Zwei ehemalige Läutbuben erinnern sich an klingende Zeiten.
Nein, sie seien immer brav gewesen, die ehemaligen Läutbuben von 1962. Manto Graf zu Castell-Rüdenhausen und Christian Steinberger sind sich da absolut einig. Mitte der 70er-Jahre hat das Läutbubentum in Rüdenhausen aufgehört, unter anderem, so der damalige Pfarrer weil es viel Ärger mit den Jungen gab. Aber doch hauptsächlich wegen der Automatisierung. Und weil mit der Verlegung der Grund- und Hauptschule nach Wiesentheid die Burschen nicht mehr so zur Verfügung standen.
Läutbuben wurden immer die Jungs des Jahrgangs vor der Konfirmation. Und sie nahmen ihre Aufgabe sehr ernst. „Es war doch das erste Mal, dass wir ein öffentliches Amt und Verantwortung hatten“, sagt Christian Steinberger. Und es war das erste selbst verdiente Geld. Eine Mark und vierzig gab es, vom Bürgermeister persönlich ausgezahlt, am letzten Sonntag des Monats. Dazu bei Beerdigungen eine Mark vom Pfarrer. Und das mühsame Mähen des Rasens um den Kirchplatz herum wurde einem manchmal mit einem Eis versüßt, das der Pfarrer aus der Wirtschaft holte. Jopa hieß die Marke, die vor Langnese existierte – und die heute kaum noch einer kennt.
„Wir waren fünf“. Christian Steinberger zählt die Namen seiner Mitstreiter auf. „Außer uns der Thomas Seizinger, der Karl-Heinz Schwengler und der Manfred Maurer.“ Einer für jede Glocke, einer als Ersatz, falls mal länger geläutet werden musste. „So wie damals bei der Beerdigung vom Erwin Völker. Der Schwager war Musiker und kam mit Kapelle, die spielten sich quer durchs ganze Dorf. Vierzig Minuten Leichenprozession!“ Der fünfte Junge fungierte auch als Winker, um den Läutenden anzuzeigen, wo eine Leichenprozession sich gerade befand und wann die Einsätze fällig waren.
Ihr Amt war kompliziert und verantwortungsvoll. Jahreskreis und Liturgie zu kennen war selbstverständlich. Es galt genau zu wissen, in welcher Reihenfolge man in die Kirche einzog, an welchen Stellen des Gottesdienstes geläutet werden musste. Wie die Leichenprozession verlief. Und welche kirchlichen Feste wann ihren Dienst verlangten.
Eine ihrer Aufgaben war das Herumgehen mit dem Klingelbeutel an der Stange. Da wurde, wenn ein Kirchenbesucher wegguckte, auch länger hingehalten. Und wenn einer schlief und schnarchte, dann stieß man ihn schon mal mit dem Beutel wach.
Attraktiv waren die Zusatzverdienst-Möglichkeiten bei Hochzeiten oder Taufen. Da gab es von den Angehörigen Essen und Trinken und oft ein Trinkgeld. „Am meisten von den Amerikanern.“ Vertreter des Militärs waren bei fast jeder Taufe im „Heim für ledige Mütter“ der Gräfin Marie zu Castell-Rüdenhausen. Offenbar fühlten sie eine gewisse Verantwortung als Mit-, wenn nicht gar Haupt-Verursacher dieser Institution.
Als bei einer Taufe die Taufglocke wegen eines technischen Problems nicht geläutet werden konnte, behalfen die Buben sich mit der Totenglocke. Der erboste Pfarrer verbot ihnen, ins Taufhaus zu kommen. Sie lungerten aber so lange davor herum, bis jemand herauskam und sich ihrer mit Kuchen und Münzen erbarmte. Aber das sei kein Streich gewesen, so beteuern sie, nur ein Notbehelf.