Nach langer Zwangspause nehmen die Chöre im Land wieder ihre Proben auf. Erste Konzerte sind geplant. Die Nachwehen von Corona werden aber noch zu spüren sein
Landkreis Kitzingen Er hat es geschafft, ein halbes Jahr intensiver Arbeit zu einem sehenswerten Abschluss gebracht. Uwe Ungerer hat in den letzten sechs Monaten Chorleiter und Vorsitzende von Gesangvereinen in ganz Franken besucht und zu ihren Erlebnissen und Erfahrungen während der Corona-bedingten Zwangspause befragt. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Das Gemeinschaftsgefühl ist vielerorts verloren gegangen.
Frage: Was war die Motivation für Ihr Projekt?Ungerer: Wir haben etwa 60 000 Chöre in Deutschland, sie geben im Jahr rund 300 000 Konzerte, zu denen etwa 60 Millionen Zuhörer kommen. Die Chormusik in deutschen Amateurchören ist 2014 zum immateriellen Kulturerbe erhoben worden. Und dennoch gab es keinen Aufschrei, als wir eineinhalb Jahre lang zum Nichtstun verdammt waren.
Ein Vorwurf an die Politik?Ungerer: Ich halte es für bedenklich, dass die Politik zu keiner Zeit an uns gedacht hat. Letztendlich sind wir ja auch ein nicht unbedeutender Wirtschaftszweig. Bei Konzerten wird gegessen und getrunken. Wir mieten Säle und umrahmen andere Veranstaltungen. Aber offensichtlich hatten unsere Verbände nicht genug Einfluss ausgeübt.
Sie haben in ganz Franken Stimmen und Stimmungen eingeholt. Gab es so etwas wie eine Kernaussage?Ungerer: Ich wollte herausfinden, wie es den Vereinen und Sängern ergangen ist. Mich hat die emotionale Seite interessiert. Die Antworten waren zum Teil aufwühlend. Mancherorts sind Chormitglieder gestorben, Menschen mit denen man Jahrzehnte lang geprobt und gesungen hat – und man konnte nicht Abschied nehmen. Ohne die wöchentlichen Chorproben fühlten sich viele Menschen einsam, wussten gar nicht mehr, was in ihrem Dorf so passiert. Die Geselligkeit, das Gemeinsame fehlte vielen.
Im Gesangverein geht es nicht nur ums Singen.Ungerer: So ist das. Der Austausch ist für viele das Entscheidende. Und der hat gefehlt. Diese Rückmeldung habe ich auch von den ambitionierteren Chören erhalten. Jeder fühlte sich mit seinen Sorgen und Nöten alleine.
Wie viele Chöre haben Sie besucht?Ungerer: Ungefähr zehn. Ich habe dabei sechs Stunden Videomaterial gesammelt. Die größte Herausforderung bestand darin, das Ganze auf Spielfilmlänge herunter zu kürzen. Der Film dauert immer noch 114 Minuten. Besonders hat es mich gefreut, dass der Präsident des Fränkischen Sängerbundes, Prof. Dr. Friedhelm Brusniak, sich bereit erklärt hat, meinen Film mit einem Beitrag zum Thema „Immaterielles Kulturerbe“ zu bereichern.
Haben sich Gesangvereine aufgelöst?Ungerer: Das war zumindest bei denjenigen Vereinen, die ich befragt habe, kein Thema. Aber klar: Ohne Veranstaltungen, ohne Konzerte, ist ein Chor nicht präsent und kann keinen Nachwuchs generieren. Gerade bei Kinder- und Jugendchören ist das passiert. Die fangen quasi wieder bei Null an.