„Die Extreme werden extremer“

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„Auf lange Sicht sind eindeutige Aussagen unmöglich.“ Uwe Kirsche, Pressesprecher des Deutschen Wetterdienstes.
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Beim Kitzinger Stadtfest 2011 brach am Sonntagnachmittag. 5. Juni, ein Unwetter los. Solche Ereignisse dürften sich häufen.
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Ein Gewitter bei Marktbreit.
Foto: Karl Schönherr

Uwe Kirsche über die Unwägbarkeit von Vorhersagen und das Chaotische am Wetter

Über das Wetter kann jeder reden. Aber kaum einer so gut wie Uwe Kirsche, Pressesprecher des Deutschen Wetter Dienstes. Kirsche erklärt, warum das Wetter immer chaotisch ist, was der Schmetterlingseffekt mit einem möglichen Sturm zu tun hat und warum Vorhersagen auch in 100 Jahren eine gewisse Ungenauigkeit haben werden.

Frage: Die wichtigste Frage für unsere Leser zuerst: Wie wird der Sommer?

Uwe Kirsche (lacht): Die so genannten Jahreszeitenvorhersagen sind extrem schwer. Ganz ehrlich: Ich würde meine Urlaubsplanung nie auf Basis dieser Vorhersage machen. Die Trefferquote liegt bei maximal 70 Prozent. Immerhin lässt sich ein Trend erkennen: Der Sommer 2017 könnte wärmer ausfallen als im langjährigen Mittel.

Sie sagen „könnte“ und sprechen von Trend. Das Wetter bleibt also auch im Jahr 2017 unvorhersehbar?

Kirsche: Wie gesagt, auf lange Sicht sind eindeutige Aussagen unmöglich. Das wird wohl auch in 100 Jahren so sein.

Warum?

Kirsche: Wir können nicht alle Daten exakt erfassen, die wir für eine Vorhersage brauchen. Es gibt immer weiße Flecken. Insofern ist und bleibt das Wetter chaotisch.

Ist das nicht unbefriedigend? Da investiert man so viel Energie, Zeit und Geld in die Wettervorhersage. Und am Ende bleibt es chaotisch?

Kirsche: Das ist einerseits unerfreulich, andererseits aber auch der Reiz an der Sache. Wir können nicht jeden Punkt auf der Erde mit unseren Messinstrumenten überwachen. Es werden immer irgendwo lokale Einflüsse entstehen, die sich dann regional auswirken und sich fortpflanzen – der so genannte Schmetterlingseffekt.

Dann lässt sich eine Klimaveränderung auch nicht verlässlich vorhersagen? Hat Donald Trump doch recht?

Kirsche: Das ist was anderes. Wir sagen ja nicht voraus, wann es in 30 Jahren wo am meisten regnen wird. Aber wir wissen, was sich über die letzten Jahre in der Atmosphäre und in den Ozeanen verändert hat und können einen belastbaren Trend für die kommenden Jahre vorhersagen.

Und der besagt?

Kirsche: Wir erwarten, dass die Temperaturen global gesehen weiter steigen werden. Die Atmosphäre hat sich aufgeheizt und kann deshalb mehr Luftfeuchtigkeit aufnehmen. Damit ist auch mehr Energie in der Atmosphäre und die tobt sich aus, beispielsweise in Gewittern.

Wir werden also mehr Gewitter und mehr Starkregen und mehr Hitze haben?

Kirsche: Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Extreme werden extremer. Wahrscheinlich werden wir mehr Starkregenereignisse haben, aber sicher ist das nicht. Recht wahrscheinlich ist dagegen: Wenn es zu einem Starkregen kommt, dann wird er stärker ausfallen als bislang. Dieses Prinzip dürfte für alle Wetterextreme gelten.

Ende Juni hat Ihr Institut vor heftigem Starkregen mit der Gefahr von Überflutungen und Überschwemmungen gewarnt. Drei Minuten später wurde diese Warnung aufgehoben. Wie kann es dazu kommen?

