Wir werden also mehr Gewitter und mehr Starkregen und mehr Hitze haben?
Kirsche: Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Extreme werden extremer. Wahrscheinlich werden wir mehr Starkregenereignisse haben, aber sicher ist das nicht. Recht wahrscheinlich ist dagegen: Wenn es zu einem Starkregen kommt, dann wird er stärker ausfallen als bislang. Dieses Prinzip dürfte für alle Wetterextreme gelten.
Ende Juni hat Ihr Institut vor heftigem Starkregen mit der Gefahr von Überflutungen und Überschwemmungen gewarnt. Drei Minuten später wurde diese Warnung aufgehoben. Wie kann es dazu kommen?
Kirsche: Wir haben unser mehrstufiges Warnverfahren mit dem Katastrophenschutz abgestimmt. Das Ziel lautet dabei, sehr frühzeitig auf kommende Gefahren hinzuweisen, um dann immer präziser zu werden, je näher das Ereignis tatsächlich kommt.
Das heißt? Warnungen, dass es in zwei Tagen zu Starkregen kommen kann, sind nicht ernst nehmen?
Kirsche: Doch, aber wir können nicht zwei Tage vor einem Ereignis exakt den Ort des Starkregens benennen. Aber wir können und müssen so früh schon die Katastropheneinrichtungen in dieser Region warnen, damit sie sich wappnen können.
Dadurch entsteht allerdings der Eindruck, dass der Wetterbericht nicht gerade verlässlich ist.
Kirsche: Das sehe ich nicht so. Die Atmosphäre lässt nun mal bei der Berechnung der Zukunft Interpretationsspielräume zu. Wir dürfen weder über- noch unterwarnen. Beides würde dazu führen, dass uns die Menschen nicht mehr ernst nehmen. Wir müssen frühzeitig großflächig warnen und dann kleinflächig präzise werden. Das ist oft ein Spagat. Vor allem bei Starkregen, weil der sehr lokal auftreten kann.
Ab wann lässt sich denn ein Starkregen präzise prognostizieren?
Kirsche: Im Gemeindebereich ist das eigentlich nur im Minutenbereich exakt möglich. So ein Gewitter kann sich plötzlich drehen, wir müssen Warnungen hoch- oder wieder runterstufen. Deshalb kam es wohl auch zu dem Fall, den Sie beschrieben haben. Gerade im Sommer ist das sehr schwierig.
Ist es insgesamt schwieriger geworden, das Wetter vorherzusagen?
Kirsche: Eher umgekehrt. Vor 20 Jahren war die Kritik des Katastrophenschutzes, aber auch vieler Bürger, noch deutlich stärker. Die Qualität der Wettervorhersage hat sich eindeutig verbessert. Unser Großrechner ist leistungsfähiger geworden, die Messnetze liefern mehr und bessere Daten. Wir können jetzt auch die Art der Niederschläge vorhersagen, also ob es Graupel geben wird oder Starkregen.
Lassen sich verlässliche Prognosen überhaupt auf Gemeindeebene treffen?
Kirsche: Ja. Deshalb haben wir unser Warnsystem vor einem Jahr von den Landkreiswarnungen auf Gemeindewarnungen umgestellt. Damit haben wir einen lokalen Anspruch definiert. Etwa 10 000 Gemeinden sind in unser System involviert. Das erfordert natürlich eine permanente Überwachung.
Wie viele Menschen arbeiten denn für Sie?
Kirsche: Wir haben etwa 2500 Beschäftigte, sind allerdings auch für andere Aufgaben wie die Klimaüberwachung zuständig.
Wie viele Warnmeldungen verlassen pro Tag Ihr Haus?
Kirsche: Heute gibt der Deutsche Wetterdienst etwa 15 000 bis 20 000 Wetterwarnungen pro Jahr für Deutschland aus und davon bis zu 3000 Unwetterwarnungen.
Ganz schön viel.
Kirsche: Mit dem Umstieg von der Landkreis- auf die Gemeindeebene sind die Warnungen kleinteiliger geworden. Damit ist die Zahl der Meldungen gestiegen, obwohl es vielleicht gar nicht mehr Unwetter gab.
Was passiert, wenn eine Warnung nicht rechtzeitig erfolgt? Wenn ein Haus in den Fluten versinkt, weil der Wetterdienst nicht umfassend informiert hat? Sind Ihre Mitarbeiter dann regresspflichtig?
Kirsche: Nur, wenn grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Aber das ist in den letzten 60 Jahren, seit Gründung des DWD, kein einziges Mal vorgekommen.