Erinnerung an einen Katastrophentag für Kitzingen

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Spätherbst 1948: Kitzingen ist immer noch von dem Bombenangriff am 23. Februar 1945 gezeichnet. Foto: Stadtarchiv Kitzingen
Spätherbst 1948: Kitzingen ist immer noch von dem Bombenangriff am 23. Februar 1945 gezeichnet. Foto: Stadtarchiv Kitzingen

Kein Datum bewegt die Kitzinger mehr als der 23. Februar 1945. Es ist der Tag, an dem ihre Stadt zerstört wurde. Im Stadtarchiv sind die Ereignisse gesammelt und dokumentiert.

Immer wenn es auf den 23. Februar zugeht, richtet sich Doris Badel, die Leiterin des Stadtarchivs Kitzingen, auf
viel Besuch ein. Am Freitag,
23. Februar 1945, wurde Kitzingen von amerikanischen Flugzeugen bombardiert. Das Mühlberggebiet und der Krainberg, aber auch Teile der Innenstadt wurden komplett zerstört.

Dieser Tag ist als der schrecklichste, als "schwarzer Freitag", in die Geschichte der Stadt eingegangen. "Kein anderes Thema beschäftigt die Kitzinger heute noch so sehr", sagt Doris Badel.

Es kommen vor allem im Februar viele Leute, ehemalige Stadtbewohner, aber auch Touristen, für die Badel immer wieder die Bilder der Verwüstung aus dem Archiv hervorholen muss. Vor allem die Luftbilder stoßen auf großes Interesse.
Manch einer scheint aber nicht nur interessiert oder neugierig, sondern regelrecht angezogen von der Katastrophe, von den Ereignissen, die sich morgen zum 68. Mal jähren. Andererseits kommen auch viele Menschen, die Badel etwas fürs Archiv mitbringen, Fotos, Erinnerungen, Briefe und vieles mehr. "Meine Bestände zum Thema 23. Februar wachsen", sagt die Archivleiterin.
Bei Zeitzeugen, die als kleine Kinder im Luftschutzkeller saßen und zitterten, lockert sich dann die Zunge, sie fangen an zu erzählen. "Wer das erlebt hat, bei dem hat sich alles eingeprägt. Fast jeden Tag erinnern sich die Zeitzeugen daran. Auslöser dafür können schon Geräusche oder Gerüche sein, mit denen etwas assoziiert wird", sagt Doris Badel.
Lebhaft im Gedächtnis geblieben ist Badel selbst die Ausstellung von Stadtarchiv und Städtischem Museum zum Thema "23. Februar 1945". Die Leute diskutierten, welches Haus in welcher Straße in Trümmern zu sehen war, wo es die meisten Schäden gab oder wer damals zu Tode kam.

Keine andere Ausstellung in Kitzingen habe einen solchen Ansturm und so viel Aufmerksamkeit erlebt, sagt Badel.

Etliche Zeitzeugen haben ihre Todesangst und das Leben nach dem 23. Februar 1945 literarisch verarbeitet und Bücher darüber geschrieben. Junge Menschen, Schüler, erstellen Facharbeiten oder Seminararbeiten. Es gibt Abhandlungen zur Gebäudegeschichte, auch verwaltungstechnische Anfragen.

Das Archivmaterial umfasst zwei Etappen: den Luftangriff selbst und die Zeit danach. Dass man überhaupt so genau weiß, wie viele Bombardierungswellen es gab, woher wie viele Flugzeuge kamen, ist einer Dokumentation zu verdanken, die rein zufällig entstand. Eigentlich forderte der Autor von "Schwarzer Freitag", Eugen Lux, beim "National Archives und Records Service" in Washington militärische Unterlagen über den Luftangriff auf die Stadt Offenbach am Main an. Geschickt wurden ihm jedoch versehentlich die über den Angriff auf Kitzingen.
Eine Darstellung der Geschehnisse unter Verwendung von Originalberichten aus allen Kreisen der Bevölkerung Kitzingens, betitelt mit "Kitzingen im Schicksalsjahr 1945", hat Dr. Hans Willman, Rektor der Handelsschule, 1948 publiziert.

1951 wurde die Kitzinger Pfarrchronik 1945 von Ernst Rösser, katholischer Pfarrer in Kitzingen, veröffentlicht. Bruchstückhafte Erinnerungen schrieb der Künstler und Hochschullehrer Chris Bezzel auf, der von 1938 bis 1952 in Kitzingen lebte. Klaus Heisel hat unter dem Titel "Kitzinger Geschichten" zwei Bände mit Zeitzeugenberichten herausgegeben. In dem Buch "Da jeder jeden gekannt" erzählen Kitzinger Bürger und Bürgerinnen aus viereinhalb Jahrzehnten. Bearbeitet wurde das Buch von Dieter Böhn und Beate Plück, veröffentlicht im Jahr 1991.
Doris Badel hat einen ganzen Karton mit historischen Aufnahmen und Luftbildern. Zahlreiche Fotos im Stadtarchiv haben auf der Rückseite "Foto Wolfarth" vermerkt. Sie stammen aus dem Labor von Resi Wolfarth, die die Filme von den US-Amerikanern entwickelt hat. Heimlich hat sie Kopien von Negativen angefertigt.

Fotografieren war verboten

Der zweite Teil der archivierten Bilder stammt vom Elektromeister Richard Will aus Albertshofen, der zerstörte Stromleitungen repariert hat. Von den Hausdächern aus hat er verbotenerweise fotografiert, den Apparat in Papier eingewickelt und versteckt. Akten der Stadt Kitzingen, Wurfzettel des Bürgermeisters, Plakat-Anzeiger der Kitzinger Zeitung und der Karton mit der Beschriftung "Nachkriegszeit" beziehen sich auf die Tage, Wochen, Monate und Jahre nach dem 23. Februar 1945.
Bei den Gesprächen mit Kitzingern und Besuchern erlebte die Leiterin des Stadtarchivs "eine unfassbare Geschichte. Vor einigen Jahren fragte eine Dame von auswärts nach historischen Aufnahmen einer Straße, in der sie nach dem Krieg als junges Mädchen gewohnt hat. Da Doris Badel kein passendes Foto finden konnte, zeigte sie ihr die Fotodokumentation über das zerstörte Kitzingen, darunter eine beeindruckende Aufnahme vom Krainberggebiet, in die eine Mutter mit ihren Kindern rechts am Bildrand hineinzuhuschen scheint.
"Ich fand den Gegensatz zwischen dem schrecklichen Bild der Verwüstung und der gepflegten jungen Mutter mit ihren zwei Kindern, alle ganz in Weiß wie im Sonntagsstaat, schon immer besonders krass", sagt Badel.

Prompt blieb die Dame bei diesem Bild hängen und glaubte, sich an den Kinderwagen zu erinnern. Das Modell kam ihr bekannt vor, ebenso wie die junge Mutter, die große Ähnlichkeit mit ihrer eigenen hätte.

Einen Tag später rief die Frau Doris Badel von Zuhause aufgeregt an und erzählte, dass sie mehrere alte Fotos ihrer Mutter mit genau diesem Kinderwagen und auch der schicken Handtasche in einem alten Fotoalbum gefunden habe. Demnach handelt es sich bei dieser jungen Frau eindeutig um ihre Mutter Rita Heuberg, die mit ihr als Kleinkind sowie ihrer jüngeren Schwester Christel (im Kinderwagen) durch das kriegszerstörte Kitzingen läuft. Badel: "Das war ein schier unglaublicher Zufall, den ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde."