Timo Reuter war lange Zeit arbeitslos. Ein Programm des Jobcenters hilft ihm, wieder im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Die Aplawia ist zufrieden.
Wenn ihm alles zu viel wird, dreht Timo Reuter am Zauberwürfel. Das Trend-Spielzeug der 80er Jahre liegt griffbereit in der Werkstatt. Früher hat Timo Reuter es öfter gebraucht. Heute kommt er mit Stress besser zurecht. Aber auch jetzt gibt es Tage, an denen scheinbar alle an ihm zerren. „Timo, mach‘ da, Timo, mach‘ dort – wenn alles nach mir ruft, mach‘ ich die Tür zu und sortiere erst mal die Farben.“ Das Spiel mit dem Zauberwürfel beherrscht der 40-jährige Franke perfekt. Timo atmet durch und ist wieder bereit für die Welt.
Seit etwa einem halben Jahr ist er als „Mann für alle Fälle“ beim gemeinnützigen Verein Aplawia e.V. in Kitzingen angestellt. Zuvor war er lange Zeit arbeitslos. Nun hat der begabte Handwerker eine feste Anstellung, die Lohnkosten trägt aktuell zu hundert Prozent das Jobcenter. Das neue Förderprogramm für Langzeitarbeitslose zur Teilhabe am Arbeitsmarkt– bei ihm greift es. Es hat ihn nach einer „Assi-Zeit“, wie er selbst sagt, wieder in Lohn und Brot gebracht.
Aufgewachsen ist Reuter in einem Ortsteil von Dettelbach. Im Elternhaus gab es öfter Krach. Schon als Kind machte Timo Bekanntschaft mit Drogen, „vor allem Speed“. Nach der Schule fand er zunächst einen guten Job als Lager-Koordinator eines Betriebs; er hatte eine feste Beziehung, wurde Vater einer Tochter. Doch Job und Beziehung gingen in die Binsen. „Ich konnte früher ein richtiges Arschloch sein.“ Ein Verkehrsunfall im Jahr 2003 endete fast tödlich. Timo Reuters Schädel zeugt noch heute davon. Rund um seine Schädeldecke verläuft eine Narbe, die durch die kurzen blonden Stoppelhaare zu erkennen ist.
Schlimmer fast als die körperlichen Unfallfolgen seien die nicht sichtbaren gewesen, meint Reuter. „Ich hatte Angstzustände und Depressionen.“ An den Unfall selbst kann sich Reuter nicht erinnern, aber immer, wenn er es versuchte, spielte in seinem Hirn eine bestimmte Melodie. „Ich bin fast verrückt geworden. Was war passiert? Wo kam diese Musik her? Bin ich jetzt völlig plemplem?“ Erst viele Jahre später konnte er sich, nach einem Gespräch mit einem OP-Arzt, endlich einen Reim darauf machen. „Durch meinen Drogenkonsum hatte die Narkose nicht gewirkt wie normal. Ich hatte wohl immer die Melodie im Ohr, die während meiner Kopf-OP lief.“
Timo Reuter zog mehrmals um, hatte verschiedene Wohnungen im Kreis Kitzingen. In Schwarzach lebte er in einem Haus, in das er nach der Scheidung der Eltern auch seine jüngeren Geschwister holte. Er lernte wieder eine Frau kennen, bekam seine zweite Tochter. Trotzdem: Von den Drogen kam er nie ganz los. „Nach dem Unfall, als es mir schlecht ging, haben sie mir sonnige Zeiten beschert.“ Die Mutter seiner kleinen Tochter stellt ihn vor die Wahl: Entweder Therapie oder die Beziehung endet.
„Drogen bescheren einem Sonnenblumentage. Aber wenn jeder Tag Sonnenblume ist, kann man bald den ganz normalen Alltag nicht mehr bewältigen.“
Timo Reuter
Timo Reuter entscheidet sich für eine Therapie. „Als ich nach dem ersten Gespräch auf dem Heimweg war, sah ich meine Freundin – mit einem anderen Mann.“ Timo Reuter reagierte, wie er es gelernt hatte: Er besorgte schnellstmöglich Speed, um diesen erneuten Tiefpunkt im Leben zu überstehen.
Vor sechs Jahren – Reuter lebt mittlerweile allein – bekommt er von einem Bekannten ein altes Häuschen in Kleinlangheim zur Miete angeboten. Er renoviert das Gebäude in Eigenregie und hofft, es irgendwann kaufen zu können.