Kinderärzte schlagen Alarm: Körperliche und psychische Auswirkungen der Pandemie sind nicht mehr zu übersehen

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Eine Menge Spaß haben die Kinder beim Rehasport mit Oliver Schmidt. Micha und Annalena lernen beispielsweise, wie ein Frosch durch die Halle zu hüpfen.
Eine Menge Spaß haben die Kinder beim Rehasport mit Oliver Schmidt. Micha und Annalena lernen beispielsweise, wie ein Frosch durch die Halle zu hüpfen. Fotos: Ralf dieter
Ralf Dieter
Genau hingeschaut: Oliver Schmidt hat seine kleinen Probanden im Blick.
Ralf Dieter
Die Koordination und Beweglichkeit muss bei manchen Kindern schon im jungen Alter trainiert werden.
Ralf Dieter

Es gibt ein neues Angebot in Kitzingen: Rehasport für Kinder ab 6 Jahren. Denn auch viele Kinder leiden aktuell unter dem Lockdown.

Die Freude ist ihnen anzusehen. Annalena, Lina und Micha flitzen durch die Halle, hüpfen auf einem Bein oder strecken die Hände in die Höhe. Ihr Trainer Oliver Schmidt gibt seine Anweisungen mit einem Lächeln auf dem Gesicht. So kleine, eifrige Sportler hat er selten bei einer Reha-Maßnahme. Es könnten in Zukunft noch deutlich mehr werden.

Der Lockdown hat seine Spuren hinterlassen. Nicht nur bei den Gastwirten, Künstlern oder Einzelhändlern. Auch die ganz Kleinen leiden unter den Restriktionen. Körperlich und psychisch. „Man merkt die Auswirkungen sehr deutlich“, sagt Kinderarzt Dr. Stephan Küntzer. In seine Praxis kommen immer häufiger Kinder mit Übergewicht, mit Haltungsproblemen, Koordinationsschwierigkeiten oder Rückenschmerzen. Um 20 bis 25 Prozent haben diese Fälle nach seiner Schätzung zugenommen. Die Ursache ist für ihn klar: zu viel Handy, zu viel PC, zu viel Fernsehen. „Das haben wir schon vor ein paar Jahren gemerkt“, sagt er. „Aber seit Corona hat sich dieser Trend noch verstärkt.“

Immer mehr junge Patienten haben Depressionen und Essstörungen

Kathrin Wagner kann das nur bestätigen. Die Fachberaterin für Sport an den Grundschulen im Landkreis spricht von immer mehr übergewichtigen Kindern – schon bei der Einschulung. Ihre Erklärung: Die Gesellschaftsstruktur verändert sich. Kinder gehen am Nachmittag nicht mehr so oft raus, der Trend geht immer früher zum Smartphone. Mittlerweile haben es schon viele Viertklässler in der Schultasche dabei. Seit Corona habe sich die Lage zugespitzt, weil Vereine schließen mussten und der Schulsport größtenteils ausfallen musste. Dabei sei Bewegung gerade im Grundschulalter essenziell. „Sie trägt dazu bei, Stress abzubauen und die Lernbereitschaft zu steigern“, erklärt die Fachlehrerin. Mit Programmen wie „Voll in Form“ wollen die Grundschulen dem Trend entgegenwirken. Das Ziel: 20 Minuten Sport an jedem Tag – nicht nur im Sportunterricht.

Dr. Alexander Wagner hat seine Kinderarzt-Praxis in der Kitzinger Siedlung. Die Zahl der übergewichtigen Kinder sei schon in den letzten Jahren gestiegen, bestätigt er. „Im vergangenen Jahr dann noch mal deutlich.“ Spätestens bei den Vorsorgeuntersuchungen werde ihm das jedes Mal bewusst. Neben der Bewegung fehle oft auch das Verständnis für die Wichtigkeit einer ausgewogenen Ernährung. Von den Eltern höre er seit Corona aber auch immer häufiger die Klage, dass sich ihre Kinder auffälliger verhalten, dass sie ängstlicher sind. Dass sie Probleme haben, auf andere zuzugehen.

Von einer massiven Zunahme psychischer Probleme spricht denn auch Dr. Küntzer. Immer mehr junge Patienten hätten depressive oder psychosomatische Störungen, litten unter Essstörungen. „Es mangelt ja nicht nur am Sport an sich“, sagt er. Bewegung sei in der Regel immer mit sozialen Kontakten verknüpft. Und die fehlen gerade den jungen Menschen.

Viele Kinder brauchen eine Gruppe, um sich zu bewegen

Diana und Oliver Schmidt vom Fitnessstudio BodyPower wollen dem entgegenwirken. Seit drei Wochen bieten sie eine Reha-Sportgruppe für Kinder an. Luise Grupp hat ihre Tochter Annalena sofort angemeldet. Die ist fünf Jahre alt und eigentlich eine Sportskanone. Handball spielt sie und tanzt in der Garde. Zwei- bis dreimal in der Woche war organisierter Sport für sie die Regel – in normalen Zeiten. Seit Corona ist das nicht mehr möglich. „Und seither hat sie ganz schön zugenommen“, sagt Luise Grupp und streichelt ihrer Tochter über die Haare.

Online haben die Grupps ein paar Sportangebote ausprobiert. Aber so richtig hat es nicht geklappt. „Sie ist eher der gemütliche Typ“, sagt Luise Grupp und lächelt. Wie viele andere Kinder auch, braucht Annalena eine Gruppe, um sich zu bewegen. So wie bei Oliver Schmidt. „Das hat Spaß gemacht“, sagt die Fünfjährige und berichtet von ihrer ersten Stunde. Erst mal dehnen, dann Wettrennen, dann Hin- und Herwerfen mit dem Ball. Und dann sind die Kinder noch wie verschiedene Tiere durch die Halle gehüpft. „Daheim hat sie das Ganze noch mal nachgespielt“, freut sich ihre Mutter.

Auch Verena Freund ist ganz angetan von dem Kurs. Eigentlich ist ihre Lina im Turnverein aktiv. „Aber da geht ja seit Monaten nichts mehr“, bedauert die Rödelseerin. Der Reha-Sport sei eine super Ergänzung zur Ergotherapie, die Lina erhält, um die Koordination zu schulen. Auch der dritte kleine Sportler in der Runde, Micha, ist in der Ergotherapie und macht in normalen Zeiten jede Menge Sport: Schwimmen, Judo und Handball. In den Zeiten des Lockdowns war all das unmöglich. Erst langsam werden die Sportangebote für Kinder wieder hochgefahren. Der Reha-Kurs für die 6- bis 14-Jährigen muss vom Arzt verschrieben und von der Krankenkasse genehmigt werden. „Ging ganz flott“, sagt Luise Grupp. 50 Einheiten hat Annalena verschrieben bekommen. Jeden Dienstagnachmittag bewegt sie sich mit kleinen Gleichgesinnten.

Vorbildfunktion der Eltern sei das wichtigste

Der Kurs ist eine gute Ergänzung beziehungsweise Alternative zum Vereins- und Schulsport, meinen die beiden Kinderärzte. „Wenn es eine Anlaufstelle gibt, ist die Motivation viel größer, sich aufzuraffen“, weiß Stephan Küntzer. Am wichtigsten sei aber die Vorbildfunktion der Eltern – sowohl was die Ernährung als auch die Bewegung angeht. Er habe großes Verständnis dafür, dass viele Eltern in diesen Zeiten an ihre Grenzen kommen und die Kinder immer wieder vor dem Fernseher oder dem PC „parken“. Mit den Folgen werde die Gesellschaft noch viele Jahre zu kämpfen haben, warnt er. Der Körper gewöhnt sich schnell an zu viel Zucker und zu wenig Bewegung, schlechte Gewohnheiten verfestigen sich. Besser sei es, dem möglichst frühzeitig entgegenzuwirken. So wie es die Eltern von Annalena, Lina und Micha tun.

Auch interessant: Ein Interview mit Sportwissenschaftler Prof. Dr. Harald Lange über die Folgen von Bewegungsmangel bei Kindern

 

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