Kirsche: Wir haben unser mehrstufiges Warnverfahren mit dem Katastrophenschutz abgestimmt. Das Ziel lautet dabei, sehr frühzeitig auf kommende Gefahren hinzuweisen, um dann immer präziser zu werden, je näher das Ereignis tatsächlich kommt.

Das heißt? Warnungen, dass es in zwei Tagen zu Starkregen kommen kann, sind nicht ernst nehmen?

Kirsche: Doch, aber wir können nicht zwei Tage vor einem Ereignis exakt den Ort des Starkregens benennen. Aber wir können und müssen so früh schon die Katastropheneinrichtungen in dieser Region warnen, damit sie sich wappnen können.

Dadurch entsteht allerdings der Eindruck, dass der Wetterbericht nicht gerade verlässlich ist.

Kirsche: Das sehe ich nicht so. Die Atmosphäre lässt nun mal bei der Berechnung der Zukunft Interpretationsspielräume zu. Wir dürfen weder über- noch unterwarnen. Beides würde dazu führen, dass uns die Menschen nicht mehr ernst nehmen. Wir müssen frühzeitig großflächig warnen und dann kleinflächig präzise werden. Das ist oft ein Spagat. Vor allem bei Starkregen, weil der sehr lokal auftreten kann.

Ab wann lässt sich denn ein Starkregen präzise prognostizieren?

Kirsche: Im Gemeindebereich ist das eigentlich nur im Minutenbereich exakt möglich. So ein Gewitter kann sich plötzlich drehen, wir müssen Warnungen hoch- oder wieder runterstufen. Deshalb kam es wohl auch zu dem Fall, den Sie beschrieben haben. Gerade im Sommer ist das sehr schwierig.

Ist es insgesamt schwieriger geworden, das Wetter vorherzusagen?

Kirsche: Eher umgekehrt. Vor 20 Jahren war die Kritik des Katastrophenschutzes, aber auch vieler Bürger, noch deutlich stärker. Die Qualität der Wettervorhersage hat sich eindeutig verbessert. Unser Großrechner ist leistungsfähiger geworden, die Messnetze liefern mehr und bessere Daten. Wir können jetzt auch die Art der Niederschläge vorhersagen, also ob es Graupel geben wird oder Starkregen.

Lassen sich verlässliche Prognosen überhaupt auf Gemeindeebene treffen?

Kirsche: Ja. Deshalb haben wir unser Warnsystem vor einem Jahr von den Landkreiswarnungen auf Gemeindewarnungen umgestellt. Damit haben wir einen lokalen Anspruch definiert. Etwa 10 000 Gemeinden sind in unser System involviert. Das erfordert natürlich eine permanente Überwachung.

Wie viele Menschen arbeiten denn für Sie?

Kirsche: Wir haben etwa 2500 Beschäftigte, sind allerdings auch für andere Aufgaben wie die Klimaüberwachung zuständig.

Wie viele Warnmeldungen verlassen pro Tag Ihr Haus?

Kirsche: Heute gibt der Deutsche Wetterdienst etwa 15 000 bis 20 000 Wetterwarnungen pro Jahr für Deutschland aus und davon bis zu 3000 Unwetterwarnungen.

Ganz schön viel.

Kirsche: Mit dem Umstieg von der Landkreis- auf die Gemeindeebene sind die Warnungen kleinteiliger geworden. Damit ist die Zahl der Meldungen gestiegen, obwohl es vielleicht gar nicht mehr Unwetter gab.

Was passiert, wenn eine Warnung nicht rechtzeitig erfolgt? Wenn ein Haus in den Fluten versinkt, weil der Wetterdienst nicht umfassend informiert hat? Sind Ihre Mitarbeiter dann regresspflichtig?

Kirsche: Nur, wenn grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Aber das ist in den letzten 60 Jahren, seit Gründung des DWD, kein einziges Mal vorgekommen.