher habe es mal so etwas wie eine kaufmännische Ehre gegeben, erinnert Wilfried Distler. Die Zeiten seien längst vorbei – zumindest im Lebensmitteleinzelhandel. Von einem „brutalen Machtkampf“ spricht der Geschäftsstellenleiter. Einem Machtkampf, in dem Verbraucher und Erzeuger aufgerieben werden. Unter dem Hashtag „Haltungswechsel“ wirbt Aldi für ein „tiergerechteres Morgen“.

Für Annette vom Berg-Erbar ist das nichts anderes als eine Mogelpackung. Wie bei jedem Vertrag müsse man auch bei der Werbung auf das Kleingedruckte achten. Dort ist nachzulesen, dass sich die versprochenen Tierwohl-Initiativen von Aldi lediglich auf Trinkmilch der Eigenmarken und Frischfleisch der größten Nutztiergruppen beziehen. Markenartikel sind ausgenommen. Nach Distlers Einschätzung betrifft der sogenannte Haltungswechsel des Discounters gerade mal 15 Prozent seiner Produktpalette. „Nur diejenigen Bereiche, die von der Marge her eh kaum einen Ausschlag geben“, sagt Helmut Schmitt.

Versorgung gefährdet?

Die vier BBV-Vertreter am Tisch wehren sich keineswegs gegen höhere Tierwohl-Standards in den Betrieben. „Aber natürlich müssen wir für die notwendigen Investitionen und Mehrkosten auch entlohnt werden“, fordert Alois Kraus. Der Lebensmitteleinzelhandel – und allen voran Aldi – blockiere das. „Sie wollen keinen Kostenausgleich für die Landwirte zahlen“, ärgert sich Wilfried Distler. Dass gleichzeitig im großen Stil Geld für bundesweite Werbung ausgegeben wird, passt für Helmut Schmidt „einfach nicht zusammen“.

Seine Befürchtung: In gar nicht so ferner Zukunft werden in Deutschland nicht mehr genug Lebensmittel produziert, um die Bevölkerung zu versorgen. Die Waren werden stattdessen aus Ländern wie Dänemark, Spanien oder aus Übersee importiert. „Wollen wir das wirklich?“, fragt der stellvertretende Kreisobmann.