Der Charme des Handgemachten

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Der Charme der frühen Jahre: Wolf Demel an der Kamera beim Dreh 1993.
Tessy Korber
Die Akteure von einst: Wolf Demel, Stefan Schroll, Heike Frank, Oskar Münzer, Udo Roß, Jürgen Schroll, Nadine Ullrich und Harald Stadelmann.
Foto: Tessy Korber
Der Schauplatz vor dem Besucheransturm.
Foto: Tessy Korber

Die Wiederaufführung der Trash-Perle "Und ewig fließt der Mee" lockte über 600 Fans

Es begab sich im Jahre 1993, dass in der Marktbreiter Kunstkneipe Tomtolli der Besitzer Erich Schuller mit seinen Freunden saß und beim Bier vor sich hin dachte. Bis er die Erleuchtung hatte: „Wir drehen einen Film. Wir hier, einfach so. Über uns Franken.“ Und so geschah es.

„Es war Winter, es war langweilig und wir wollten etwas dagegen tun“, fasst Jürgen Schroll die damalige Lage zusammen. Schroll spielte im Film einen der Piraten. „Eine tragende Nebenrolle“, wie er meint. Was aber nichts mit dem Tragen der angeblich 25 verbrauchten Bierkästen während des Drehs zu tun hatte. Bier spielte allerdings, wenn man den Beteiligten glauben darf, bei der ganzen Angelegenheit eine prominente Rolle.

Das Filmedrehen lag ihnen ebenfalls nahe. Wolf Demel, Mit-Ideengeber, -Drehbuchautor und -Produzent ist mit seiner Firma Checknology inzwischen professionell als Produzent von audiovisuellen Medien unterwegs. Er habe „immer schon gefilmt, das war unser Ding, Konzerte, gespielte Witze, jeden Scheiß, der uns einfiel.“ Film also. Der dritte im Bund war Stefan Schroll, und zusammen haben die drei 70 Leute auf die Beine gestellt, die mitwirkten und halfen: Freunde, Verwandte, Kneipenbesucher. „Ich war beim Holzhacken, als Erich mich fragte, ob ich eine Filmrolle spielen wollte, und ich ließ die Axt fallen und folgte ihm.“ So schildert Oskar Münzer, im Film der Markgraf, das „aufreibende Casting“.

Jeder Lacher ist willkommen

Der damalige Bürgermeister Walter Härtlein erlaubte den Jungfilmern, an sonst verschlossenen Orten wie den Räumen des Schwarzen Turmes oder im Rathaus zu drehen, das Kino Casablanca in Ochsenfurt half bei der Technik, die Laienspielgruppe der Rathausbühne steuerte einige Kostüme bei. Den Rest holte man aus dem Fundus von Oma und Opa und Erich Schullers Antiquitätensammlung, packte alles in einen Bus und fuhr an den Marktstefter Hafen. Und schon konnten die Dreharbeiten beginnen.

„Und ewig fließt der Mee“ ist theoretisch ein Historienfilm, praktisch eine Sketch-Revue, die deutlich von Monty-Python beeinflusst ist und sich um Fragen der Kunst oder Historizität nicht schert. Jeder Lacher ist willkommen, man wollte Spaß an der Sache haben – und hatte ihn ganz offensichtlich.

Der Charme des Handgemachten war Trumpf. Dass die Leibeigenen Turnschuhe tragen, der Markgraf Bananen isst, die Mainpiraten sich nach der Karibik sehnen, die Zwangsrekrutierung als Butterfahrt angepriesen wird und für den vermeintlich in Schnaps konservierten Opa eine Mumifizierungssteuer anfällt – das ist mal Not, mal Satire – und der Unterschied schert keinen. Die Handlung? Wichtig ist sie nicht: Der Markgraf von Ansbach verkauft, wie seinerzeit viele Landesherren, Untertanen an England als Soldaten für dessen Kolonialkrieg in Amerika. Das Gold, das er dafür bekommen soll, wird von Piraten gestohlen. Die Tochter des Markgraf verliebt sich in den Piratenkapitän, befreit ihn, als ihr Vater ihn fängt und fährt mit ihm mainabwärts in den Sonnenuntergang.

Der Film wurde im Tomtolli uraufgeführt, lief an einem Wochenende im Casablanca, bei einem Open Air in Erlach und 2010 nochmals im Casablanca als vom Publikum gewählter Film des Monats.

Die Unterfranken lieben ihren Film, das zeigte sich auch am späten Freitagabend letzter Woche, als ein Teil des ehemaligen Casts vor die Open-Air-Leinwand am Alten Kranen in Marktbreit tritt. Heike Frank ist da, die Darstellerin der Markgrafentochter Anna-Charlotta, Oskar Münzer (Markgraf), Udo Roß (dessen Berater), Jürgen Schroll (Pirat), Nadine Ullrich und Harald Stadelmann, der „diverse Wachen und Soldaten“ darstellte.

Es war schwer, sich ihrer guten Laune zu entziehen, und das Publikum hatte auch nichts dergleichen vor. Die Sonne schien, der Main glitzerte, man genoss Wein, Sekt, Aperol, es duftete nach Popcorn. Obi Obermeier aus Erlach moderierte das „Meet and Greet“ fränkisch-lakonisch und wortkarg. Es wurde gepfiffen, applaudiert und viel gelacht, als sie sich Obermeiers Fragen stellten und erzählten, wie sie damals alle ihre Zeit, Jugend und den guten Ruf für die Sache opferten. Oder als Stefan Schroll bedauerte, dass die Hauptdarstellerinnen seinerzeit für Nacktszenen nicht offen waren, was einen größeren kommerziellen Erfolg a la Hollywood wohl verhinderte.

Ein ganz anderer Moment entstand, als Wolf Demel alle bat, sich für eine Gedenkminute zu erheben. Erich Schuller, der geistige Vater des Projektes, war im Vorjahr gestorben. „Als ich das Projekt der Wiederaufführung für die Kulturzeichen anmeldete“, erzählte Wolf Demel, „lag der Solo schon im Krankenhaus und ich dachte: Aber bis zum Juli ist ja noch Zeit, da wird er wieder.“ Am Tag darauf war er jedoch tot.

600 Menschen erhoben sich. Obi Obermeier widmete dem Verstorbenen das Gedicht „Der Finder“. Es handelt von einem, der Interesse an nutzlosen Dingen hat, sich ein „Arsenal der Möglichkeiten“ ansammelt und dann das Spiel beginnen lässt.

Freude am fast kindlichen Spiel, der Spaß am Nutzlosen, Nichtkommerziellen und der Mut zum erlösenden Nonsens – sie prägten den gut gelaunten Abend und waren erlebbar auch für die, die Erich Solo Schuller nicht kannten und kein Teil der Szene waren, die „Und ewig fließt der Mee“ erschuf.