Vertreter der Landwirtschaft wollen das Gespräch mit dem designierten neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir suchen. „Die Lösungen liegen auf dem Tisch“
Vor lauter Corona-Themen gehen andere, richtungsweisende Entscheidungen in diesem Land beinahe unter. Die Minister in der designierten Ampel-Koalition stehen mittlerweile fest. Eine der größten Überraschungen dürfte der Name Cem Özdemir sein. Der Grünen-Politiker aus Baden-Württemberg wird das Ressort Umwelt und Landwirtschaft führen. Was sagen führende Vertreter des Bauernstandes im Landkreis Kitzingen zu dieser Personalie? Und was wünscht sich ein führender Politiker der Grünen?
„Wenn er gewillt ist, ohne Idealismus an die Sache heranzugehen, dann ist das in Ordnung“, meint der Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Alois Kraus. Dass ein Politiker von Bündnis 90/Die Grünen das Ressort übertragen bekommen hat, überrascht ihn nicht. „Das hat man sich ausmalen können.“ Özdemir sei als Realo bekannt und werde dieser Linie „hoffentlich treu bleiben“. Kraus nennt zwei Beispiele, in denen Realismus aus seiner Sicht gefragt ist. So wichtig der Ausbau einer regionalen Vermarktung ist, so unstrittig sei es, dass die Landwirte auch weiterhin vom Weltmarkt abhängig sind. So nachvollziehbar Forderungen in Sachen Tierwohl sind, so klar müsse es auch sein, dass der dafür notwendige Umbau Zeit brauche. „Und eine finanzielle Unterfütterung von Seiten des Staates.“ All das müsse der neue Minister bedenken.
Grundsätzlich offen für alle Parteien
Der Bauernverband werde auf jeden Fall das Gespräch suchen. „Wir sind grundsätzlich offen für alle Parteien“, betont Kraus. Die enge Verzahnung mit der CSU sei längst Geschichte, das Verhältnis habe sich in den letzten Jahren abgekühlt. „Wir schreien auch nicht immer Hurra, wenn Frau Kaniber etwas verkündet“, versichert er. Die bayerische CSU-Landwirtschaftsministerin habe etliche „grüne Ideologien“ in ihr Gedankengut übernommen.
Kreisbäuerin Anette vom Berg-Erbar war „schon erstaunt“, als die Personalie bekannt gegeben wurde. „Ich hätte Cem Özdemir eher im Außenministerium gesehen.“ Spannend sei die Entscheidung allemal. Wichtig sei es jetzt, dass der begonnene Dialog in der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ weitergeführt wird. Vertreter von Landwirtschaft, Wissenschaft, Umwelt und Tierschutz sowie Wirtschaft und Verbraucher hätten dort schon gute Kompromisse erarbeitet.
Dass das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium nun in einer Hand liegen, sei die richtige Entscheidung gewesen. Vom Berg-Erbar rechnet in Zukunft mit noch mehr Anreizen, umweltschonend zu arbeiten. Auf der anderen Seite müsse aber auch klar sein, dass die Landwirte von ihrer Arbeit leben können müssen – selbst dann, wenn sie aus Gründen der Ressourcenschonung weniger produzieren. Die stellvertretende Bezirksbäuerin setzt diesbezüglich ebenfalls auf den Realitätssinn des neuen Ministers. Dem müsse auch klar sein, dass er letztendlich nur einen relativ kleinen Entscheidungsspielraum hat. „Die Weichen für unsere Zukunft werden auf der EU-Ebene festgelegt.“
Vorschlusslorbeeren
„Cem Özdemir kommt aus Baden-Württemberg und dürfte mit unseren süddeutschen Strukturen vertraut sein“, meint Wilfried Distler. Der Geschäftsführer des BBV in Kitzingen verteilt durchaus Vorschusslorbeeren. „Als Realo ist Cem Özdemir bisher als bodenständiger und pragmatischer Politiker bei Bündnis 90/Die Grünen in Erscheinung getreten.“
Distler setzt auch deshalb auf eine sachorientierte Herangehensweise und einen konstruktiven Dialog mit dem neuen Bundeslandwirtschaftsminister. Der Umbau der Tierhaltung sei kein leichter Weg, erinnert er. „Umso mehr gilt es, die Landwirtschaft politisch mit einfacheren Genehmigungen und einem tragbaren Finanzierungskonzept, das auf Dauer angelegt ist, zu unterstützen.“ Auch er fordert die neue Regierung auf, die Leitlinien der Zukunftskommission Landwirtschaft aufzugreifen. „Die Lösungen liegen auf dem Tisch. Jetzt zählt für unsere Bäuerinnen und Bauern die Umsetzung.“