Die Angst sitzt mit im Führerhaus

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Fernfahrer Hubert Giebe fährt einen Autotransporter. Bei der Kontrolle erklärt Bernhard Fröhling von der Autobahnpolizei wie er den Beamten bei der Fahndung helfen kann. Foto: Tobias Köpplinger
Fernfahrer Hubert Giebe fährt einen Autotransporter. Bei der Kontrolle erklärt Bernhard Fröhling von der Autobahnpolizei wie er den Beamten bei der Fahndung helfen kann. Foto: Tobias Köpplinger
Foto: dpa/BKA Wiesbaden
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Beamte der Schwerlast-Kontrollgruppe der Autobahnpolizei Biebelried informieren Fernfahrer über die Autobahnschüsse. Foto: Tobias Köpplinger
Beamte der Schwerlast-Kontrollgruppe der Autobahnpolizei Biebelried informieren Fernfahrer über die Autobahnschüsse. Foto: Tobias Köpplinger
 
 

Seit vier Jahren beschießt ein Unbekannter auf deutschen Autobahnen Lastwagen. Auf Flugblättern bittet die Polizei jetzt die Fahrer um Hinweise bei der Fahndung. Der Schütze könnte ein Trucker sein.

Hubert Giebe sagt, ihn habe es schon einmal erwischt. Zwei Jahre ist das jetzt her, ungefähr. Gemerkt hat der Fernfahrer nichts. Zunächst. "Bei der Endkontrolle hieß es, du hast ein Problem", sagt Giebe. Sein Problem: ein Loch im Autoblech, so groß, dass man einen Finger reinstecken konnte. Bei einem Neuwagen ein großes Problem. Erst dachte er, vielleicht ein Stein. Dann verständigte er die Polizei. Das Loch war ein Einschussloch. Hubert Giebe transportiert Autos. Als das mit dem Schuss passierte, war er quer durch Deutschland unterwegs. Erst in Belgien fiel das Loch auf. Beim Abladen. Der hinterste Wagen hatte das Loch in der Tür.

An diesem Morgen ist Hubert Griebe wieder unterwegs. Ziel diesmal: Ingolstadt. Ladung: ein Kleinwagen, ein Transporter. Auf dem Rastplatz Würzburg stoppt ihn die Polizei. Allgemeine Verkehrskontrolle und Information.
Bernhard Fröhling von der Verkehrspolizeiinspektion Würzburg Biebelried tritt ans Führerhaus. Fahrzeugschein. Führerschein. Frachtpapiere. Das Übliche. Dann hält der Polizist dem Fernfahrer einen Zettel hin. Schüsse auf Autotransporter, steht da, dahinter ein Ausrufezeichen, darunter die Telefonnummer des Bundeskriminalamtes. Die Kugel, die Hubert Giebes Fracht traf, war kein Einzelfall. Mehr als 700 Einschusslöcher hat die Polizei bislang gezählt. Bundesweit. Deshalb koordiniert jetzt das Bundeskriminalamt die Ermittlungen.

Hinter einem Polizeibus steht an diesem Morgen auch Boris Raufeisen, Oberstaatsanwalt aus Würzburg. Er hat die Hände in den Manteltaschen vergraben und die Schultern eingezogen. Ein Streifenwagen lotst gerade den nächsten Sattelzug durch den Dauerregen in die Parkbucht. Raufeisen sagt, Staatsanwaltschaft und Bundeskriminalamt wenden sich jetzt an die Öffentlichkeit, wegen der veränderten Gefahrenlage. Der Schütze hat das Kaliber gewechselt: statt Kleinkaliber Punkt 22 jetzt neun Millimeter. Pistolenmunition. Durchschlagskräftig. "Die Gefährdung hat sich eindeutig erhöht", sagt Boris Raufeisen.


Bislang ein Mensch verletzt

700-mal hat der Unbekannte bislang geschossen, einmal gab es Verletzte. Eine Autofahrerin, bei Würzburg, Teile des Projektils trafen die Frau am Hals. BKA und Staatsanwaltschaft gehen nicht davon aus, dass der Täter gezielt auf Menschen schießt. Ziel könnte die Ladung sein. "Die Frau war ein Fehltreffer", sagt Raufeisen. Vielleicht ein Querschläger, der sich jederzeit wiederholen könnte. Denn die Ermittler vermuten, dass der Täter nicht aus einem festen Versteck heraus schießt. "Ballistische Untersuchungen und Schussbilder deuten auf eine erhöhte Position des Schützen hin", sagt Raufeisen. Erhöht heißt: etwa 2,40 Meter. Ungefähr Lkw-Sitzhöhe.

Wenn Ingo Hodea das hört, wird er am Telefon laut. "Ein Berufskollege schießt auf seine Kollegen. Das müssen Sie sich mal reintun." Hodea ist der Sprecher des Deutschen Speditions- und Logistikverbands. Und Hodea sagt: "Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Schüsse ein bundesweites Phänomen sind." Die ersten Schüsse fielen im Juli 2008. Damals lautete der Verdacht: ein Bekloppter, vielleicht eine verirrte Jägerkugel. Aber die Fallzahlen stiegen, mittlerweile ist fast jede große Spedition betroffen. Ingo Hodea sagt, es sei der entscheidende Schritt, dass die Ermittler jetzt deutschlandweit auf die Schüsse aufmerksam machen. Weil der Schütze auf vielen Autobahnen zuschlägt: A3, A4, A6.


Kontrollen helfen die Tatorte einzugrenzen


Der nächste Autotransporter, den die Polizisten stoppen, kommt aus der Nähe von Montabaur. Ein junger Mann sitzt am Steuer, geladen hat er drei Kleinbusse, die nach Neufahrn sollen. Knapp 200 Kilometer hat er an diesem Tag schon zurückgelegt, die letzte Pause ist eine halbe Stunde her. Im Spessart war das, dort hat der Fahrer zuletzt auch die Ladung kontrolliert. "Das müssen wir bei jeder Pause machen", sagt der Fahrer, der Chef will das. Auch in dieser Firma gab es schon ein Einschussloch in einem Auto.

Die Polizisten sagen, die Kontrollen der Fahrer helfen den Beamten. So können sie die Tatorte eingrenzen. Tatorte, die es eigentlich nicht gibt. Weil der Schütze von der Gegenspur feuern soll oder beim Überholen. Die Polizisten sagen, die Kontrollen der Fahrer gleichen sie dann mit Tachometerangaben, Pausenzeiten und den gefahrenen Kilometern ab. Dann hoffen sie auf Zeugenanrufe.

Bei dem jungen Mann ist alles in Ordnung mit den Papieren. Er lächelt, klettert zurück in die Kabine. Ob er verunsichert sei, wegen der Schüsse? Der Fahrer hebt die Schulter. "Bis jetzt schießt er nicht ins Führerhaus." Noch nicht.