Ein Landarzt auf hoher See

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Ab und an kann ein Schiffsarzt auch an Landausflügen teilnehmen. Die Bucht von Kotor in Montenegro hat Dr. Sturn besonders gut gefallen.
FOTO Bernhard Sturn
Auch ein Team, das sich um das Wohl der Passagiere an Bord kümmert, darf mal feiern: Schiffsarzt Dr. Bernhard Sturn (Mitte) im Kreise seiner Kollegen.
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Die Größe der Kreuzfahrtschiffe wird beim Aufenthalt im Hafen deutlich: Mein Schiff beim Halt in Cadiz. (Aufnahme von einer Reise von Dezember 2017 bis Februar 2018)
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Dr. Bernhard Sturn, der lange in Wiesentheid eine Allgemeinarztpraxis betrieb, ist heute Schiffsarzt auf der Tui „Mein-Schiff-Flotte“
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Dr. Bernhard Sturn ist Landarzt mit Leib und Seele. Doch die überbordende Bürokratie und unzählige geänderte Vorschriften behinderten diese Leidenschaft mehr und mehr.Jetzt arbeitet er als Arzt auf Kreuzfahrtschiffen.

Dr. Bernhard Sturn ist Landarzt mit Leib und Seele. Einer, der das ganze Spektrum der medizinischen Versorgung abdecken möchte. In seiner Allgemeinarztpraxis behinderten die überbordende Bürokratie und unzählige geänderte Vorschriften diese Leidenschaft mehr und mehr. Also wählte er einen anderen Weg: Jetzt arbeitet er als Arzt auf Kreuzfahrtschiffen.

Auf dem Regal steht ein Bild, wie man es vom „Traumschiff“ im Fernsehen kennt: Ein schicker Herr in weißer Uniform, der in die Kamera lächelt, im Hintergrund strahlend blauer Himmel und glitzerndes Meerwasser, das kleine Wellen schlägt. Dr. Bernhard Sturn in seiner Dienstuniform, wie er sie mehrere Monate im Jahr trägt. Dann, wenn er auf die Kanaren reist, ins Mittelmeer, nach Dubai, ans Nordkap. Er ist einer von mehreren Ärzten, die sich auf der Tui „Mein-Schiff-Flotte“ um das Wohl von Passagieren und Besatzung kümmern.

Ein Traumjob, wie es im Fernsehen suggeriert wird? Ja und Nein, das wird im Gespräch mit dem langjährigen Wiesentheider Arzt, der heute in Kitzingen lebt, deutlich. Die Kabine, in der er wochenlang lebt, ist gerade mal neuneinhalb Quadratmeter groß. Bett, Schreibtisch, Fernseher. „Und meine Kabine hat ein Bullauge“, erzählt er sichtlich erfreut – ein Fenster mit Meerblick hat nicht jeder. Ein Seniordoktor, der dreieinhalb Streifen auf der Schulterklappe trägt, schon.

Je nach Schiff, sind bei den Kreuzfahrten zwei Ärzte und zwei medizinische Pflegekräfte für das Wohl von 2000 bis 2500 Passagieren plus 800 bis 1000 Besatzungsmitgliedern zuständig. Das Spektrum der Behandlungen ist breit – und damit ist Dr. Bernhard Sturn genau wieder dort angekommen, wo er bei seiner Berufswahl damals hin wollte: An vorderster Front. Einzig das Land fehlt an den meisten Tagen, aber das stört ihn – im Gegensatz zu seiner Ehefrau – nicht weiter. Sie kommt selten mit auf die Reisen, fühlt sich eher eingesperrt auf dem Schiff. Dr. Sturn nimmt die Hochseetouren anders wahr: „Wenn ich auf dem Deck stehe und sehe nur Wasser, dann fühle ich mich frei.“ Er genießt die – leider nur ab und zu möglichen – Landausflüge, stillt bei den Reisen, das gibt er zu, auch seine Abenteuerlust.

Dass die Familie selten mitkommt, damit haben sich Dr. Sturn und seine Frau arrangiert. Man akzeptiert die gegenseitigen Vorlieben. Und überhaupt: Sehr viel Zeit für die Familie bleibt Dr. Sturn an Bord sowieso nicht. Im Wechsel mit dem Juniordoktor schiebt er 24-Stunden-Dienste. Die Praxis ist vormittags und nachmittags je zwei Stunden für die Gäste und eine Stunde für die Besatzung geöffnet. Dazu kommen Verwaltungsaufgaben, Dokumentationen und vieles mehr. Und man muss natürlich jederzeit Notfälle behandeln können, denn die gibt es auf Schiffen natürlich auch. So kommen zu normalen Erkältungswellen, zur Seekrankheit und Magen-Darm-Infekten auch mal Prellungen, Brüche, ja sogar Infarkte oder Schlaganfälle, wenn die glücklicherweise auch selten sind. Im Griff haben muss Dr. Sturn sie trotzdem, und hier kommt ihm seine langjährige Tätigkeit als Notarzt, aber auch die Zeit in einer Sportpraxis im Schwarzwald zugute.

Viele Notfälle lassen sich an Bord behandeln – aber nicht alle. Es gibt Situationen, in denen ein Patient in einem Krankenhaus weiterbehandelt werden muss. Dann muss Dr. Sturn den Transport und die Aufnahme organisieren, die nötigen Papiere ausfüllen, die Übergabe an die Ärzte vor Ort übernehmen. Dazu muss man Abläufe und Ansprechpartner an Bord und die Behandlungsmöglichkeiten in den verschiedenen Ländern kennen – im Nahen Osten wie in Skandinavien, Afrika oder anderen Regionen.

So unterschiedlich die Zielorte und Vorschriften, so unterschiedlich sind auch die Menschen, die ein Schiffsarzt versorgt. Die Mannschaft setzt sich aus über 40 Nationen zusammen. Die Bordsprache ist zwar Deutsch, doch die Besatzung spricht Englisch miteinander und duzt sich damit auch. „Es ist sehr familiär“, freut sich der Arzt.

All diese Mitarbeiter, 800 auf den beiden kleineren Schiffen der Flotte, 1000 auf den größeren, müssen natürlich die Vorschriften kennen, Wissen nachweisen, Rettungsübungen absolvieren. „Die ersten Wochen haben wir dauernd Schulungen“, erzählt Dr. Sturn. „Man muss ja das Schiff kennen, wissen, was wo ist, wie man Brände bekämpft, welche Kennzeichnungen es gibt.“ Auch für die alltäglichen Abläufe gibt es viele Vorschriften, festgehalten im Ships Quality Management. „Da stehen bestimmt 5000 Regeln drin.“

2013 hat Dr. Bernhard Sturn seine Praxis in Wiesentheid aufgegeben. Kurz darauf begann er als Schiffsarzt, übernimmt darüber hinaus Bereitschaftsdienste in der Region. 65 Jahre alt ist er jetzt und will noch so lange weitermachen wie es ihm die Gesundheit erlaubt. Ob in Praxen, in Krankenhäusern oder auf Schiffen. Die nächste Reise steht schon fest im Kalender: Wenn es im November nach Mittelamerika geht, wird er sich um das Wohl von Passagieren und Besatzung kümmern. Weil er eben ein Arzt mit Leib und Seele ist.