Der Streik der niedergelassenen Ärzte konnte vorerst abgewendet werden. Im Oktober stehen neue Verhandlungen an - und die Mediziner sind bereit, bis zum Äußersten zu gehen.
Viel hätte nicht gefehlt und Dr. Gunther Carl hätte seine Praxishelferinnen morgen streiken lassen. Lange Wartezeiten wären die Folge gewesen. "Sie haben ein Interesse daran, dass unser Umsatz steigt, ihr Gehalt ist davon abhängig." Das Geld, um das es derzeit zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Krankenkassen geht, sei ja nicht das private Honorar der Ärzte, sondern der Umsatz, von dem alle Auslagen wie Miete, Mitarbeiter oder Ausstattung bezahlt werden. Nun steht ein neues Angebot der Krankenkassen im Raum - laut dem Kitzinger Nervenarzt "irgendetwas bei zwei oder drei Prozent". Die Proteste sind ausgesetzt.
Aufgeschoben, nicht aufgehoben
"Aber nicht aufgehoben", betont Carl. Er ist Mitglied der Praxisgemeinschaft für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im Kitzinger Ärztehaus, die sich an den Aktionen im Honorarstreit beteiligt. "Was die Krankenkassen zuerst geboten hatten, war die reine Provokation!" Als Nervenarzt hat Carl großes Interesse an einer Anhebung der Vergütung, da er zu einer der Ärztegruppen mit den niedrigsten Bezügen gehört. "Das kommt daher, dass die Zeit, die wir mit den Patienten verbringen, viel schlechter bezahlt wird, als beispielsweise die Gerätemedizin." Für Arztgespräche von einer Viertelstunde bekommt Carl rund 13 Euro. Da das Budget gedeckelt ist, kann er pro Patient und Quartal aber nur zwei bis drei solcher Gespräche führen. Braucht ein Patient mehr Betreuung, bekommt der Mediziner nicht mehr Geld, sein Stundenlohn sinkt. Für so genannte Richtlinien-Psychotherapiegespräche, die fast doppelt so gut honoriert werden - "obwohl sie nicht anders einzustufen sind" - fehle meistens die Zeit. "Wir sind mehr mit Akutmedizin beschäftigt: Beratung neuer Patienten, Schlaganfälle, Epilepsie, Parkinson und so weiter."
Durch die Budgetierung würden die meisten Ärzte - nicht nur seine eigene Gruppe - 120 oder 130 Prozent mehr leisten, als sie bezahlt bekämen.
Davon kann Hausarzt Peter Junker ein Lied singen. Allgemeinmediziner bekommen pro Quartal und Patient nur eine Pauschale - egal, wie oft ein Patient kommt. Trotzdem beteiligt sich Junker nicht an den Protesten. "Der Hausärzteverband hat in Bayern nicht zum Streik aufgerufen, da wir 2010 eigene Hausarztverträge mit den Krankenkassen ausgehandelt haben." Diese liegen außerhalb des Systems der Kassenärztlichen Vereinigung und laufen bis 2013. Trotzdem liegen die Allgemeinmediziner immer noch am untersten Ende der Gehaltstabelle.
Carl nennt die riesige Honorar-Spanne innerhalb der Ärzteschaft - zwischen einem Hausarzt und einem Radiologen liegen fast 150 000 Euro im Jahr - "ein ganz klares Missverhältnis". "Unterschiede sind gerechtfertigt - durch unterschiedliche unternehmerische und medizinische Risiken oder divergierende Kosten in den einzelnen Sparten." So extrem dürften die Vergütungen jedoch nicht schwanken.
Für die Praxisgemeinschaft sei die derzeitige Situation "noch erträglich". "Weil wir uns zusammengetan haben, sind unsere Praxiskosten geringer." Sie verschlängen aber immer noch rund 60 Prozent der Vergütung. Kollegen mit Einzelpraxen hätten als privaten Verdienst noch weniger übrig - kaum mehr, als ein Gymnasiallehrer. "Als Freiberufler müssen wir aber alle unsere Versicherungen, Rücklagen oder Vorsorgen selbst bezahlen." Auch Urlaub will ein Arzt mal machen - eine Zeit, in der er keinen Pfennig verdient.
Streik schadet Ärzten selbst
"Wie auch bei einem Streik", sagt Carl. Darum hofft er auf eine Einigung beim nächsten Termin am 4. Oktober. Praxisschließungen seien nur das allerletzte Mittel: Weil die niedergelassenen Ärzte damit nicht nur ihren Patienten, sondern auch sich selbst schaden würden.
Warum Ärzte und Krankenkassen streiten