Seit 60 Jahren leihen Ehrenamtliche der Telefonseelsorge Menschen in Not ihr Ohr. Einsamkeit, Familienkonflikte, Schicksalsschläge, Suizidgedanken. Es gibt nichts, das es nicht gibt. Eine Ehrenamtliche erzählt.
Über eine halbe Stunde hört Frau Schmitt dem Mann am Telefon zu. „Wir haben gar nicht so viel gesprochen, lange geschwiegen“, sagt Schmitt (Name von der Redaktion geändert). Die Frau des Anrufers habe einen schweren Unfall gehabt, liege im Koma. Die Ärzte konnten keine Prognose abgeben – und er wusste nicht: Wacht sie wieder auf? Und wenn ja: Wie viel ist dann noch da von seiner geliebten Frau? Am Ende sagt Schmitt: „Ich fühl' mich so hilflos, ich würd' ihnen so gerne helfen.“ Der Mann habe dankbar geantwortet: „Sie waren doch einfach da.“
Es sind Momente wie diese, die der im Landkreis Kitzingen lebenden Frau Schmitt das Gefühl geben, etwas Gutes und Wichtiges zu tun. Die ihr den Grund dafür liefern, sich seit zwölf Jahren insgesamt zwölf Stunden im Monat an das Telefon der Telefonseelsorge in Würzburg zu setzen und einfach zuzuhören. Ehrenamtlich.
Eine leichte Aufgabe ist das nicht. Denn man muss jedem zuhören. „Werturteilsfrei“, sagt Schmitt. Der Frau, die in höchsten finanziellen Schwierigkeiten steckt und einfach nicht mehr weiter weiß. Dem Rentner, dessen Enkeln ihn nicht besuchen und der sich einsam fühlt. Dem jungen Mann, der seine Ausbildung vergeigt hat und nun seinen Traum von der eigenen Villa und dem dicken Wagen zerplatzen sieht. Schicksalsschläge, Alltagssorgen, Banalitäten. Und dann gibt es eben noch die ganz harten Fälle. Jene, bei denen es scheinbar nicht mehr weiter geht und die ihr Leben beenden wollen.
Gerade für diese Menschen bietet die Telefonseelsorge oft die einzige Möglichkeit, einmal wirklich offen zu sprechen, erklärt Ruth Belzner. Sie leitet die Telefonseelsorge in Würzburg und ist Vorsitzende des bundesweiten Dachverbandes „Evangelische Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür“. Denn wem könnten sich diese Menschen sonst öffnen? Bekannte, Familie, Freunde – sie würden sofort alles daran setzen, dem suizidalen Menschen vom Selbstmord abzuhalten. Sicher ein hehres Ziel. Doch es verhindert, dass man den Betroffenen einfach zuhört und sich in sie hinein versetzt. „Die Menschen die bei uns anrufen, wollen keine einfachen Lösungen, keine Durchhalteparolen“, sagt Belzner. Sie wollen ernst genommen werden.
Das bedeutet auch für den Zuhörer eine enorme Belastung. Warum tut man sich das an? „Es gibt einem auch sehr viel“, sagt Schmitt. Sie musste selbst einmal einen schweren Schicksalsschlag verkraften. Vor ihrer Zeit bei der Telefonseelsorge starb ihr Mann an einer Krankheit. „Ich war länger in einer Krise.“ Seither weiß sie, wie wichtig es in schweren Zeiten ist, jemanden zum Reden zu haben. Das Gefühl, für jemanden in Not da sein zu können, einen Unterschied gemacht zu haben, sei sehr schön.
Aber natürlich klappt das nicht immer. Schmitt erzählt von einer Frau, die sie einmal am Apparat hatte. Schwere finanzielle Krise, verzweifelte Lage. „Ich hab bei mir die ganze Zeit gedacht, ach Gott, das ist schlimm!“, sagt Schmitt. Doch irgendwie habe sie das nie so richtig ausgesprochen. Auf einmal habe die Frau gesagt: „Sie sind ja überhaupt nicht empathisch!“ Dann habe sie einfach aufgelegt. „Das ging mir schon sehr nach“, sagt Schmitt. Dieses Gefühl, den Anderen nicht angenommen, nicht die richtigen Worte gefunden zu haben.
Um die ehrenamtlichen Mitarbeiter zu unterstützen, gibt es regelmäßige Supervisionen. Dort teilt man seine Erlebnisse, bespricht einzelne Telefonate. Außerdem ist auch die ausgebildete Psychologin Belzner immer für ihre Mitarbeiter zu erreichen. Man muss den richtigen Mittelweg finden, zwischen Einfühlungsvermögen und Neugier einerseits, Diskretion und professioneller Distanz andererseits.
Nicht jeder ist dafür geeignet. Wer sich bei der Telefonseelsorge engagieren will, muss sich zunächst bewerben. Bei einem Auswahlwochenende werden Telefonate simuliert: Wie reagieren die zukünftigen Seelsorger auf die ganz unterschiedlichen Probleme? Denn das wichtigste ist: Man darf nicht zu schnell urteilen, seinen eigenen Maßstab dem Gegenüber nicht aufdrücken wollen, erklärt Ruth Belzner.