Den Martinsgänsen im Staatsgut Kitzingen geht es bald an den Kragen. Mancher Artgenosse wird heuer dagegen– dank Corona – mit dem Leben davonkommen.
Ganz entspannt watscheln die Gänse über die Wiese und schnappen in der Mittagssonne nach Grashalmen. Erst als sich ihr Betreuer Fritz Knäulein nähert, rotten sie sich zusammen und trollen sich. Dabei liegt es in ihrer Art, in ungewohnten Situationen zu fauchen, zu flattern und zu schnattern. Einigen von ihnen wird es bald an den Kragen gehen. Sie werden zu Martinsgänsen – hoffentlich aber nicht zu Ladenhütern.
Fritz Knäulein will sich da nicht festlegen. An der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, die in Kitzingen neben dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für die Ausbildung, Forschung und Beratung zuständig ist, zeichnet er für die Geflügelzucht verantwortlich, und damit für 170 Gänse. Es sind in diesem Jahr einige weniger als normalerweise. „Wir haben zu viele verkauft“, sagt der Geflügelexperte. Normalerweise zieht er etwa 20 Prozent der Junggänse selbst auf, die anderen 80 Prozent werden weitergegeben – zuletzt waren es einige mehr.
„Gut möglich, dass mancher Züchter in diesem Jahr auf seinen Gänsen sitzen bleibt.“
Claus Schmiedel, Amt für Landwirtschaft
Mit Corona habe das nichts zu tun, sagt Knäulein. Es könnte sich aber als glücklicher Zufall erweisen. Denn Martini fällt in diesem Jahr, zumindest was das Gansessen in den Gasthäusern betrifft, komplett der Pandemie zum Opfer. Manch einer wird sich vielleicht den Gänsebraten zum Mitnehmen bestellen. Das wird die Verluste aber nicht ausgleichen können. Im Schwarzen Ross in Hörblach ist die Familie Huber jedenfalls froh, dass sie in weiser Voraussicht weniger Gänse zur eigenen Aufzucht auf dem angegliederten Hof angenommen hat. „Gut möglich, dass mancher Züchter in diesem Jahr auf seinen Gänsen sitzen bleibt“, meint auch Claus Schmiedel, der am Kitzinger AELF verantwortlich ist für die Geflügelberatung.
Im Kreis Kitzingen und darüber hinaus gibt es allerdings kaum jemanden, der sich der aufwändigen Zucht von Gänsen verschrieben hat. Im Alpenvorland oder im hohen Norden Deutschlands seien die räumlichen Gegebenheiten dafür eher vorhanden, sagt Schmiedel.
Gänse sind nicht vergleichbar mit Hühnern. Während Fritz Knäulein bestätigt, dass in den letzten Jahren immer wieder Privatleute in die Landesanstalt kommen, um sich einige Hühner mitzunehmen, fragt kaum jemand nach Gänsen. Das Wassergeflügel braucht viel Platz und vor allem: viel Gras. „So viel Fläche hat kaum jemand in seinem Garten zur Verfügung“, sagt Claus Schmiedel.
In der Kitzinger Geflügelzucht wurden gleich drei Weideplätze für die weißen Mastgänse angelegt. Zwei davon bevölkern die Junggänse, auch „Gössel“ genannt, eines die Mutter- und Vatertiere (Gänse und Ganter). Letztere verbringen das ganze Jahr auf der Weide, als Unterschlupf gibt es ein Holzhäuschen mit Nestern, in die die Gänse von Februar bis Juni ihre Eier legen, 50 bis 55 Stück pro Gans und Jahr. Ausgebrütet werden sie in der hauseigenen Brüterei, in der Temperatur, Feuchtigkeit und Sauberkeit penibel überwacht werden können. Nach etwa 30 Tagen schlüpfen die Gössel und können dann schnell ins Freie. Ein Teil von ihnen zieht rechtzeitig vor Martini in den Offenstall, wo sich die jungen Gänse dann ihr Schlachtgewicht von vier bis sieben Kilo anfressen.
Die Abnehmer der LfL-Gänse sind ausschließlich Privatleute. Fritz Knäulein ist deshalb sicher, dass von der diesjährigen Schlachtung wenig bis gar nichts übrig bleiben wird. Vielleicht verschiebt sich das Martini-Essen dieses Mal sogar noch eher in den privaten Raum – ebenso wie die Adventszeit und das Weihnachtsfest. Claus Schmiedel rechnet damit, dass es kaum große Weihnachtsfeiern in Firmen und Vereinen geben wird – und klassische Festessen in den Gaststätten werden wohl viel weniger nachgefragt. „Allerdings muss man so eine Gans daheim auch erst einmal zubereiten können.“